Autokino

Christian Petzolds Film »Wolfsburg« ist ein kluger Film über den Stillstand, den Zufall und den Tod. von ines kappert

Ein Mann im Auto, eine Frau auf dem Fahrrad. Irgendwann trägt die Frau einen Rock zu ihrer mittelbraunen, coolen Lederjacke, vielleicht für die Liebe bereit, mal sehen, und steigt zu dem Mann ins Auto. Er fährt. Das Paar passiert mehrere Male ein Holzkreuz knapp neben der Landstraße, daran klebt ein Zettel: »Paul – überfahren, liegengelassen, gestorben.«

In seinem neuen Kinofilm »Wolfsburg« erzählt Christian Petzold die Geschichte vom Feind im eigenen Bett. Er verschränkt sie mit einer Erzählung vom Leben an der bundesdeutschen Peripherie, das sich abhängig von den Vermögensverhältnissen eben im Auto oder auf dem Fahrrad, im Autohaus oder im Supermarkt abspielt. Der Regisseur von »Die innere Sicherheit« (2000) hat sich der deutschen Normalität angenommen. Diesmal geht es nicht um gealterte Terroristen, die ihre Vergangenheit nicht loswerden und ihr beschissenes Leben als Flüchtlinge der Tochter aufzwingen. Erzählt wird die Geschichte von Leuten um die Dreißig, die keine Vision haben, auch nie eine hatten, sondern sich so durchwurschteln. Sie sind normal. Sie wollen eine Beziehung. Irgendwann passiert etwas Schlimmes, aber auch dazu fällt ihnen nichts ein. Sie machen einfach weiter – und scheitern weiter. Wobei, es geht ihnen nicht schlecht.

Er kenne die Gegend um Wolfsburg noch gut aus seiner Zeit als Regieassistent bei Hartmut Bitomsky, sagt der Regisseur. Bitomsky hatte dort 1989 den legendären Dokumentarfilm »Der VW-Komplex« über modernste Produktionsverhältnisse und Hitlers erst nach dem Krieg wirklich realisierte Vision vom »mobilen Volk« gedreht. Bei Petzold kommt die riesige Autofabrik selbst nie ins Bild. »Aber alles, was nicht das Werk ist, behaupte ich mal«, sagt er. Nämlich das mobile Volk knapp sechzig Jahre später. Zu sehen also sind normale, allesamt gut aussehende Menschen, die sich nicht viel zu erzählen haben und mit großer Gelassenheit aneinander vorbeileben. Und ihre Lebenslügen, etwa der aseptische Bungalow des Autohändlers Philipp Wagner (Benno Fürmann), der eigentlich seiner Freundin gehört. Die perfekt gestylte Frau mit den aschblonden kinnlangen Haaren und dem grellroten Lippenstift ihrerseits hat ihn geerbt. Als Gegenwelt funktioniert die beengte Wohnung in der westdeutschen Platte, wo die allein erziehende Mutter Laura (Nina Hoss) wohnt. Laura hat sich alles selbst erarbeitet. Was ihr auch nicht weiterhilft.

Den Arbeitsalltag von Laura hält eine Überwachungskamera fest. Eine Reminiszenz an einen anderen wichtigen Lehrer von Petzold, an Harun Farocki und dessen Installation »Ich glaubte Gefangene zu sehen« (2000). Farocki ist auch an der Dramaturgie von »Wolfsburg« beteiligt.

Insgesamt zeichnet sich die Ästhetik des Films durch Kargheit aus. Als Gegenwelt zu den überfüllten Bildern des Mainstreamkinos setzt der Autorenfilmer Petzold auf Reduktion und auf harte Schnitte, die den Erzählfluss mehr zerschneiden als sicherstellen. Aber keine Angst, Petzolds Filme sind trotz ihrer Präzision und ihren ästhetischen Kniffen nie mühsam anzusehen. Der Humor und die Konzentration der Kamera auf schöne Menschen hält den/die ZuschauerIn verlässlich bei der Stange.

Dann schließlich passiert die Katastrophe, irgendetwas musste ja passieren, auch in diesen geborgten Biographien: Der Autohändler überfährt Paul, den kleinen Jungen auf dem Fahrrad. Denn er ist abgelenkt und streitet sich gerade mit seiner Freundin übers Handy. Ihm fällt nicht viel zu ihren Vorwürfen ein, dafür fällt das Handy auf den Boden – und es ist klar: Das Handy wird nicht das Letzte sein, das ihm entgleitet. Ein dumpfer Schlag, und Paul ist glatt überrollt. Der Autohändler zögert, sieht den Jungen am Straßenrand liegen und entscheidet sich, in seinem Leben zu bleiben. Er begeht Fahrerflucht, das Drama beginnt und Paul bleibt auf der Strecke.

»Wolfsburg« ist ein leiser, langsamer Film, fast elegisch. Er ist voller Trauer, die sich wie ein schmutziger Ölfilm über alles legt. In den wenigen Szenen, in denen Menschen sich annähern, gibt es ein wenig Musik, ansonsten ist es still, und die Stimmen sind immer gedämpft. Nach dem tödlichen Unfall ist die Schutzhülle des Menschen, nämlich die Seichtigkeit ihres Alltags, geplatzt. Jetzt geht es den Protagonisten der Geschichte vom Verrat, der später und immer zu spät mit Liebe gutgemacht werden will, schlecht. Laura kämpft und verkraftet den Tod ihres Sohnes nicht. Der Autohändler findet sich in seinem leeren Leben nach der Begegnung mit dem Tod nicht mehr zurecht. Er heiratet. Aber es funktioniert nicht, die Ehe entpuppt sich am Ende nur als ein großes Missverständnis. Irgendwann begegnen Mutter und Mörder einander. Schuldgeplagt verliebt sich der fahrlässige Mann umgehend in die schöne Frau und wird endlich aktiv und übernimmt Verantwortung. Vorübergehend mausert er sich zum mutigen Mann. Ihren Freitod verhindert er und rettet die Verzweifelte aus dem Wasser. Während die Frau ins Dunkel der Nacht gehüllt bleibt, strahlt gelbes Scheinwerferlicht auf ihn und zeigt seine aufgerichteten Brustwarzen unter dem durchnässten und durchsichtig gewordenen Hemd. Vertauschte Rollen: Nicht die Selbstmörderin wird zum Objekt der Begierde, sondern der Retter. Das ist hübsch anzusehen. Auch wenn man Fürmann schon sehr lange und oft hatte betrachten müssen, was ja nicht allzu viel hergibt. Petzold zieht die Einstellungen von dem fahrenden Mann im Profil endlos in die Länge.

Das ist bei Nina Hoss, die in ihrer zurückgenommenen Art den ganzen Film beherrscht, schon etwas anderes. Auch auf ihrem Gesicht ruht die Kamera sekundenlang. Mit dunkel gefärbten Haaren und den großen blauen Augen, die fast schwarz wirken, gibt sie für Petzold nun bereits zum zweiten Mal die schöne, hoch aufgeschossene und doch so zerbrechlich mädchenhafte Frau. Ihre Abgründigkeit ist nur in dem ein oder anderen Augenaufschlag zu sehen. Das kennt man aus dem letzten Fernsehfilm von Petzold, »Toter Mann« (2001). Auch hier hatte die von Nina Hoss dargestellte Frau ein dunkles Geheimnis, ein Mann hatte ihr das Schlimmste angetan. So kommt einem manches bekannt vor, was ab und an ein wenig langweilt. Und auch der sonst für Petzolds Filme charakteristische Wortwitz klappt nicht immer. Aber wenn Hoss ihre Augen aufschlägt und mit einer Mischung aus Erstaunen, Wärme, Sehnsucht, Skepsis und Drohung dem/der ZuschauerIn mal so eben alles über die Widersprüche im Leben erzählt, ist das alles vergessen. Für diese Momente, in denen in sich verkapseltes Verletztsein in die Klarheit des kalten Blicks umschlägt, um sich sofort wieder in sich zurückzuziehen, lohnt sich jede Wiederholung.

Irgendwann entdeckt Laura den Grund für die Anhänglichkeit des Autohändlers, und auch seine Schweigsamkeit enträtselt sich. Die beiden sind mal wieder im Auto unterwegs, sie waren gemeinsam am Meer. Lautlos weinend sitzt sie auf dem Beifahrersitz. Diesmal reagiert er nicht, übernimmt keine Verantwortung, sondern zieht es vor, sie in ihrem Leben zu lassen. Das Auto kommt von der Fahrbahn ab und überschlägt sich. Petzold bleibt seinem Hang zu spektakulären Autoszenen treu. Mit Bedacht krabbelt Laura aus dem Wrack heraus. Der Mann ist schwer verletzt, eingeklemmt und kann sich nicht bewegen. Ohne ein Wort, ohne jede Anteilnahme fingert sie das Handy aus seinem Jackett. »Wo sind wir’n jetzt?« fragt sie kühl, aber nicht unfreundlich. Er antwortet ihr ebenfalls mit Sorgsamkeit, immerhin hängt sein Leben davon ab: »An der B 24 bei Salzwedel.« – »Aha.« Was wird Laura tun: Ruft sie den Krankenwagen oder für sich ein Taxi?

»Wolfsburg«, D 2003. R: Christian Petzold. D: Nina Hoss, Benno Fürmann, Antje Westermann. Start: 25. September