Angreifen und lauschen

Der Druck auf Journalisten in Nordirland steigt. petra tabeling berichtet über den Fall des ermordeten Martin O’Hagan von der Sunday World

Nicht jeder Journalist, der über den Nordirland-Konflikt berichtet, lebt gefährlich. Doch Martin O’Hagan, einem Reporter der Sunday World in Belfast, wurden seine Recherchen zum Verhängnis. Seine Ermordung im September 2001 ist nach wie vor ungeklärt. Und der Druck der nordirischen Behörden auf Journalisten wächst.

Die Schüsse fielen in der Nacht und trafen Martin O’Hagan in den Rücken. Am 28. September 2001 verblutete der Journalist und Familienvater auf der Straße, nur wenige Meter entfernt von seinem Haus in der nordirischen Kleinstadt Lurgan. Innerhalb weniger Stunden entschieden sich die Kollegen der größten nordirischen Boulevardzeitung Sunday World in Belfast zu einer Sonderausgabe. Die Schlagzeile lautete am nächsten Morgen: »Fearless – our man shot in the back.« Da hatten sich die Red Hand Defenders, ein Tarnname der protestantischen paramilitärischen Organisation Loyalist Volunteer Force (LVF), bereits bei der BBC zu dem Anschlag bekannt. Über diese Untergrundorganisation hatte O’Hagan jahrelang berichtet, über die illegalen Aktivitäten der Gangleader, ihre Drogen- und Prostituiertengeschäfte, die allzu oft unter dem patriotischen Slogan »For God and Ulster« liefen.

Der Mord an einem Journalisten stellt eine Zäsur in der Geschichte des Nordirland-Konfliktes dar. Zwar hatte es immer wieder vereinzelt Morddrohungen gegen Berichterstatter gegeben, doch mit einem gezielten Anschlag hatte niemand gerechnet. Die Beziehung zwischen den paramilitärischen Organisationen und den Medien sei sehr zwiespältig, so Henry McDonald, Nordirland-Korrespondent des englischen Observer, der seit 1999 immer wieder Morddrohungen erhält. Einerseits brauchen sie die Presse, um ihre Botschaft zu verbreiten, andererseits werden investigativ arbeitende Journalisten zu gefährlichen Zeugen.

Doch die hartnäckige Recherche, die Suche nach der Wahrheit, war O’Hagans Berufung. Martin habe da angesetzt, wo sich viele nicht mehr trauten, weiter zu recherchieren, so eine Kollegin der Ireland on Sunday. Das schätzten viele an dem engagierten Mitglied der Journalistenvereinigung National Union of Journalists (NUJ). Die nordirische Ausgabe der Zeitung mit Hauptsitz in Dublin ist eine der wenigen, die immer wieder Schlagzeilen macht über Auftragsmorde, Prostitution, Bandenbosse. »Wir berichten über diejenigen, die unsere Kinder auf den Straßen vergiften«, so Jim McDowell, Chefredakteur des Belfaster Büros der Sunday World, der ebenso in den vergangenen Monaten massive Morddrohungen von der LVF erhielt.

War sich Martin O’Hagan einer Gefahr nicht bewusst? Immer wieder bekam der 51jährige Familienvater, der seit 1987 als Reporter bei der Sunday World arbeitete, Morddrohungen von paramilitärischen Einheiten. Allerdings von beiden Seiten. 1989 wurde O’Hagan von der IRA entführt, weil sie ihn für einen Informanten der Polizei hielt. Nach einer intensiven Recherche über die LVF Anfang der Neunziger bekam er so viele Morddrohungen von der Organisation, dass er aus Sicherheitsgründen für ein Jahr nach Südirland ziehen musste. Aber O’Hagan habe an den Friedensprozess in Nordirland seit dem Karfreitagsabkommen von 1997 geglaubt, wollte neutral sein und auch so darüber berichten, sagt sein Kollege Jim Campbell. Erst kurz vor seiner Ermordung zog der Katholik O’Hagan, der mit einer Protestantin verheiratet war, mit seiner Familie in ein Viertel, das unweit der Wohngegend von Anhängern der LVF liegt.

Doch für Jim Campbell war O’Hagans Art der Recherche keineswegs leichtsinnig, sondern notwendig. Über die gemeinsamen Recherchen berichtet er heute: »Du wusstest nie, ob du eine Kugel in den Kopf bekommst oder eine Information. Darauf sind wir vorbereitet gewesen. Das war eben das Risiko, das man in Kauf nehmen musste.« Die Kugel in den Kopf verfehlte den ehemaligen Büroleiter der Sunday World in Belfast nur knapp. Seit einem Mordanschlag der Loyalisten im Jahre 1986 lebt Campbell mit einer Kugel in der Brust. Seither kam für ihn nur noch der Wohnortwechsel in die benachbarte, sichere irische Provinz Donegal in Frage.

Seamus Dooley, Vorsitzender der NUJ in Irland, warnt angesichts der Umstände vor allzu großer Hysterie. Erstens arbeiteten nur die wenigsten Journalisten wie O’Hagan und zweitens müsse man »die Art möglicher Bedrohung« unterscheiden. Nicht jeder Drohanruf sei ernst gemeint. Eine Überreaktion schade letztlich dem investigativen Journalismus. Denn wenn die Angst kursiert, schreibe keiner mehr über Hintergründe – die berühmte Schere im Kopf. Seiner Kenntnis zufolge fühlten sich nur zwei bis drei Journalisten in der Region derzeit massiv bedroht. Doch der Fotograf und NUJ-Vorsitzende in Belfast, Kevin Cooper, teilt diese Meinung nicht. Zusammen mit der Organisation »British Irish Rights Watch« und anderen drängt er auf weitere Untersuchungen des Mordes und verlangt stärkere Sicherheitsmaßnahmen der Arbeitgeber. Derzeit gebe es nur eine »erhöhte Aufmerksamkeit«, berichtet Kevin Cooper.

Das Büro der Sunday World ist seit diversen Anschlägen und Drohanrufen mit Sicherheitskameras und -türen ausgestattet, Mitarbeiter erhalten eine Schulung, wie man im Falle einer Bombendrohung reagiert. Doch letztlich sei die eigene Vorsicht geboten, meint Henry McDonald. Auch der Observer hat in die Sicherheit seines Korrespondenten investiert. Das Wohnhaus des Redakteurs ist hermetisch abgeriegelt.

Doch können diese Vorkehrungen nicht vor dem Zugriff der Behörden auf Informationen von Journalisten schützen. In der Nacht zum 1. Mai dieses Jahres wurde das Wohnhaus von Liam Clarke, Redakteur der englischen Times, mitten in der Nacht von der nordirischen Polizei durchsucht. Die Beamten beschlagnahmten Computer und Materialien, Clarke wurde zusammen mit seiner Frau, ebenfalls eine Journalistin, über Nacht festgehalten und verhört – ohne Vorwarnung, ohne Durchsuchungsbefehl. Auch die Büroräume der Redaktion wurden durchsucht. Nach Angaben der NUJ waren die Ermittler an Clarkes Aufzeichnungen vertraulicher Gespräche mit nordirischen Politikern, u.a. mit dem Sinn-Féin-Vorsitzenden Gerry Adams, interessiert. Die Behörden rechtfertigten ihre Nacht- und Nebelaktion mit dem so genannten Official Secrets Act, dem Geheimhaltungsgesetz. Unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung wollten sie so an die vertraulichen Informationen gelangen. Doch Clarke und seine Frau gaben ihre Informanten nicht bekannt.

Diese Aktion und die staatlich »legitime« Vorgehensweise machen der NUJ derzeit schwer zu schaffen, Seamus Dooley äußerte starke Bedenken für eine garantierte Pressefreiheit. Alarmierende Signale, die nun auch vom Staat ausgehen.

Der unerwartete Besuch der Polizei war nur eines der jüngsten Beispiele, die zeigen, dass vor allem politische Journalisten in Nordirland ein erhöhtes Berufsrisiko tragen und immer mehr unter Druck geraten.