Heavy Metal in Teheran

Das iranische Atomprogramm ist weiter fortgeschritten, als international bislang vermutet wurde. von wahied wahdathagh

Der iranische Außenminister gibt sich gelassen. »Nein, wir haben nicht die Technologie, um Atomwaffen herzustellen«, erklärte Kamal Charrazi vergangene Woche am Rande der Uno-Vollversammlung. »Es ist ein Unterschied, ob man die Technologie besitzt, um Uran für den Betrieb von Atomkraftwerken anzureichern oder um tatsächlich eine Bombe zu bauen.«

Genau an dieser Darstellung aber sind in den vergangenen Monaten erhebliche Zweifel aufgekommen. Diverse Funde haben verdeutlicht, dass das iranische Atomprogramm weit fortgeschrittener ist, als bislang international vermutet wurde. Bereits im Sommer waren Spuren hochangereicherten Urans an Gaszentrifugen in Natanz gefunden worden; als Brennstoff für zivilen Zwecken dienende AKW wird lediglich schwach angereichertes Uran benötigt. Muhammad El Baradei, der Generaldirektor der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), erklärte dem Stern: »Natanz ist der kritischste Punkt unserer Kontrollen. Wir haben Proben genommen und Spuren hochangereicherten Urans gefunden.«

Natanz ist eine geheime Uranaufbereitungsanlage etwa 300 Kilometer südlich von Teheran, die zivilen Zwecken dient, wie die Regierung behauptet. Nach Angaben der FAZ existiert dort eine oberirdische Pilotanlage für bis zu 1 000 Gaszentrifugen, in der mittlerweile 160 funktionsfähig sind; im Bau ist demnach auch eine unterirdische Anlage, »die wohl bis zu 50 000 Zentrifugen aufnehmen könnte«. Mit diesen Zentrifugen lässt sich auch hochangereichertes, also waffentaugliches Uran herstellen.

Die Angaben der iranischen Regierung wurden nach dem Fund modifiziert. Hieß es zuvor, Iran habe die Technologie zur Anreicherung von Uran ab 1997 selbst entwickelt, verlautete nunmehr, die Technologie inklusive der Uranspuren stamme aus einem nicht näher spezifizierten Drittland. Als mögliches Lieferland gilt Pakistan, das den Atomwaffensperrvertrag nicht unterschrieben hat.

Für Misstrauen sorgt auch ein ursprünglich offiziell als Uhrenfabrik deklariertes kleines Unternehmen in Teheran namens Kalaye Electric Co., in dem nach iranischen Angaben von 1997 bis zum vergangenen Jahr einige Gaszentrifugen zusammengebaut wurden, ohne dass Uran angereichert worden sei. Im März und im Juni wurde IAEA-Inspektoren der Zutritt zu dem Unternehmen verweigert. Erst am 9. August durften sie Proben bei Kalaye entnehmen. Da hatte die Fabrik bereits größere Renovierungsarbeiten inklusive einem neuen Fußboden hinter sich. Vergangene Woche erklärte ein nicht namentlich genannter westlicher Diplomat der Nachrichtenagentur Reuters, IAEA-Inspektoren hätten auch dort Spuren hochangereicherten Urans gefunden.

Zudem hatten iranische Behörden im Mai gegenüber der IAEA zugegeben, bereits 1991 etwa 1,8 Tonnen Natururan aus China importiert zu haben. Ein Teil des Materials fehlt, ein anderer ist angeblich im Jahr 2000 zu Uranmetall umgewandelt worden. Einem Bericht El Baradeis zufolge ist die Rolle des Uranmetalls »im von Iran gemeldeten nuklearen Kreislauf unklar, weil weder seine Leichtwasserreaktoren noch sein geplanter Schwerwasserreaktor Uranmetall als Brennstoff benötigen«. Aber für die Atombombenproduktion ist Uranmetall geeignet.

Neben dem in der Stadt Buschehr unter Mithilfe Russlands fast fertiggestellten Leichtwasserreaktor wird in Arak, 250 Kilometer südwestlich von Teheran, eine Fabrik zur Herstellung von schwerem Wasser gebaut; dort soll, wie iranische Behörden zugaben, auch ein Schwerwasserreaktor entstehen – ein Reaktortyp, der für die Stromerzeugung mittlerweile nicht mehr als übermäßig wirtschaftlich gilt; mit einer Wiederaufbereitungsanlage für die dort abgebrannten Brennstäbe ließe sich jedoch bombenfähiges Plutonium gewinnen.

Es existieren also reichlich Indizien, dass der Iran längerfristig auf zwei Wegen versucht, sich die Atombombe zu verschaffen: einerseits über die Anreicherung von Uran via Gaszentrifugen, andererseits über eine mögliche Wiederaufbereitung abgebrannter Kernstäbe aus einem Schwerwasserreaktor. Und auch eine Mittelstreckenrakete namens Shahab 3 mit einer Reichweite von etwa 1300 Kilometern ist mittlerweile entwickelt worden. Am Montag vergangener Woche wurden zum Jahrestag des Beginns des Krieges zwischen Iran und Irak (1980 bis 1988) sechs Raketen dieses Typs auf einer Parade in Teheran vorgeführt.

Mittlerweile setzen nicht nur die USA die iranische Regierung unter Druck, ihr Atomprogramm offen zu legen. Auch Russland und die EU fordern von den Ayatollahs die Unterzeichnung des Zusatzprotokolls zur Atomsicherheit. Das würde unangekündigte IAEA-Inspektionen in – nuklearen oder nicht nuklearen – Fabriken oder Kraftwerken im ganzen Land ermöglichen. Deutschland, Frankreich und Großbritannien haben Iran ein Angebot gemacht, bei der »zivilen« Entwicklung von Atomreaktoren mitzuhelfen, wenn der Iran das Zusatzprotokoll unterzeichnet.

Die iranische Seite gibt sich gelassen. Kürzlich erklärte der iranische Botschafter bei der IAEA, Ali Akbar Salehi, der Iran werde seine Verpflichtungen aus dem Atomwaffensperrvertrag erfüllen, aber nicht mehr darüber hinausgehen. Das bedeute aber nicht, dass die Regierung ein Zusatzprotokoll ablehne.

Die IAEA hat dem Iran am 12. September in einer Resolution ein Ultimatum gesetzt, das Ende Oktober ablaufen wird. Bis dahin soll der Iran sein Atomprogramm vollständig offen legen und nachweisen, dass er nicht an einem verbotenen Atomwaffenprogramm arbeitet. Sanktionen werden in der Resolution zunächst nicht angedroht. Sollte bei ihrer nächsten Sitzung im November die IAEA jedoch zu dem Schluss kommen, die iranische Regierung ignoriere die Resolution, ist eine Einschaltung des UN-Sicherheitsrates wahrscheinlich. Dann drohen auch Sanktionen.

In den letzten Wochen haben sich jedoch auch iranische Stimmen gemehrt, die einen vollständigen Ausstieg aus dem Atomwaffensperrvertrag fordern. Ihre Argumentation: Israel, Pakistan und Indien hätten den Atomwaffensperrvertrag mit der IAEA nie unterschrieben und seien dadurch aus dem Schneider. Daher wage kein Land, ihnen Ultimaten zu stellen. Ergo: Wenn der Iran aus dieser »Falle« aussteige, könne keine Macht den Iranern »erniedrigende« Ultimaten stellen.

Der im Zusammenhang mit den staatlich angeordneten Morden im Berliner Restaurant Mykonos als Drahtzieher namentlich benannte Ali Fallahian meldete sich ebenfalls zu Wort. Der iranischen Zeitung Aftabe Yasd zufolge ist der ehemalige Geheimdienstminister der Meinung, dass der Iran das Zusatzprotokoll nicht unterschreiben sollte. Druck sollten die westlichen Staaten eher auf Pakistan, Indien und Israel ausüben, die bereits Atombomben hätten. Im Übrigen habe der religiöse Führer des Iran mehrfach gesagt, dass der Besitz einer Atombombe mit dem Islam nicht vereinbar sei. Würden aber die Verantwortlichen sich anders entscheiden, wäre dies ein anderes Problem.