Jede Chance ist nutzlos

Neue Kurzgeschichten von Etgar Keret

In Manhattan kostet die nächtliche Autowäsche, ausgeführt mit Mineralwasser und einem T-Shirt-Lumpen, fünf Dollar; in Philadelphia kann man von einem Puertoricaner mit verfaulten Zähnen für das Doppelte sogar den Mond erstehen, und zwar nicht irgendeinen, sondern »den größten der Welt«.

Die Figuren aus dem nun auf Deutsch vorliegenden Short-Story-Band »Mond im Sonderangebot« des israelischen Schriftstellers und Comiczeichners Etgar Keret kommen herum. Spielten die drei bisher erschienenen Bücher Kerets, die allesamt Kurzgeschichten versammeln, überwiegend in Israel, so breiten sich der Irrsinn, die Frustration und das Abseitige nun auch in anderen Ländern aus: vor allem in den USA, aber auch in Indien, wo der Protagonist der mit Abstand längsten Geschichte einen »ernsthaften Mind-Fuck« erlebt.

Die Reiselust von Kerets Personal liegt sicher nicht in einem Themenmangel in Israel begründet. Die Erlebniswelten von Tieren und Kindern werden ebenso behandelt wie die Traumsphären von Männern und Frauen; wo Hunde mit einem Kopfschuss weiterleben und Katzen den Staat hassen, da verwandelt sich die eigene Freundin nachts in einen fetten Zwerg, der Fleisch und Fußball über alles liebt. Und der Schädlingsbekämpfer trägt ein T-Shirt mit dem Aufdruck: »Der Kakerlaken-Eichmann«.

Apropos: Auch Deutsche tauchen immer wieder auf. Sie sind als flüchtige Liebhaber, simple Geschäftspartner und tragische Boxer bloße Randfiguren bizarrer, meist aber einfach trauriger Geschichten. Sie sind so, wie man sie sich wünscht: unauffällig, nur ganz kurz da und schon wieder weg, ohne Spuren zu hinterlassen. Nicht einmal als Arschlöcher taugen sie.

Obwohl der Sinnhuberei- und -sucherei nicht immer fremd, sind die meisten von Kerets Geschichten enorm komisch, da sie die Widersprüche der modernen israelischen Gesellschaft auf engstem Raum verdichten. Ob in der Religion oder beim Militär, in der Warenwelt oder in der intellektuellen Auseinandersetzung – Kerets Charaktere machen jeden Scheiß mit und scheitern dabei grandios. Zum Glück ist es ihnen meistens egal.

Und wenn nicht, dann gibt es ja noch »die zweite Gelegenheit«. So heißt die letzte Geschichte in »Mond im Sonderangebot«, und in ihr kommt Kerets Prinzip, alle vorgeblichen Gewissheiten durch Zweifel zu zerstören, zu sich selbst. Eine Firma bietet an, die bei schwierigen Entscheidungen möglicherweise verpassten Gelegenheiten (»Du weißt nicht, ob du ins Ausland übersiedeln oder hier weitermachen sollst, in Papas Geschäft?«) später wahrnehmen zu können. Jahre danach folgt eine neue Geschäftsidee, »›Eins aus drei‹ (eingetragenes Markenzeichen), das einem noch einen dritten spannenden Weg zum Beschreiten« anbietet, »ohne jeden Aufpreis«. Der Mond kostet in Philadelphia derweil immer noch zehn Dollar.

maik söhler

Etgar Keret: Mond im Sonderangebot. 33 Short Stories. Aus dem Hebräischen von Barbara Linner. Luchterhand, München 2003, 208 S., 17,50 Euro