Messer in den Rücken

In Gaza wurden erstmals US-Amerikaner zu Zielen eines Attentats. Der Kampf um die politische Macht in Palästina ist wohl der Hintergrund. von andré anchuelo

Ein Versehen war es nicht. Die drei Fahrzeuge trugen amerikanische Diplomatenkennzeichen, am Tatort im von der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) kontrollierten Gebiet waren sie schon von weitem gut zu identifizieren. Den palästinensischen Polizeiwagen an der Spitze des Konvois ließen die Attentäter passieren, erst dann wurde die zuvor unter der Straße vergrabene Bombe ferngezündet. Drei der vier US-amerikanischen Insassen des gepanzerten Geländewagens kamen ums Leben, einer wurde schwer verletzt.

Bislang ist nicht vollständig klar, in welcher Mission der am Mittwoch der vergangenen Woche angegriffene Konvoi unterwegs war. Hieß es in ersten Meldungen noch, es habe sich um CIA-Agenten gehandelt, die die Realisierung der Road Map überwacht hätten, verlautete später aus der amerikanischen Botschaft in Tel Aviv, die Opfer seien Angehörige eines privaten Sicherheitsdienstes. Sie seien mit dem Schutz von Botschaftsmitarbeitern beauftragt gewesen, die Kandidaten für Fulbright-Stipendien im Gazastreifen interviewen wollten.

Die israelische Regierung wertete das Attentat als Beleg dafür, dass die PA keine ernsthaften Anstrengungen unternimmt, um palästinensische Terroranschläge zu unterbinden. Im Wesentlichen schloss sich die US-Administration dieser Sichtweise an. Das Versagen der PA bei der Terrorbekämpfung führe zu fortgesetztem »Verlust von Leben«, so US-Präsident George W. Bush nach dem Anschlag.

Höchste Stellen der PA beeilten sich, den Mord zu verurteilen. Ihr Vorsitzender, Yassir Arafat, verdammte die Tat als »hässliches Verbrechen« und kündigte eine Untersuchung an, Premierminister Ahmed Qurei versprach, die Täter zu ermitteln und zu bestrafen. Diesmal seien »palästinensische Interessen« getroffen worden, hieß es aus PA-Kreisen. Doch auch die islamistischen Gruppen Hamas und Islamischer Jihad distanzierten sich von dem Anschlag. Man kämpfe ausschließlich gegen die »zionistischen Usurpatoren unseres Heimatlandes«, erklärte ein Hamas-Sprecher.

Tatsächlich scheinen weder die PA, noch Arafats Fatah-Bewegung noch die Islamisten aus dem ersten Attentat gegen US-Bürger Vorteile ziehen zu können. Yassir Arafat steht derzeit ohnehin schon mit dem Rücken zur Wand. Die israelische Regierung hat inzwischen mehr als deutlich gemacht, dass sie mit ihm nicht mehr verhandeln wird und ihn lieber heute als morgen im Exil sähe.

Auch die innenpolitische Kritik wächst. Viele Palästinenser machen Arafat dafür verantwortlich, dass die Bildung einer Regierung nicht vorankommt. Premierminister Qurei hat bereits seinen Rücktritt angekündigt, der zentrale Posten des Innenministers ist weiterhin vakant, und nur durch die Ausrufung des Notstandes konnte bislang eine unbequeme Parlamentsentscheidung über die neue Administration vermieden werden. Zudem scheint Arafat auch gesundheitlich angeschlagen. So berichtete die britische Tageszeitung Guardian kürzlich von einem angeblichen Herzinfarkt.

In dieser Situation kann ihm nicht an einer Verschlechterung der Beziehungen zu den USA gelegen sein. Die Unterstützung der EU genügt nicht, denn die wichtigste Ordnungsmacht im Nahen Osten sind noch immer die USA. Wenn deren Repräsentanten nun selbst zur Zielscheibe werden, dürfte das den amerikanischen Druck auf Israel wegen des umstrittenen Verlaufs der israelischen Sperranlagen zum Westjordanland nicht gerade vergrößern helfen. Und auch in Brüssel stieß der Anschlag nicht gerade auf Begeisterung. Javier Solana, der außenpolitische Repräsentant der EU, ging Arafat in ungewöhnlich scharfer Form an. »Verurteilungen und Entschuldigungen reichen nicht aus«, die PA müsse die Täter dingfest machen.

Auch der Hamas und dem Islamischen Jihad dürfte momentan wenig daran gelegen sein, sich offen gegen die USA zu stellen. Die Hamas ist ohnehin noch geschwächt von der israelischen Liquidierungskampagne gegen ihre höchsten Funktionäre, der Islamische Jihad hat mit seinem jüngsten blutigen Bombenanschlag Anfang Oktober in Haifa mit über 20 Toten seiner syrischen Schutzmacht einige Probleme eingebrockt. Die Sponsoren in Damaskus und Teheran stehen jedenfalls spätestens seit dem Sturz des Regimes Saddam Husseins unter besonderer Beobachtung Washingtons.

Wahrscheinlicher ist, dass die Motive für den Anschlag im Kontext des schwelenden Machtkampfs innerhalb von PA und Fatah zu finden sind. Für diesen sind die Streitigkeiten um eine neue palästinensische Regierung nur ein Symptom. Arafats erster Premier Mahmoud Abbas hat Anfang September, unter anderem nach wüsten Drohungen radikaler Fatah-Anhänger, den Job geschmissen. Die Tage seines Nachfolgers Ahmed Qurei scheinen schon jetzt gezählt.

Im Kern geht es bei den Auseinandersetzungen um einen Richtungsstreit über die Zukunft der al-Aqsa-Intifada. Eine Mehrheitsfraktion in der PA und den politischen Gremien der Fatah ist inzwischen zu der Auffassung gelangt, dass die »Militarisierung« in Form von Selbstmordanschlägen auf israelischem Staatsgebiet ein Fehler war. Sie würde gern wieder einen Waffenstillstand und neue Verhandlungen mit Israel erreichen.

Abbas und Qurei gehören ebenso zu dieser Strömung wie die Protagonisten des »Genfer Abkommens«, ehemalige PA-Minister wie Yassir Abed Rabbo und Nabil Kassis sowie Untergebene des in Israel inhaftierten Chefs der Tanzim-Milizen, Marwan Barghouti. Sie versuchen derzeit, mit einem in Jordanien mit israelischen Oppositionellen »ausgehandelten« Entwurf eines Friedensabkommens Stimmung für neue Verhandlungen mit Israel zu machen.

Viele lokale Warlords bekämpfen diese Bestrebungen energisch, weil sie um ihre im Verlauf des Krieges erreichten Machtpositionen fürchten. So forderten am vergangenen Freitag Hunderte Demonstranten in Nablus »Tod den Verrätern«, die mit den Verhandlungen ein »Messer in den Rücken des palästinensischen Widerstandes« gestoßen hätten. Immer wieder kommt es auch zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden Milizen und Sicherheitsdiensten.

Eine dieser Milizen ist das »Volkswiderstandskomitee«. Es wurde während der al-Aqsa-Intifada im Wesentlichen von Fatah-Leuten und Angehörigen eines PA-Sicherheitsdienstes gegründet. Die Volkskrieger des Komitees wollen »Palästina« vom »Krebsgeschwür« Israel befreien. Im September 2002 forderten sie, den »Kampf mit allen Mitteln« fortzusetzen und Leute wie Mahmoud Abbas daran zu hindern, die Ziele »Amerikas und Israels« zu verfolgen.

Angesichts der Tatsache, dass das »Volkswiderstandskomitee« bereits drei schwere Kampfpanzer der israelischen Armee mit derselben Technik zerstörte, mit der jetzt der US-Geländewagen gesprengt wurde, sollte vielleicht der Anruf bei der französischen Nachrichentagentur AFP, mit dem ein Mann im Namen eben dieses »Volkswiderstandskomitees« die Verantwortung für den Mord an den drei Amerikanern übernahm, ernster genommen werden. Möglicherweise sollte mit der Tat verhindert werden, dass sich der verhandlungsbereite Flügel von PA und Fatah durchsetzt.