Wo waren Sie?

in die presse

Die Zeit hat sich was überlegt. Manchmal gibt es doch, so das Ergebnis der Überlegung, »Nebensachen, die unter dem Mikroskop der Erinnerung zu Hauptsachen werden«. Anders gesagt: Manchmal ist »das vermeintlich unscheinbare Eigene grell erleuchtet«. Es ist dann so ein Augenblick, wer kennte ihn nicht, in dem man ausrufen muss: »Es schmilzt auf ewig zusammen mit dem historischen Moment und wird selbst bedeutend.«

Das also hat sich Die Zeit überlegt. Und bei der Auswahl der Fragen stieg das Blatt auf vom Abstrakten zum Konkreten: »Wo waren Sie«, will es etwa wissen, »als Kennedy ermordet wurde?« Oder bei der Mondlandung oder beim Mauerfall?

Solche Fragen sind nicht so ganz originell, befand man und räumte die unscheinbar grellen Mikroskope der Erinnerung vom Tisch.

Aber, wurde der rätselnden Zeit vermutlich bewusst, demnächst kommt ja der bislang ohne jedes Kritikerlob auskommende Film »Das Wunder von Bern« von Sönke Wortmann in die Kinos, und Christoph Siemes, Kulturreporter der Zeit, hat sich doch ein paar Mark nebenher verdient, indem er das Buch zum Film schrieb. Da kamen ihm und der Zeit der Gedanke, dass man für so ein Buch die Leute vielleicht eher nicht nach Kennedymord oder Mauerfall fragen sollte, sondern dies: »Wo waren Sie, als Deutschland zum ersten Mal Weltmeister wurde?«

Eine Spitzenidee. Er schrieb allerlei berühmte Zeitgenossen an und bekam superspannende Antworten. »1954 war ich elf Jahre alt«, schreibt Elke Heidenreich, »ich war damals zehn Jahre alt«, steuert Gerhard Schröder bei, »daran kann ich mich noch gut erinnern, obwohl ich ja damals erst neun war«, teilt Franz Beckenbauer mit, »ich war damals 14 Jahre alt«, weiß Otto Rehhagel, »ich war damals 17 Jahre alt«, antwortet Uwe Seeler, während Michael Naumann, Siemes’ Chef, der scheint’s auch dabei sein will, alles »im Alter von zwölf Jahren« erlebt hat.

Warum hat Siemes nicht Jürgen Sparwasser gefragt, der war damals auch schon sechs Jahre alt?

martin krauss