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Eindimensionale Menschen

Wahlanalyse. Die Landtagswahl in Bayern offenbarte nicht nur die Vereinheitlichung der Wählerschaft im weiß-blauen Freistaat, sondern auch die Angleichung der deutschen Presse. Bekanntlich brachte das Wahlergebnis der CSU eine Zweidrittelmehrheit der Landtagssitze ein, die SPD erlitt eine schwere Niederlage. Der Kommentator des Berliner Tagesspiegel meinte: »Das Hin und Her der letzten Monate in der Bundesregierung hat (…) in der klassischen Klientel der SPD den Eindruck verstärkt, bei allen Sozialreformen würden in erster Linie die kleinen Leute zur Kasse gebeten.«

In ähnlicher Schärfe kommentierte die taz: »Das Berliner Hickhack der vergangenen Monate hat den Eindruck hinterlassen, es würden nur kurzfristig die kleinen Leute geschröpft, ohne dass langfristig eine Reformperspektive erkennbar wäre.« Da drängt sich doch der »Eindruck« auf, dass der Unterschied zwischen der taz und dem Tagesspiegel irgendwo zwischen dem »Hin und Her« und dem »Hickhack« zu suchen ist. Ob die »kleinen Leute« nun »geschröpft« oder »zur Kasse gebeten« werden, darüber ließe sich trefflich streiten. Aber abgezockt werden sie in jedem Fall.

Nur ein Eindruck

Sozialhilfe. Die Zahl der Sozialhilfeempfänger in Deutschland ist im vergangenen Jahr um zwei Prozent gestiegen. Wie das Statistische Bundesamt in der vorigen Woche mitteilte, hätten 2,76 Millionen Menschen Ende des Jahres 2002 Sozialhilfe bezogen. In Ostdeutschland sei die Zuwachsrate mit sieben Prozent deutlich höher als im Westen mit zwei Prozent gewesen.

Damit es gerade in diesem Bereich auch weiter aufwärts geht, setzte die rot-grüne Bundesregierung am vergangenen Freitag im Bundestag eine Neuregelung durch, die eine kürzere Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes und eine Lockerung des Kündigungsschutzes mit sich bringt. Selbst wenn sie wollte, könnte die Union diese Regelung im Bundesrat nicht verhindern, da sie nicht zustimmungspflichtig ist.

Mal ohne Verspätung

Preiserhöhung. Die Deutsche Bahn AG plant einen weiteren Angriff auf ihren Lieblingsfeind, den Fahrgast. Ulrich Homburg, ein Vorstandsmitglied der DB Regio, der Nahverkehrssparte der Deutschen Bahn, kündigte in der vergangenen Woche an, dass die Fahrpreise mit der Einführung des Winterfahrplans um durchschnittlich 4,1 Prozent steigen sollen. Betroffen seien die Interregio-Verbindungen, die Regionalexpresse, die Regionalbahnen und die S-Bahnen. Auch das so genannte Schöne-Wochenende-Ticket soll teurer werden.

Die Preiserhöhungen seien im Rahmen des Sanierungskurses erforderlich, erläuterte Homburg. Das Unternehmen rechne dadurch im Jahr 2004 mit Mehreinnahmen in Höhe von rund 40 Millionen Euro, die die gestiegenen Kosten decken und die Bahn »kapitalmarktfähig« machen sollen.

Der Nahverkehr ist immer noch der umsatzstärkste Bereich der Bahn. Der Feind ist hier besonders hartnäckig, obwohl der Vorstandsvorsitzende der Bahn AG, Hartmut Mehdorn, im vergangenen Jahr mit seiner Preisreform schon einmal zum vernichtenden Schlag gegen die lästigen Kurzstreckenfahrer und Vorortpendler ausgeholt hatte. Auch mit dem neuesten Coup bleibt die Bahn strikt auf ihrem Kurs in Richtung Börse und darüber hinaus ihrem Ruf treu, eigentlich ein Tochterunternehmen der Autoindustrie zu sein.

Aufstand der Richter

Antifaschismus. Wie der Widerstand gegen Nazis in Deutschland auszusehen hat, entscheiden immer noch die Männer in den langen Roben. Das Münchener Amtsgericht verurteilte in der vergangenen Woche zwei Antifaschisten zu Geldstrafen, weil sie dazu aufgerufen hatten, sich gegen einen Aufmarsch von Neonazis zur Wehr zu setzen. Der Anmelder des betreffenden Nazi-Aufmarsches gegen die Wehrmachtsausstellung in München am 30. November 2002 war der Rechtsextremist Martin Wiese gewesen, bei dem Anfang September große Mengen Sprengstoff gefunden wurden. (Jungle World, 39 und 40/03)

Nun wurde der Maschinenschlosser Christian Boissevain zu 30 Tagessätzen à 30 Euro verurteilt, weil er kopierte Stadtpläne, in denen die Route der Nazidemo verzeichnet war, verteilt hatte. Martin Löwenberg, der Mitglied im Landesvorstand der bayerischen Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN-BdA) ist und in der Nazizeit im Konzentrationslager inhaftiert war, wurde zu 15 Tagessätzen à 15 Euro verurteilt, weil er dazu aufgefordert hatte, sich in Richtung der Nazidemo zu bewegen. Nach der Urteilsverkündung kam es zu Tumulten im Gerichtssaal.

Klappe, das Letzte

Versteckte Kameras. Die rot-grüne Regierung denkt dialektisch. Das bewies sie wieder einmal in der vorigen Woche. Der rechtspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Joachim Stünker, kündigte an, dass die Bundesregierung den Schutz der Intimsphäre verbessern wolle. »Wir werden einen eigenen Entwurf vorlegen zum Schutz vor heimlichen Foto- und Videoaufnahmen«, sagte er der dpa.

Wer nun aber glaubt, der Spruch: »Kameramann, Arschloch!« gehöre bald der Vergangenheit an, weil die Polizei auf Demonstrationen nicht mehr jeden Teilnehmer filmen dürfe, irrt sich gewaltig. Es geht der Bundesregierung auch nicht um die allenthalben montierten Videokameras in U-Bahnen oder vor Einkaufszentren. Nein, im Visier der Intimschützer ist der gemeine Spanner, der etwa in Umkleidekabinen heimlich Aufnahmen mit versteckter Kamera macht. Aber lieber Herr Stünker: Wäre hier nicht eine ganzheitliche, nachhaltige Lösung gefragt? Ist nicht ganz Deutschland so eine Umkleidekabine, und ist der schlimmste Spanner nicht Papa Staat?