Uran und Iran

Bis Ende Oktober soll der Iran zusätzlichen Kontrollen seines Atomprogramms zustimmen. Doch trotz des internationalen Drucks bestehen die Ayatollahs darauf, weiter Uran anzureichern. von martin schwarz, wien

Leicht hat es die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) in Wien mit ihren beiden neuen »Kunden«, dem Iran und Nordkorea, wahrlich nicht. Während letzterer praktisch jede Zusammenarbeit grundsätzlich verweigert und die UN-Behörde nicht die geringste Ahnung hat, was in Kim Jong Ils bizarrem Reich auf nuklearem Gebiet vor sich geht, verwirrt der Iran die Diplomaten der Vereinten Nationen durch eine kaum zu durchschauende Politik der widersprüchlichen Ankündigungen.

Manchmal gefährdet das den ohnehin engen Zeitplan der UN-Inspektoren. Als diese zu Beginn der vorvergangenen Woche unter Leitung des stellvertretenden IAEA-Generaldirektors Pierre Goldschmidt nach Teheran aufbrechen wollten, kam plötzlich ein Halt-Signal aus dem Iran. »Offensichtlich konnten sich Hardliner und Reformer in der iranischen Führung nicht darüber einig werden, welche Positionen man uns gegenüber vertritt. Deshalb haben sie unseren Besuch um vier Tage verschoben«, so ein IAEA-Diplomat zur Jungle World.

Der andauernde Machtkampf zwischen den so genannten Reformern um Präsident Muhammad Khatami und den von Ali Khamenei geführten Hardlinern im Iran ist wohl eine nicht zu unterschätzende Hürde für eine Einigung zwischen Teheran und den Vereinten Nationen. Die verschobenen Verhandlungen brachten letztendlich auch kein durchschaubares Ergebnis: Während Irans UN-Botschafter in Wien, Ali-Akbar al-Salehi, meinte, die Verhandlungen seien in »totalem Optimismus und zur Zufriedenheit beider Seiten« beendet worden, äußerte man sich im Wiener UN-Hauptquartier etwas vorsichtiger. »Wir sind nicht hundertprozentig glücklich mit dem Ergebnis der Verhandlungen, aber wir sind auch auf keine unüberbrückbaren Hindernisse gestoßen«, so ein enger Berater von IAEA-Generaldirektor Mohamed El Baradei.

Doch langsam wird es einfach Zeit für hundertprozentiges Glück. Am 31. Oktober schon läuft ein Ultimatum aus, das der 35köpfige Gouverneursrat der IAEA dem Iran gestellt hat. Bis dahin muss Teheran ein Zusatzprotokoll zum Atomwaffensperrvertrag unterzeichnen, das den UN-Inspektoren im Wesentlichen unangemeldeten und ungehinderten Zugang zu allen Atomanlagen gewährleistet. Wenn sich Teheran weigert, wird die Angelegenheit spätestens auf der nächsten Sitzung der IAEA am 20. November an den UN-Sicherheitsrat in New York weitergeleitet. Die möglichen Folgen sind Sanktionen und eine scharfe UN-Resolution.

Noch immer aber ist unklar, wie der Iran auf diese Forderungen reagieren wird. Khatami hat angekündigt, auf die Forderungen der IAEA eingehen zu wollen, gleichzeitig aber will der Iran nicht darauf verzichten, auch in Zukunft Uran anzureichern: »Das ist unser Recht«, meint der Präsident. Doch daran könnte die Kooperation zwischen der IAEA und dem Iran scheitern. Hoch angereichertes Uran ist für zivile Zwecke nicht brauchbar, es dient allein dem Bau von Atombomben. Gleichzeitig betrachtet der Iran die Deadline Ende Oktober als nicht bindend. »Wir haben diese Resolution niemals akzeptiert«, so Irans UN-Botschafter Ali-Akbar al Salehi.

Für die IAEA und auch die USA sind solche Anmerkungen irrelevant: »Wir sehen zu, dass der Iran die ganze IAEA-Resolution erfüllt und nicht bloß Teile davon«, so der Sprecher des amerikanischen Außenministeriums Richard Boucher. Besonders schwer wiegen Erkenntnisse der UN-Inspektoren, wonach der Iran zumindest alle Voraussetzungen geschaffen hat, um Atomwaffen herzustellen: »Sie haben alle wesentlichen Komponenten für den Bau von Atomwaffen und sind darin viel weiter, als es der Irak jemals war«, meint ein westlicher Diplomat im Wiener UN-Hauptquartier zur Jungle World. Mittlerweile kursieren unter den Experten der IAEA gar Gerüchte, der Iran könne etwa im Jahre 2005 eine Atombombe fertig gestellt haben, wenn er bis dahin nicht den Kontrollen der Inspektoren unterliege.

Diese Erkenntnis könnte zu einem neuen politischen Bündnis quer über den Atlantik führen. Im Gegensatz zur Irakkrise sind sich diesmal die USA und Europa im Wesentlichen einig, unter keinen Umständen einen Aufstieg des Iran zur Nuklearmacht dulden zu können. Ende September haben die EU-Außenminister bei ihrem Treffen in Brüssel den Iran davor gewarnt, die Forderungen der IAEA nicht zu erfüllen. Dies könne schwere Konsequenzen für die wirtschaftlichen Beziehungen haben. UN-Botschafter Salehi, ein immer gut gelaunter Diplomat, ist sich dessen bewusst, hat aber seine eigene Deutung des transatlantischen Brückenschlages parat. »Die Deutschen und die Franzosen wollen sich nach dem Irakdesaster nur wieder bei den Amerikanern beliebt machen«, ließ er neulich in kleinem Kreis verlauten.

Das ist eine mögliche Erklärung, eine ebenso große Rolle aber spielt wohl die Absicht von Europäern und Amerikanern, Israel zu besänftigen, das zunehmend besorgt auf die iranischen Atompläne reagiert. »Wenn die internationale Gemeinschaft nicht bald handelt, könnte es auch geschehen, dass Israel die iranischen Atomanlagen bombardiert«, prophezeit Gerald M. Steinberg, Stratege des Nationalen Sicherheitsrates Israels im Gespräch mit der Jungle World. Ende letzter Woche wurde außerdem bekannt, dass Israels Premierminister Ariel Sharon den Geheimdienst Mossad damit beauftragt haben soll, Pläne für eine Bombardierung der iranischen Atomanlagen auszuarbeiten.

Aber auch in den Nachbarstaaten des Iran wächst die Sorge über das Atomprogramm. »Wir haben konventionelle Waffen häufiger gegeneinander benutzt als gegen Israel, und diese Situation wird sich nicht überNacht ändern, wenn wir unserem Arsenal Atombomben hinzufügen«, mahnt Abd al-Rahman al-Rashed in der in London erscheinenden Tageszeitung al-Sharq al-Awsat. Er vermutet, dass der Iran mit seinen nuklearen Waffen »vor allem auf seine Nachbarn zielen« werde.

Dass eine weitere Destabilisierung der Region und ein nuklearer Rüstungswettlauf zu befürchten wären, wenn der Iran Atombomben herstellt, könnte auch die Politik Russlands beeinflussen. Moskau hat schon aus ökonomischen Gründen größtes Interesse daran, dass der Iran sich den Kontrollen der IAEA unterwirft. Russland liefert dem Iran die Technologie für den Aufbau seines Atomkraftwerkes in Bushehr, ein Auftrag, der immerhin 800 Millionen US-Dollar wert ist. Doch Moskau ist spätestens beim Gipfeltreffen zwischen George W. Bush und Wladimir Putin Ende September unter heftigen Druck der USA geraten, die Nuklearkooperation mit dem Iran zu beenden, wenn der Iran sich dem Ultimatum der Vereinten Nationen nicht unterwirft.

Russland und die Vereinigten Staaten haben »weiterhin Differenzen in dieser Frage«, so Moskaus Botschafter in Washington, Alexander Vershbow. Noch aber gibt sich Russland standhaft und möchte die Fortführung des Geschäftes mit dem Iran nicht von dessen Einwilligung zu intensivierten Inspektionen abhängig machen. »Es ist nichts Illegales dabei. Deshalb werden wir auch weiterhin mit dem Iran kooperieren, selbst wenn Teheran das Zusatzprotokoll zum Atomwaffensperrvertrag nicht unterzeichnet«, so ein Diplomat der russischen UN-Mission in Wien trotzig zur Jungle World. Doch bleibt mehr als fraglich, ob Russland diese Position durchhalten kann.