Kebab in Bagdad

Die türkischen Militärs wollen ihren Einfluss auf den Irak sichern und Truppen entsenden. Die Regierung Erdogan hat ihnen jetzt zugestimmt. von sabine küper-büsch, istanbul

Wer möchte eine Entsendung türkischer Truppen in den Irak? Würde in diesen Tagen eine Umfrage durchgeführt, fiele das Ergebnis eindeutig aus. Die türkische Öffentlichkeit ist bis auf wenige Stimmen, die eine weitere Verschlechterung des Verhältnisses mit den USA befürchten, mit großer Mehrheit dagegen.

Bereits kurz nachdem das türkische Parlament am Dienstag vergangener Woche der Entsendung zugestimmt hatte, begann das obligatorische Protestprogramm der oppositionellen Organisationen. Die Kommission für globalen Frieden, ein Zusammenschluss mehrerer gemäßigter islamischer Gruppen, will jeden Freitag in Istanbul einen Sitzstreik am Kai von Besiktas, an der Meerenge zwischen Europa und Asien, durchführen. Sie schließt sich damit einem Aufruf linker Gruppen und der Gewerkschaften an, die »gegen die Besatzungspolitik im Irak« protestieren wollen.

Die Stimmung gegen die US-amerikanische Politik eint seit dem Irakkrieg die unterschiedlichen ideologischen Lager in der Türkei. Außer dem Sitzstreik am Bosporus sind Aktionen im gesamten Land vorgesehen, die jedoch bislang wegen des befürchteten Eingreifens der Sicherheitskräfte noch geheim gehalten werden.

Auch der türkische Unternehmerverband Tüsiad, der in der Vergangenheit immer wieder für demokratische Reformen eintrat, kommentierte die Parlamentsentscheidung als »hoffentlich gut bedacht und zum Wohl des Landes«. Und die oppositionelle Republikanische Volkspartei, die im Parlament geschlossen gegen den Antrag stimmte, warnte vor einer »historischen Fehlentscheidung«.

Davor fürchtet sich wohl niemand mehr als die türkische Regierungspartei AKP, denn auch Ministerpräsident Tayyip Erdogan und Außenminister Abdullah Gül haben sowohl mit der überwiegend oppositionellen Haltung in der eigenen Partei als auch mit eigenen Zweifeln zu kämpfen. Nichts wäre den beiden Politikern lieber, als sich vom Irak fern zu halten. Doch der türkische Generalstab hält die Regierung auf einem Kurs, den eigentlich nur die Militärs befürworten.

Die Abstimmung fand diesmal in einer geheimen Sitzung statt, wobei der Einsatzort und die Zahl der zu entsendenden Truppen offen blieben. Zu mehr als einer grundsätzlichen Zustimmung ließ sich die Nationalversammlung nicht bewegen. Im Frühjahr hatte das Parlament in einer öffentlichen Sitzung noch jede Beteiligung am Irakkrieg abgelehnt.

Vor der jüngsten Abstimmung hatten sich auch einige AKP-Abgeordnete deutlich gegen ein türkisches Engagement im Irak ausgesprochen. Und vermutlich hat erst die Warnung von Ministerpräsident Erdogan, im Falle einer Ablehnung die Vertrauensfrage zu stellen, dafür gesorgt, dass die Zahl der Verweigerer gering und das Ergebnis positiv ausfiel.

Die US-amerikanische Reaktion auf die Entscheidung blieb dennoch verhalten. Außenminister Colin Powell begrüßte zwar offiziell die Entscheidung der Nationalversammlung und betonte wie üblich die gemeinsamen Interessen im Kampf gegen den Terror und gegen die übrig gebliebenen PKK-Anhänger in den nordirakischen Bergen. Gleichzeitig erklärte er aber auch, dass über die weiteren Einzelheiten noch verhandelt werden müsse. Denn eine offene Konfrontation mit den für sie wichtigen kurdischen Parteien im Nordirak wollen die USA auf keinen Fall riskieren. Das Gebiet im Norden gilt derzeit als die stabilste und sicherste Region im Irak.

Anschläge richten sich dort weniger gegen US-Soldaten, sondern vor allem gegen eine türkische Präsenz. So erklärte der Sprecher der Demokratischen Partei Kurdistans (KDP), Safeen Disai, kurz nach der Abstimmung, dass die türkischen Truppen auf keinen Fall den Nordirak passieren sollen. Und vermutlich ist es kein Zufall, dass in der vergangenen Woche bei einem Angriff auf einen zivilen türkischen LKW-Konvoi in der Nähe der nordirakischen Stadt Dohuk drei Fahrer getötet wurden.

Um bei der geplanten Truppenentsendung das nordirakische Kurdengebiet umgehen zu können, plant die Türkei nun, einen neuen Grenzübergang zu eröffnen. Die türkischen Truppen müssten dann nur auf den ersten fünf Kilometern kurdisches Gebiet durchqueren; danach führt der Weg der türkischen Soldaten in ihr anvisiertes Einsatzgebiet im Zentralirak durch Gegenden, die von Turkmenen oder von Arabern beherrscht werden.

Die türkische Regierung hat allen Grund, die heikle Region zu meiden. Im Sommer hatte der kurdische Geheimdienst die Informationsdefizite der US-Militärs in der Region ausgenutzt und ihnen mitgeteilt, dass ein Attentat auf den kurdischen Gouverneur von Kirkuk geplant sei. US-Soldaten stürmten daraufhin ein Büro des türkischen Militärgeheimdienstes in Süleymania, was anschließend fast zu einer internen Nato-Krise führte, da die Türken die Aktion als feindlichen Angriff interpretierten.

Die Krise wurde diplomatisch beigelegt. Schließlich konnte die türkische Regierung nicht rechtfertigen, warum sie in der Gegend überhaupt einen Stützpunkt ihres Geheimdienstes unterhält. Die Stadt liegt mehrere hundert Kilometer von der türkischen Grenze entfernt und weit außerhalb der Regionen, in denen die Reste der PKK vermutet werden.

Der Konflikt verdeutlichte, dass sich die Propaganda der türkischen Militärs zwar vornehmlich gegen die PKK-Überbleibsel richtet, gleichzeitig aber vor allem dazu dient, ihre strategischen Interessen durchzusetzen. Ihnen geht es vor allem darum, die Machtverteilung im Irak mitzubestimmen und die kurdische Autonomie zu boykottieren. Dazu passen die stetigen Hinweise auf die Unterdrückung der turkmenischen Minderheit, die strategisch günstig vor allem um die Ölquellen in Kirkuk und Mossul angesiedelt ist.

Dass die Türkei angesichts der militärischen Präsenz der USA im Nordirak keinerlei Berechtigung hat, militärisch einzugreifen, wie in den neunziger Jahren öfters geschehen, weiß die türkische Regierung zwar längst. Doch der türkische Generalstab hält weiterhin an seinem Anspruch als hegemoniale Regionalmacht fest und ist nicht bereit, seine repressive Politik gegenüber den Kurden aufzugeben. Gleichzeitig kann Erdogan nicht so souverän regieren, wie er nach außen hin den Anschein zu erwecken sucht.

Zudem belastet die Stationierung türkischer Truppen das Verhältnis der US-Besatzungsmacht zum Bagdader Regierungsrat. Es sei zu befürchten, dass die Entsendung türkischer Truppen das Land weiter destabilisieren könne, erklärte der irakische Ratspräsident Ijad Allawi am vergangenen Mittwoch. Bereits tags zuvor hatte sich der Regierungsrat in Bagdad vehement gegen die Stationierung ausgesprochen, was aber in Ankara niemanden kümmerte.

Um den Eindruck zu vermeiden, dass die Entscheidung vor allem auf Druck der US-Regierung zustande kam, begründet Ministerpräsident Erdogan seine Haltung vor allem mit der Sorge, dass mittlerweile die territoriale Integrität des Iraks bedroht sei. Über das Szenario einer möglichen ethnischen und religiös-konfessionellen Spaltung des Irak hatten die türkischen Medien in den vergangenen Wochen ausführlich berichtet. Meldungen über Diskussionen in den USA, ob die Grenzen des Irak bei seiner Gründung falsch gezogen worden seien, nahmen im August in den Medien ebenfalls viel Raum ein.

Immerhin gelang es der türkischen Regierung dieses Mal, das militärische Engagement von wirtschaftlichen Fragen zu trennen. Im Gegensatz zum Frühjahr fiel die Entscheidung über einen versprochenen US-Kredit in Höhe von 8,5 Milliarden Dollar noch vor der Parlamentsabstimmung.