Im Glauben liegt die Kraft

Der Mainstream verfolgt sie, obwohl sie doch nur Fragen stellen: die Verschwörungstheoretiker. Am vorigen Sonntag forschten sie im Berliner Tempodrom nach der Wahrheit über den 11. September. von ivo bozic
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Sie kamen um zu hören, was sie hören wollten. Rund 300 Zuhörer, oder sagen wir besser Anhänger, klebten am vergangenen Sonntag im Berliner Tempodrom an den Lippen der Verschwörungstheoretiker, die behaupten, dass alles ganz anders war am 11. September vor zwei Jahren, anders, als es der US-Präsident George W. Bush und die bösen »Mainstream-Medien« glauben machen wollen.

Zwei Jahre nach den Terroranschlägen auf das World Trade Center in New York und auf das Pentagon in Washington hat sich die Stimmung in Deutschland verändert. Direkt nach den Anschlägen überboten sich die Medien, die Politiker und auch die Bevölkerung in der Bezeugung »uneingeschränkter Solidarität«. Inzwischen aber glaubt jeder fünfte Deutsche, dass die amerikanische Regierung die Anschläge selbst inszeniert habe. Die Bundesregierung ist seit dem Irakkrieg auf Distanz zur US-Regierung gegangen. Und in den Medien ist inzwischen alles möglich.

Gestützt werden die Thesen der Verschwörungstheoretiker von so unterschiedlichen Organen wie dem WDR, der jungen Welt, dem NPD-Blatt Deutsche Stimme und vor allem von zahlreichen Internet-Publikationen. Die taz bietet Mathias Bröckers’ Bestseller »Fakten, Fälschungen und die unterdrückten Beweise des 11.9.« als Abo-Prämie an.

Inzwischen mehren sich jedoch auch die kritischen Stimmen. Hans Leyendecker kritisierte in der Süddeutschen Zeitung: »Unablässig werfen Paranoiker, Apokalyptiker und andere Verschwörungsjunkies in aller Welt Nebelkerzen und jammern anschließend, dass sie durch Nebelschwaden tapern müssen.« Das NDR-Magazin »Panorama« ließ ebenfalls kein gutes Haar an den Verschwörungstheoretikern, und der Spiegel schließlich widerlegte in der Titelstory seiner aktuellen Ausgabe ihre wichtigsten Thesen anhand detaillierter Recherche.

Doch auf Kritik reagieren Verschwörungstheoretiker empfindlich. Die genannte »Panorama«-Sendung wurde wahlweise als »Verleumdung«, »Desinformation«, »Desaster«, »Glaubwürdigkeitskatastrophe«, »plumpe Propaganda«, »Manipulation« oder »Inquisition« bezeichnet. Bröckers und sein Verlag Zweitausendeins drohten, die Produzenten der Sendung zu verklagen. Bisher ist bei »Panorama« jedoch keine Klage eingegangen. Der Süddeutschen Zeitung teilte man mit, möglicherweise keine Anzeigen mehr für das Buch zu schalten. Auch Gerhard Wisnewski hatte versucht, der Jungle World auf juristischem Weg zu untersagen, ihn einen Antisemiten zu nennen (Jungle World, 27/03). Jene, die so gerne kritische Fragen stellen, wollen Kritik an ihrem Treiben offenbar nicht zulassen. Bei der Veranstaltung im Tempodrom wurde das Team von »Panorama« kurzerhand vor die Tür gesetzt. Kritiker waren von vornherein nicht eingeladen worden. Man wollte sein Weltbild durch nichts erschüttern lassen.

Bereits beim ersten Teil der Veranstaltung, am 30. Juni in der Berliner Humboldt-Universität, war man unter sich geblieben (Jungle World, 29/03). Zwar provozierte der Rechtsextremist Horst Mahler mit seiner Anwesenheit. Doch anstatt ihn aus dem Saal zu entfernen, ließen die Veranstalter unter dem Beifall des Publikums die protestierenden Antifas hinauswerfen. Auch zu der Veranstaltung am vergangenen Sonntag hatten Nazis im Internet mobilisiert. Schließlich vertritt Mahler gleichfalls die These, dass der 11. September eine Inszenierung der CIA und des Mossad gewesen sei. Auch am Tempodrom tauchte Mahler wieder auf, er wurde jedoch nicht eingelassen. Diesmal hatten sich die Veranstalter vorher von rechtsextremen Vereinnahmungsversuchen distanziert. Die inhaltlichen Überschneidungen zwischen Mahler und den Referenten konnte dies allerdings nicht verdecken.

Diesmal versuchten die Veranstalter zudem, sich von allzu plump oder antisemitisch argumentierenden Psychofanten wie Andreas von Bülow oder Wisnewski abzusetzen. Die beiden waren nicht eingeladen worden, auch wenn sich die Referenten ständig auf sie bezogen. Man wollte um jeden Preis den Eindruck vermeiden, antiamerikanisch zu sein. Darum waren auch mehrere amerikanische Referenten eingeladen. Etwa der ehemalige Polizist Michael Ruppert, der bei einer Pressekonferenz am Freitag im edlen Steigenberger Hotel erklärte, die USA seien ein faschistisches Land und er sei froh, endlich mal in Deutschland zu sein. Denn besonders viele Recherchen bezüglich des 11. September, die ihm als Quelle hilfreich seien, kämen aus Deutschland. Bröckers wiederum versäumte nicht, den »US-Kollegen« Respekt zu zollen, weil er ihnen viel verdanke. Man adelt und zitiert sich gegenseitig. Unter den Referenten im Tempodrom waren auch Bröckers’ Co-Autor Andreas Hauß und Wisnewskis alter WDR-Kollege Ekkehard Sieker.

Die Aussagen der Veranstaltung lassen sich so zusammenfassen: Wir sind die Opfer einer Diffamierungskampagne der »Mainstream-Medien«. Wir stellen nur Fragen, die Beweislast liegt bei der anderen Seite. Die US-Regierung brauchte den 11. September zur Legitimation ihres Feldzuges gegen den Terror.

So wurde es den ganzen Tag wie in einer Dauerschleife rauf- und runtergebetet. Doch entgegen ihren Behauptungen geht es den selbsternannten Aufklärern eben nicht darum, offene Fragen zu klären. Ohne ihre heimliche Antwort, nämlich der, dass die USA oder auch Israel den 11. September inszeniert hätten, würde die ganze Kampagne nicht funktionieren. So argumentieren alle Verschwörungstheoretiker, ob sie Horst Mahler heißen, Wisnewski oder Bröckers. Beweise haben sie nicht. Also wird vor allem darüber spekuliert, wem die Anschläge nutzen könnten.

Und da können sowohl Bröckers als auch Mahler nur die Amerikaner und die Israelis erkennen. Bröckers behauptet etwa, dass der israelische Ministerpräsident Ariel Sharon die Mittel habe, den großen Bruder USA »jederzeit beizubiegen«, sprich: Schon längst regieren die Juden die Welt, selbst Bush ist nur ein Werkzeug in ihren Händen. Ohne das Phantasma der jüdischen Weltverschwörung kommt kein Verschwörungstheoretiker aus.

Ausschließlich die offizielle Darstellung in Zweifel zu ziehen, ist die übliche billige Methode, die Wisnewski und seine Co-Autoren Ekkehard Sieker und Wolfgang Landgraeber schon in ihrem Buch »Das RAF-Phantom« anwandten. Zwar hat die Geschichte diese Verschwörungstheorie längst widerlegt und Mitglieder der angeblich gar nicht existierenden dritten Generation der RAF sitzen bis heute im Knast, doch das hat die drei Journalisten nicht im Geringsten zu einem Widerruf ihrer abstrusen Thesen bewegen können. Die »Wahrheit« in ihren Köpfen lässt sich durch Fakten nicht widerlegen. Es ist echter Glaube. Kein Katholik lässt sich von einem Physiker die Nichtexistenz Gottes beweisen. Mit journalistischer Recherche hat das nichts zu tun. Thesen werden je nach Belieben insinuiert oder zurückgenommen. Bevor man auf etwas festgenagelt wird, hat man ja nur eine Frage gestellt.

Im Hinblick darauf, dass Europa sich derzeit als neue Weltmacht geriert und bereit ist, die Konkurrenz mit den USA aufzunehmen, stellt sich die Frage, wem das alles nützt, allerdings neu. Die Verschwörungstheorien nutzen eher den europäischen Großmachtplänen. Die ach so mutigen Wahrheitsdealer wie Bröckers sind keine bemitleidenswerte kleine Minderheit, keine Opfer der »Mainstream-Medien«. Sie sind der deutsche Mainstream. Sie befinden sich mit ihrem Antiamerikanismus auf einer Wellenlänge mit der Bundesregierung, Teilen der Linken und den Neonazis. Die deutsche Nation steht zusammen, und wenn sie schlafen geht, liegt auf dem Nachttisch einer der vielen Bestseller zum 11. September. Gute Nacht!