Sleeper Cell

Hauptquartier, Meldung 3 250

Heimatfront, 8.30 Uhr. Notruf aus dem Trailerpark. Wir sind mit den Cops unterwegs. Tarnung funktioniert.

Das Wüstenlicht entwickelt bereits eine Schärfe, die durch Haut und Knochen bis ins Herz eindringt. Marineinfanterist Jesse Berger (33) spürt nichts davon. Er wird in Handschellen abgeführt. Dumme Geschichte. Noch steht er da, aufrecht, schweißnass, mit großer »U.S. MARINES«-Tätowierung auf dem Ledernacken. Seine 13jährige Tochter kichert sich wach, der Sanitätswagen mit der schwer verletzten Mutter rast weg. Ein Baby schreit. Wir stehen in einem Wohnmobil-Viertel im nördlichen Teil der Marinebasis Twentynine Palms.

»Das muss man sich mal vorstellen: Vor drei Wochen lag ich noch in einem Bagdader Keller, neben mir mein Freund Danny, schwer verletzt. Eine halbe Meile habe ich ihn durch die Stadt getragen, um ihn vor einem Lynchmob zu retten.«

Eine Minute Schweigen.

»Und jetzt passiert mir sowas, zuhause, in meiner Heimat.«

Schande. Einer, der die USA siegreich bis ins Zentrum von Babylon geführt hat: verhaftet, wegen so einem »kleinen Scheißdreck«. Hat seiner Frau eine Bierflasche der Marke Miller Light ins Gesicht geschlagen. Aber deswegen gleich die Cops rufen? Passiert hier doch ständig. »Muss das wirklich sein, Officer … Kann doch jeder sehen, dass bei mir die Nerven ein bisschen blank liegen. Schließlich sitze ich schon seit drei Wochen im Fronturlaub. Nichtstun. Scheiße.«

Es war so: Seine 19jährige Frau Karina soll ihn »irgendwie schief« angeschaut haben. Dann hat das Baby geschrieen, während die New York Giants, Jesses Lieblingsfootballteam, gegen die Dallas Cowboys verloren. Später ist die 13jährige Mandy, seine Tochter aus erster Ehe, mit vier »Hulk«-Lutschern im Mund und einem 21jährigen Scharfschützen aus dem 2. Batailion nach Hause gekommen, »wo sie doch eh noch Jungfrau ist und bloß Löcher in der Schnauze hat, wegen der verdammten Süßigkeiten«. Da sind bei Jesse, dem Elitesoldaten, »irgendwelche Kabel im Schädel gerissen, mehr war es wirklich nicht, Officer …«

Jesse wird nach draußen geführt. Er schwankt. Das Wüstenlicht brennt, es leuchtet jetzt direkt in Jesses Schädel. Es wird hell.

Wer sich Ehefrauen von Supersoldaten nähert, muss vorsichtig sein. Sie sind jung, deprimiert und erschöpft von jahrelangem Missbrauch. Und sie hassen alles Fremde. Der psychische Druck scheint sich dabei wie eine zweite Haut auf ihre Gesichter gelegt zu haben. Dahinter lauern mindestens ein Marine, ein Messer und eine Morddrohung. Da hilft auch der monumentale Gebrauch von Make-up nicht. Dabei ist ihnen bloß der Hass geblieben, um die Angst zu töten. Hass auf alles Leben, Hass auf Kämpfe am Fußboden, der Griff nach Waffen; Rohre, Schraubenschlüssel, Bierdosen; Hass auf die Kinder, Hass auf die Landschaft, Hass auf Leben und Tod. Bloß nicht auf Amerika.

Wenn Frauen von Marineinfanteristen mit Fremden sprechen, versuchen sie, sich hübsch zu machen. Gloria steht vor einem Wohnwagen, hängt Wäsche auf und hat sich eine Blume ins Haar gesteckt. Die Wüste sei Sanftheit, sagt Gloria. Der Verfall des Körpers wird hier durch Trockenheit gestoppt. Davon reden wir ein bisschen und von verfrühter Nostalgie, verspätetem Bedauern, alten Converse-Turnschuhen und dem toten »Mickey«, einem Pitbull-Terrier, den sie gestern vergraben hat. Die Wüste sei jenseits der Fäulnis, sagt Gloria. Hier sehen Tierkadaver nicht ekelerregend aus. Sie genießt die Schärfe des Lichts, es dringt bis ins Herz vor. Das gibt Hoffnung. Alles wird gut.

»Sleeper Cell« erscheint als anonymer Kolumnenroman