Alles Diebe

Schikanen gegen algerische Presse

Die Schlagzeile der algerischen Tageszeitung Liberté lautete schlicht »Alles Diebe«. Gemeint waren die Brüder des Präsidenten Abdelaziz Bouteflika, die ungeniert ihre Bereicherung zur Schau stellen. Das war am 1. August. Seit Wochen hatte sich die Mehrheit der privaten Presseorgane auf den »Präsidentenclan« eingeschossen. Nun brachen Schikanen und restriktive Maßnahmen über die staatsunabhängige algerische Presse herein. Zunächst flatterte eine gesalzene Rechnung auf die Redaktionstische von sechs Tagszeitungen: Umgerechnet drei Millionen Euro an nicht beglichenen Kosten reklamierte die staatliche Druckerei.

Die algerische Presse ist die mit Abstand freieste auf dem gesamten afrikanischen Kontinent, neben jener in Südafrika. Doch besteht, und das ist ein Erbe aus der Zeit der Ein-Parteien-Herrschaft vor 1988, nach wie vor eine seltsame Symbiose zwischen Staatseinrichtungen und führenden Presseorganen. Fast alle größeren Tageszeitungen residieren im »Haus der Presse« in der Hauptstadt. Das Gebäude gehört dem Staat, und die Redaktionen bezahlen keine Miete. Die Mehrzahl der Zeitungen wird zudem in den staatlichen Druckereien hergestellt. Die Druckkosten werden oft nicht bezahlt. In Zeiten politischer Konfrontation hat die Exekutive ein Druckmittel in der Hand: Sie muss sich nur an die aufgelaufenen Schulden erinnern.

Als erste bezahlten Liberté und die arabischsprachige Er-Rai ihre Schulden. Andere Zeitungen hingegen fehlten oft bis zu zehn Tage an den Kiosken.

Daraufhin wurden am Montag voriger Woche Mohammed Benchicou, Chefredakteur von Le Matin, und der Karikaturist von Liberté, Ali Dilem, auf offener Straße festgenommen, um sie zu einem mehrstündigen Polizeiverhör auf das Zentralkommissariat zu befördern. Tags darauf bekundete die Führungsfigur der übrig gebliebenen Protestbewegung in der berbersprachigen Kabylei, Belaid Abrika, Benchicou in dessen Büro Solidarität. Beide Seiten hoffen auf eine säkular-demokratische, oppositionelle Dynamik.

Der Konflikt zwischen Presse und Staatsspitze ist politisch. Bouteflika hat ein Problem: Ein Teil der politischen Klasse will seine Kandidatur zur Wiederwahl als Präsident im Frühjahr 2004 nicht mittragen. Als großer Herausforderer wird ihm wohl der Chef der früheren Einheits– und jetzt stärksten Regierungspartei FLN, Ali Benflis, gegenüber stehen.

Deshalb ließ Bouteflika Anfang September sechs Benflis nahe stehende Minister auswechseln. Zugleich versuchen die Bouteflika-Unterstützer, den FLN zu spalten. Eine »Dissidenten«-Strömung konstituierte sich jüngst auf einem Spaltungskongress in Djelfa, angeführt von Abdelaziz Belkhadem, den Bouteflika 2000 zum Außenminister gemacht hatte.

Während Bouteflika auf raschere Einbindung Algeriens in die globale Ökonomie und schnelle Privatisierungen drängt, sammelt Benflis derzeit eher die auf soziale Abfederung setzende Gewerkschaftsbürokratie, protektionistische Teile des Establishments und Unzufriedene hinter sich. Strittig ist auch der Umgang mit den Islamisten. Sowohl die eher modernistisch-wirtschaftsliberale Liberté als auch die Ex-Kommunisten um Le Matin sind gegen Bouteflika, weil der in den letzten Jahren – aus einer Position der Stärke des Staates – die Überreste der Islamisten einzubinden suchte. Belkhadem ist dafür ein Symbol: Er verkörperte in den frühen neunziger Jahren den pro-islamistischen Flügel der alten FLN-Elite.

bernhard schmid