Fledermäuse über Algier

In Algerien verschärft sich der Kampf um die politische Macht. Es geht um die Öffnung des Landes für den Weltmarkt. von bernhard schmid, paris

Eine Justiz des Zwielichts und der Fledermäuse«, so lautet der Befund über die »wiederholte Verletzung demokratischer und rechtsstaatlicher Prinzipien«.

Angriffe auf die in der Tat fragwürdigen Praktiken der algerischen Justiz sind nicht ungewöhnlich, dieser Angriff auf die Fledermäuse kommt vom FLN (Nationale Befreiungsfront), der früheren Staats- und Einheitspartei, die seit den Parlamentswahlen vom Mai 2002 wieder zur stärksten politischen Kraft im Land geworden ist und selbst in der Regierung sitzt.

Ungewöhnlich ist allerdings auch der Vorgang, auf den das am vorletzten Donnerstag veröffentlichte Kommuniqué der FLN reagiert. In der Nacht zuvor hatte der Gerichtshof von Algier dem FLN verboten, den für den folgenden Samstag angesetzten Parteitag abzuhalten. Das kam so: Eine von Außenminister Abdelaziz Belkhadem geführte Dissidentenströmung hatte die Entscheidungen des vergangenen Parteitages angefochten, der im März dieses Jahres abgehalten wurde. Die von Belkhadem erwirkte Verbotsverfügung der nachtaktiven Richter erfolgte unter dubiosen Umständen. Sogar der Vorsitzende des Gerichtshofs, Mohamed Zitouni, erklärte später, er habe von ihr erst »aus dem Fernsehen erfahren«, und »in 30 Jahren Richterlaufbahn so etwas noch nie erlebt«.

Manche algerischen Kommentatoren prophezeiten ein möglicherweise bevorstehendes Blutvergießen, wenn Polizeikräfte die Abhaltung des außerordentlichen Parteitages zu verhindern suchen würden. Doch die Mehrheitsfraktion des FLN rief die 1 300 Delegierten einfach für den späten Freitagabend in den Parteisitz in Hydra, dem Nobelbezirk von Algier, zusammen. Der Kongress endete mit dem erwarteten Signal: Der amtierende FLN-Chef Ali Benflis wurde zum Kandidaten für das algerische Präsidentenamt gewählt.

Es ist ein Signal, das nicht nur Staatspräsident Abdelaziz Bouteflika, der derzeit seine eigene Kandidatur vorbereitet, verhindern wollte, sondern auch Außenminister Belkhadem.

Zwei Fraktionen streiten sich erbittert um die Kontrolle des FLN, des einzigen politischen Apparats in Algerien, der über landesweiten Rückhalt in relevanten Teilen der Gesellschaft verfügt. Deren Konflikt eskaliert umso stärker, je näher die bevorstehenden Präsidentschaftswahlen in Algerien heranrücken. Der nächste Präsident wird im kommenden April bestimmt, unter anderem vom Wahlvolk, aber auch die Militärs dürften noch ein Wörtchen mitzureden haben.

Nachdem die Mehrheit des FLN aus Protest gegen die Gerichtsentscheidung sieben Minister aus der Regierung abzog, scheinen nunmehr klare Fronten zu herrschen. Doch sieben weitere Minister, die dem FLN angehören, weigerten sich, beim Auszug Gefolgschaft zu leisten. Und die Mehrheit des FLN, der die größte Fraktion stellt, hat bisher auch Etliches unternommen, um die Regierung nicht platzen zu lassen. Am Dienstag letzter Woche stimmten die FLN-Abgeordneten etwa einer Reihe von Vorlagen zu, die Präsident Bouteflika vorgelegt hatte.

Der Gegensatz zwischen den beiden voraussichtlich wichtigsten Präsidentschaftskandidaten, Benflis und Bouteflika, ist zwar keiner ums Ganze. Aber er offenbart doch einen Riss, der die oligarchische Elite Algeriens durchzieht. Der von Bouteflika repräsentierten Richtung, die für eine unkontrollierte Öffnung zum Weltmarkt eintritt, stehen stärker protektionistisch orientierte Fraktionen gegenüber.

Zu Letzteren gehört der bürokratische Apparat der früheren Staatsgewerkschaft UGTA, der nicht zuletzt mangels einer ernsthaften Alternative noch immer den sozialen Unmut im Land kanalisieren kann. Aber auch ein nicht unerheblicher Teil der Unternehmer und Kapitalbesitzer hat sich gegen eine »zu schnelle« Öffnung der algerischen Ökonomie ausgesprochen. So drückte der Arbeitgeberverband FCE (Forum des chefs d‘entreprise) in den letzten beiden Jahren wiederholt seine Besorgnis im Hinblick auf die Beitrittsverhandlungen Algeriens zur Welthandelsorganisation WTO oder das im April 2002 geschlossene Assozierungsabkommen mit der EU aus, denn viele Betriebe könnten mit der stärkeren westlichen Exportindustrie nicht konkurrieren.

Tatsächlich ist die algerische Ökonomie bereits zu weiten Teilen »offen«, aber es gibt noch obligatorische Passierstellen auf politischer Ebene. In den siebziger und achtziger Jahren hatte sich eine industrielle Bourgeoisie nur zaghaft im Windschatten der staatssozialistischen Entwicklungsdiktatur herausgebildet. Der FLN versuchte, das Land durch Großprojekte zu industrialisieren, vergab dabei jedoch Folgeaufträge an Privatunternehmen. Zugleich bildete sich ein wachsender Schattensektor heraus. Hochrangige Vertreter der Staatsbürokratie förderten illegale westliche Importe und verdienten an der Preisdifferenz kräftig mit. So bildete sich ein Sektor von kleinen Geschäftemachern und Gaunern heraus, der so genannte trabendo – das Wort ist eine Verballhornung des französischen Worts für Schmuggel (contrebande).

In den neunziger Jahren wurde diese Importwirtschaft legalisiert. In der Regel sicherten sich Staatsbürokraten oder Militärs dabei Importmonopole, doch diese werden nun durch eine weitere Liberalisierung in Frage gestellt.

Viele ehemalige trabendistes dagegen begaben sich nach dem Ende der bisherigen Form der Schattenökonomie in das Lager der Islamisten.

Die islamistische Massenbewegung der frühen neunziger Jahre wurde im Wesentlichen von einer Allianz des vom Land an die Peripherie der großen Städte zugewanderten Subproletariats, des perspektivlosen städtischen Jugend und der gegen den Staatssozialismus rebellierenden Handelsbourgeoisie getragen. Letztere stimmte vor allem dann für die Islamisten, wenn sie selbst aus den halbmafiösen Distributionskanälen ausgeschlossen blieb. Zugleich aber wandte sie sich vehement gegen eine reglementierte Ökonomie; das Programm der Islamisten war im Kern wirtschaftsliberal.

Diese islamistische Bourgeoisie umwirbt derzeit einen Teil der Kräfte, die zur Zeit noch Präsident Bouteflika unterstützen. Ihr wichtigster Repräsentant ist Außenminister Abdelaziz Belkhadem, der Anfang der neunziger Jahre als Vertreter eines minoritären, aber bedeutenden Teils der Oligarchie im FLN für die Einbindung der Islamisten durch ein Regierungsbündnis mit ihnen eintrat (Jungle World, 47/00). Diese sollten ihre »plebejischen« Elemente abstoßen und sich auf den vor allem anti-staatssozialistisch ausgerichteten Teil ihres Publikums konzentrieren.

Ob Fledermäuse oder Islamisten, im Kampf um die Macht ist Belkhadem jeder Bündnispartner recht.