Partei des kleinen Schweizers

Die rechtspopulistische Volkspartei legte bei den Schweizer Parlamentswahlen wieder zu. Dabei trifft ihre neoliberale Politik mittlerweile auch die eigene Klientel. von yves kramer, zürich

Frisch herausgeputzt und auf der Höhe der Zeit wollte die Christliche Volkspartei (CVP) zu den National- und Ständeratswahlen antreten. Eine pfiffige Kampagne sollte es werden, mit der die schwächelnden Christdemokraten über ihre Hochburg in der Zentralschweiz hinaus wieder zulegen wollten. Das Wahlkampfteam mühte sich denn auch seit Monaten redlich, zog mit einem großen Sattelschlepper durchs Land, ließ Musikkapellen aufspielen und verteilte Zahnbürsten mit »bissigen« Sprüchen. Genützt hat es wenig. Denn am vergangenen Sonntag strahlten andere in die TV-Kameras.

Allen ihre Zähne gezeigt hat erneut die Schweizerische Volkspartei (SVP), die sich selbst als »einzige Alternative zur herrschenden Versager-Koalition aus SP, FDP und CVP« im Wahlkampf anpries. Das Ergebnis der SVP kommt für Schweizer Verhältnisse einem Erdrutsch gleich. Entsprechend selbstsicher trat ihr Präsident Ueli Maurer am Sonntag auf. Er forderte ultimativ einen zweiten Bundesratssitz und präsentierte gleich auch einen Kandidaten: Christoph Blocher. Sollten die anderen Parteien Blocher bei den Bundesratswahlen im Dezember nicht wählen, würde die SVP ihren bisherigen Bundesrat zurückziehen und in die Opposition gehen.

Seit den fünfziger Jahren wird die Zusammensetzung des Bundesrates, der von der vereinten Bundesversammlung gewählt wird, durch die so genannte Zauberformel bestimmt. Gemäß dieser Formel sitzen im Bundesrat je zwei Vertreter der SP, CVP und FDP sowie ein Vertreter der SVP. Rein arithmetisch betrachtet, hätte die schwächelnde CVP ihren zweiten Bundesratssitz längst an die SVP abtreten müssen. Bisher sperrten sich aber die anderen Parteien hartnäckig dagegen, der SVP diesen zweiten Sitz zuzugestehen. Während die SVP dies in der Öffentlichkeit lauthals beklagte, war sie über diesen Umstand insgeheim ganz froh. Die Kandidatur von Blocher, der schon einmal erfolglos für den Bundesrat kandidierte, deutet darauf hin, dass die SVP nicht abgeneigt ist, dieses Spiel weiterzuführen. Sie ist damit in den letzten Jahren ja auch gut gefahren. Trotz ihrer Regierungsbeteiligung stellte sie sich immer wieder erfolgreich als Vorkämpferin des einfachen Mannes gegenüber der verlogenen und selbstherrlichen »Classe politique« dar. Mit Christoph Blocher als Bundesrat dürfte diese doppelzüngige Politik an Glaubwürdigkeit verlieren.

Die rechten Hardliner fuhren bereits im Wahlkampf schärferes Geschütz auf. So scharf, dass sich nun gar das Uno-Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR) besorgt über den Ton der SVP-Werbung zeigte. Die Inseratekampagne gegen Asylsuchende und die »Albanermafia« gehöre zum »Unverfrorensten«, was sich große Parteien in Europa bisher zum Thema Asyl geleistet hätten.

Die SVP ihrerseits sah sich durch die »skandalöse Einmischung« des UNHCR in »demokratische Diskussionen« in ihrem Weltbild bestätigt. Auf Plakaten stellten sie die Schweiz als gerupftes und mundtot gemachtes Huhn dar. Das »Schweizer Volk« habe immer weniger zu sagen und müsse immer mehr Steuern, Krankenkassenprämien, Abgaben und Gebühren zahlen. Gleichzeitig werde viel zu wenig gegen die »Ausländerkriminalität« und den »Missbrauch der Sozialwerke und im Asylwesen« unternommen.

Dass viele Schweizer weniger Probleme mit der Hetze der SVP haben als das UNHCR, erstaunt kaum. So bewegten sich die Debatten vor den Wahlen meist auf lieb gewordenen Nebenschauplätzen. Wer bei Sachthemen regelmäßig das letzte Wort hat, mochte zwar die Parlamentswahlen gelassen betrachten, zumal ein grundlegender Machtwechsel nicht zur Diskussion stand. Doch ein solch inhaltsloser Wahlkampf sei selbst für die pragmatischen Schweizer neu, denen man ja nicht gerade einen Hang zu visionären Grundsatzdebatten nachsage, klagte die Neue Zürcher Zeitung kürzlich.

Die mit der wirtschaftlichen Krise eng verwobene neoliberale Politik der letzten Jahre, wie sie in der Schweiz von der SVP am konsequentesten vertreten wird, hat nicht nur ein Milliardenloch in die Bundeskasse gerissen, die Arbeitslosigkeit ansteigen lassen und immer mehr Menschen von Sozialhilfe oder einer Invalidenrente abhängig gemacht. Diese Politik hat auch – nicht zuletzt mit Steuergeschenken an die Wohlhabenden – »finanzpolitische Sachzwänge« produziert, die nun zu unpopulären Sparmaßnahmen führen, die nicht mehr nur Menschen am Rande der Gesellschaft betreffen. Insofern mag es wenig verwundern, wenn die neoliberalen Hardliner der SVP in ihrem Wahlkampf lieber über »Scheininvaliden« als über die Erhöhung des Rentenalters gesprochen haben. Der von der SVP forcierte Kurs der letzten Jahre hat vieles an sozialstaatlichen Errungenschaften in Frage gestellt und angegriffen. Bisher machte er vor allem sozialen Minderheiten zu schaffen. Nun, da sich materielle Auswirkungen auch für große Bevölkerungsteile anbahnen, trifft die »Politik der leeren Kasse« mehr und mehr auch die konservative SVP-Klientel selbst. Dass in Sachfragen die Stammwählerschaft ihren neoliberalen Parteioberen auch mal eine empfindliche Niederlage zufügen kann, hat beispielsweise die von der Linken erzwungene Abstimmung über die Privatisierung der Elektrizitätswerke der Stadt Zürich gezeigt. Nur Dank des Neins vieler SVP-Stammwähler konnte die Linke diese Abstimmung gewinnen.

Auch der Angriff auf die Altersvorsorge ist nicht nur bei der Linken und bei den Gewerkschaften unpopulär. Dies haben die Reaktionen auf die Ankündigung des FDP-Sozialministers Pascal Couchepin gezeigt, das Rentenalter auf 67 Jahre erhöhen und weitere Sparmaßnahmen bei der Altersvorsorge vornehmen zu wollen. Die Pläne für die Altersvorsorge führten in diesem Herbst schließlich zu einer der größten Gewerkschaftsdemonstrationen, die die Schweiz in den letzten Jahrzehnten erlebt hat.

Die Altersvorsorge ist allerdings längst nicht der einzige Bereich, in dem ein rigoroser Sozialabbau durchgesetzt werden soll. Der Bundesrat hat im Frühjahr insgesamt 70 Maßnahmen in einem »Entlastungsprogramm der Bundesfinanzen« zusammengepackt, mit dem 3,3 Milliarden Franken in den nächsten Jahren eingespart werden sollen. Und auch auf Kantonsebene soll mit Hilfe von Steuersenkungen die Staatsquote gesenkt werden. So will der Züricher Regierungsrat in den nächsten Jahren insgesamt 1,8 Milliarden Franken an der Bildung sowie am Gesundheits- und Sozialwesen sparen.

Während diese bürgerlichen Kürzungspläne auf Widerstand stoßen, sorgen die »Sparmaßnahmen« im Asylbereich für wenig Aufsehen. Offenbar dient die Sanierung des Bundeshaushalts als Vorwand, um weitere Verschärfungen im Asylrecht schnell durchzusetzen. Unter anderem sollen Asylsuchende zukünftig keine Sozialhilfe mehr erhalten, sobald ihr Antrag abgelehnt wird. Damit sparen die Behörden nicht nur an den Sozialleistungen, sie versorgen auch die Schweizer Wirtschaft mit weiteren weitgehend rechtlosen Arbeitskräften. Denn ohne soziale und politische Rechte sind diese neuen Gastarbeiter lukrativer denn je.

Obwohl sich erste zaghafte Proteste gegen den geplanten Sozialabbau formieren, ist von einem politischen Aufbruch in der Schweiz bislang wenig zu spüren. Und manche Entscheidungen weisen sogar in die entgegengesetzte Richtung. So konnten die Einwohner von Davos am vergangenen Wochenende gleichzeitig mit den Nationalsratswahlen auch über die Zukunft des umstrittenen Weltwirtschaftsforums entscheiden. Mit großer Mehrheit stimmten sie dem jährlichen »Verpflichtungskredit« in Höhe von einer Million Franken zu, mit dem die aufwändigen Sicherheitsmaßnahmen finanziert werden sollen.

Zumindest die Eliten können in Davos also weiterhin ruhig schlafen.