Angst in Ayodhya

Hindufundamentalismus in Indien

Für die Fundamentalisten des Welthindurats (VHP) ist es eine gute Zeit, um den Druck auf die regierende Bharatiya Janata Party (BJP) zu erhöhen und mit dem Feuer kommunalistischer Gewalt zu spielen. Denn ab Dezember stehen wichtige Wahlen in mehreren indischen Unionsstaaten an, und die hindunationalistische BJP braucht die Stimmen ihrer Stammwählerschaft.

Als Mittel zum Zweck sollte dem VHP in der vergangenen Woche wieder einmal die für Hindus heilige Stadt Ayodhya im nordindischen Bundesstaat Uttar Pradesh dienen. Dort hatte im Dezember 1992 ein Mob aus zehntausenden fanatisierten Hindus die Babri-Moschee, angeblich errichtet über dem Geburtsort des Gottkönigs Rama, dem Erdboden gleich gemacht. In der landesweiten Welle kommunalistischer Gewaltausbrüche starben über 2 000 Menschen. Letztes Jahr führte ein Anschlag von Muslimen auf Hindus, die sich auf einer Pilgerreise in die Tempelstadt befanden, zu Pogromen an Muslimen im westindischen Gujarat (Jungle World, 11/02).

Im Vorfeld der für vergangenen Freitag geplanten Massenkundgebung weigerte sich der VHP, eine Versicherung abzugeben, dass es bei der Aktion friedlich bleiben werde. Etliche Funktionäre drohten unverhohlen mit Ausschreitungen, sollte die Veranstaltung nicht wie geplant durchgeführt werden können. VHP-Generalsekretär Pravin Togadia kündigte sogar an, einige Hindus seien bereit, sich als Selbstmordattentäter für den Bau eines Tempels auf dem Gelände der Babri-Moschee zu opfern.

Obwohl die lokalen Verantwortlichen in Ayodhya die muslimischen Familien zu beruhigen versuchten, verließen viele von ihnen die Stadt. Die Landesregierung Uttar Pradeshs unter der Führung des säkularen Chief Minister Mulayam Singh Yadav bereitete sich vorzeitig auf den Ansturm vor und untersagte die Versammlung in direkter Nähe der Moschee-Ruine. Busbahnhöfe und Schulen wurden zu Gefangenensammelstellen umgebaut.

Letztendlich kamen weniger als die 200 000 erhofften Teilnehmer. Etwa 30 000 Hindufundamentalisten, unter ihnen auch Togadia und der VHP-Vorsitzende Ashok Singhal, wurden schon vorher festgenommen. Als der Safran-Block der Hindufundamentalisten doch noch mit Eisenstangen und Steinen gegen die Sicherheitskräfte vorging, konnten schnell herbeigeschaffte Funktionäre des VHP die Lage beruhigen. Die Menge trat wohlgeordnet den Rückzug an. Am Wochenende ließ die Landesregierung daraufhin mehrere Versammlungen zu, die größtenteils friedlich verliefen.

Das Verhalten der von der BJP geführten Regierung in Neu-Delhi dürfte nicht wenig zum ruhigen Verlauf des Aufmarschs beigetragen haben. Am 14. Oktober hatten sich dem indischen Nachrichtenmagazin rediff.com zufolge Innenmister Lal Krishna Advani und Premierminister Atal Behari Vajpayee mit hochrangigen Vertretern des zehn Millionen Mitglieder zählenden Nationalen Freiwilligenbunds (RSS) getroffen. Der RSS gehört ebenso wie die BJP und der VHP zu den Anhängern der Hindutva-Ideologie einer hinduistischen Kulturvormacht. Die BJP-Vertreter betonten, wie wichtig es ihnen sei, dass die Lage in Ayodhya nicht außer Kontrolle gerate. Denn die BJP benötigt auch einen erheblichen Stimmenblock moderater Wähler und kann deshalb die Anheizung kommunalistischer Konflikte nicht gebrauchen.

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