Mister Cleans Liste

Mit der Streichung der Schulgebühren und Maßnahmen gegen die Korruption hat die neue kenianische Regierung erste Reformen begonnen. von knut henkel, nairobi

Straßenkinder in Schuluniform, das war bis vor kurzem noch genauso undenkbar in Nairobi wie detaillierte Berichte über die Bestechlichkeit in Justiz und Verwaltung. Doch die Zeiten in Kenia haben sich geändert, und Aufbruchstimmung versprühen nicht nur Leute wie John Githongo.

Der 37jährige ist der oberste Korruptionsbekämpfer Kenias und macht seinem Ruf als »Mister Clean« alle Ehre. Unter seiner Regie wurde Anfang Oktober der Ringera-Bericht über die systematische Korruption im Justizsektor veröffentlicht, der für viel Wirbel gesorgt hat. Preislisten, die angeben, wie viel ein Mörder oder Gewaltverbrecher zu zahlen hat, damit sich der Richter auf die Seite der Verteidigung stellt, wurden in mehreren Zeitungen veröffentlicht. So kann ein Vergewaltiger ab umgerechnet 220 Euro mit Milde rechnen – vorausgesetzt, vor ihm sitzt ein korrupter Richter. Die Chancen dafür stehen nicht schlecht, denn dem Report zufolge ist jeder zweite Richter in Kenia bestechlich.

In der Bevölkerung hat der Bericht der Kommission Kopfschütteln ausgelöst, kaum jemand hatte erwartet, dass die Korruption so tief im Establishment verankert ist. Neue Freunde hat sich Githongo, ehemaliger Direktor der NGO Transparency International, mit seinem Vorgehen kaum gemacht. Seine Arbeit ist in den letzten Monaten schwerer geworden, denn »die Korruptionsnetzwerke haben sich reorganisiert und schlagen zurück«. Ein neuer Schub in der öffentlichen Auseinandersetzung über das wichtigste Thema Kenias, die Korruption, könnte ihm wieder Auftrieb geben.

Den braucht Mister Clean auch. In den letzten Monaten stand die Bekämpfung der Korruption, für die Präsident Mwai Kibaki öffentlich um Unterstützung der Bevölkerung geworben hatte, nicht mehr ganz oben auf der Agenda. »Einige Leute haben ihren Mut nach einigen Telefonanrufen eingebüßt«, sagt Githongo. Der Ökonom betont, dass die Regierungsleitlinie, die keine Toleranz gegenüber der Korruption vorsieht, allein nicht ausreicht: »Wir müssen uns um systematische Reformen kümmern, und das braucht seine Zeit.« Und auch Personal, denn die anstehenden Umbesetzungen im Justizsystem und in der Verwaltung sind nicht so einfach zu bewerkstelligen und der Rechtsweg ist zeitaufwändig.

Dafür hat die Bevölkerung nicht immer Verständnis, denn lieber heute als morgen würden viele Einwohner Nairobis die korrupten Richter abgesetzt sehen. Schnelle Erfolge sind allerdings unrealistisch, so Gladwell Otieno, die Direktorin von Transparency International. »Die Korruption war endemisch in Kenia, und wir brauchen Unterstützung von unten, von den Medien und der Privatwirtschaft, um voranzukommen.«

Erste kleinere Erfolge hat Githongo bereits vorzuweisen. So ist das Zoll- und Steueraufkommen in den ersten neun Monaten der neuen Regierung bereits gestiegen, das hat für zusätzlichen finanziellen Spielraum gesorgt. Den hat die Regierung genutzt, um eines der zentralen Wahlversprechen einzulösen: die Streichung von Schulgebühren an den Grundschulen des Landes. Mehrfach, zuletzt im September, wurde der Bildungsetat aufgestockt, um der Herausforderung zu begegnen, rund 1,8 Millionen Kinder zusätzlich zu unterrichten.

Engpässe gibt es trotzdem an vielen Schulen des Landes, so auch an der Mathare 4A Primary School, wo die Fensterscheiben zerbrochen sind und nur wenige Tische und Stühle für über 200 Kinder zur Verfügung stehen. In zwei Klassen mit je ungefähr 100 Kindern wird unterrichtet, da weder ausreichend Lehrer noch Räume zur Verfügung stehen. Schätzungen zufolge fehlen zwischen 17 000 und 35 000 Lehrer, neue Schulgebäude müssten gebaut und ausgestattet werden. Doch dafür hat die Regierung, die über ein Drittel ihres Haushalts in die Bildung investiert, kaum die Mittel.

Internationale Unterstützung wird benötigt, doch vor knapp drei Jahren hatten IWF, Weltbank und mit ihnen zahlreiche andere Finanzinstitutionen dem Land wegen der Selbstbedienungsmentalität der Regierung Daniel Arap Mois die Kreditlinien gekappt. Auch nach dem Regierungswechsel bleiben sie relativ zurückhaltend, da der Ruch der Korruption nach wie vor auf dem Land lastet.

Erste positive Signale aus Washington zeugen zwar vom Wandel, allerdings wird es noch bis Ende Oktober dauern, dass Kenia wieder auf der Tagesordnung bei den verantwortlichen Kommissionen steht. Andere potenzielle Geber wie die EU drängen hingegen auf die Einlösung eines weiteren Wahlversprechens, die Verabschiedung der neuen Verfassung. Die, so hatte es die Regierung Anfang des Jahres angekündigt, sollte binnen eines halben Jahres dem Parlament vorgelegt werden. Doch nun heißt es, dass vor April nächsten Jahres damit nicht zu rechnen sei.

Der Grund dafür ist die Fraktionierung in der Regierungskoalition. Dem Flügel um Präsident Kibaki steht ein anderer unter Straßenbauminister Raila Odinga gegenüber, der sich für die Position eines starken, mit Exekutivrechten ausgestatteten Premierministers ausspricht. Kibaki dagegen wünscht keinen zweiten Machtpol im Staat, Exekutivrechte müsste nämlich der Präsident selbst abgeben. Gleichwohl hatte sich Kibaki im Wahlkampf für die Verfassungsreform ausgesprochen, die er nun abzuschwächen gedenkt.

Bei dem Zwist in der Regierungskoalition geht es auch um ethnische Klientelpolitik. Während Kibaki der größten Bevölkerungsgruppe des Landes angehört, den Kikuyu, ist Odinga ein Luo. Die Vertreter der zweitgrößten Bevölkerungsgruppe wünschen einen größeren Einfluss in der Regierung und würden Odinga gerne als neuen Premierminister sehen.

Der seit Monaten schwelende Konflikt in der Regierungskoalition hat mit dem Mord an einem bekannten Politikwissenschaftler, der an der neuen Verfassung des Landes mitarbeitete, zusätzlichen Zündstoff erhalten. Crispin Mbai war nicht nur enger Freund von Odinga, sondern auch Luo, und der Mord ist bisher nicht aufgeklärt. Allerdings wird ein enger Vertrauter von Präsident Kibaki, der Parlamentarier Normann Nyagah, beschuldigt, den Auftrag gegeben zu haben. Dafür liegen zwar keine Beweise vor, aber dem politischen Klima innerhalb der Regierungskoalition Narc hat die Affäre nicht gut getan.

Darunter leidet natürlich auch die Reform des Systems, was einigen Regierungsmitgliedern gefallen dürfte. So steht Bildungsminister George Saitoti im Verdacht, in einen der größten Korruptionsfälle Kenias, den so genannten Goldenberg-Skandal, verwickelt zu sein. Eine Untersuchungskommission beschäftigt sich mit dem Fall, in dem eine Exportfirma über dubiose Ausfuhrsubventionen für Gold und Diamanten den Staat um eine Milliarde US-Dollar prellte. Kenia besitzt jedoch weder große Gold- noch Diamantenvorkommen, und eine ganze Reihe hoher Regierungsbeamter sowie Ex-Präsident Moi waren in den Schwindel involviert.

Der Fall soll unter der Ägide von John Githongo nun aufgeklärt werden. Außerdem soll zumindest ein Teil des Geldes nach Kenia zurückfließen. »Noch wichtiger ist es jedoch, die zahllosen schwarzen Löcher zu schließen, in denen das Regierungsgeld verschwand«, schildert Githongo seine Aufgabe. Dafür benötigt er allerdings die ungeteilte Unterstützung der Regierungskoalition.