Sehnsucht nach Italien

In Berlin wird über die Räumlichkeiten für ein Soziales Zentrum verhandelt. Manche AktivistInnen schmieden schon große Pläne. von christoph villinger

Herbstlich bunter Wein rankt sich an der Fassade der ehemaligen Kindertagesstätte in der Glogauer Straße 16 in Kreuzberg empor. Vom Balkon der dreistöckigen Jugendstilvilla hat man einen weiten Blick über die ganze Straße und in den großen Garten. Der zukünftige Veranstaltungssaal im Innern lässt sich in drei Räume für Arbeitsgruppen unterteilen. Darüber befinden sich etliche Räume für Gruppen, und ganz oben unterm Dach könnte sogar eine Hausmeisterwohnung eingerichtet werden.

»Das Haus ist wunderschön«, waren sich die BesucherInnen der Eröffnungsparty des neuen Sozialen Zentrums am 11. Oktober einig. Nur verkehrstechnisch liegt es etwas ungünstig im hintersten Kreuzberg, zur nächsten U-Bahnstation benötigt man zu Fuß zehn Minutn.

Zwei Tage zuvor hatten rund 50 Mitglieder der Initiative für ein Sozialforum Berlin (SFB) das seit Mai 2002 leer stehende Haus für wenige Stunden besetzt. Seit Monaten forderten sie vom Eigentümer, dem Bezirk Kreuzberg-Friedrichshain, ihnen das Gebäude gegen die Zahlung der Betriebskosten zu überlassen.

»Die Verhandlungen zogen sich hin«, berichtet Uschi Volz-Walk von der SFB, die Verantwortung sei ständig hin- und hergeschoben worden. Auf einmal sei von einer Kaltmiete zwischen drei und fünf Euro pro Quadratmeter die Rede gewesen, obwohl das Land Berlin beispielsweise einer neuen Elite-Universität ein Gebäude in Mitte mietfrei überlassen habe. Eine wichtige Rolle spielte wohl auch ein Brief des Berliner Innensenators Ehrhart Körting (SPD) an das Bezirksamt, demzufolge sich an der SFB auch »verfassungsfeindliche Gruppen« beteiligten.

»Mit der Besetzung des Hauses wollten wir die Vermietung an uns ein wenig forcieren«, ergänzt Michael Prütz aus der Gruppe der Besetzer. Noch am Abend der Besetzung erschienen außer einer Hundertschaft Polizei auch die Bezirksbürgermeisterin Cornelia Reinauer (PDS) und der für die bezirkseigenen Liegenschaften zuständige Stadtrat Lorenz Postler (SPD). Schließlich einigte man sich darauf, dass die Besetzer an diesem Abend das Haus zwar wieder verlassen müssten, jedoch am Samstag die Eröffnungsparty stattfinden könne und mit dem Beginn der nächsten Woche ernsthaft verhandelt werde. Nun müssen sich die lokalen Verantwortungsträger der PDS und der Grünen entscheiden. Unterstützen sie nur mit Worten und Grußadressen die Gründung von Sozialforen in aller Welt oder auch eine konkrete Initiative? Michael Prütz, der Sprecher der SFB, beschreibt die Stimmung bei den Verhandlungen als »gut« und geht von einem Vertragsabschluss »noch in diesem Jahr« aus.

Nach dem Willen der Initiatoren soll das Soziale Zentrum einen »politischen und sozialen Raum schaffen«, in dem sich die verschiedenen Gruppen der globalisierungskritischen Bewegung treffen können. »In diesem Haus soll der Brückenschlag zwischen dem internationalen, globalisierungskritischen Ansatz und dessen lokalen Umsetzungen gegen die neoliberale Politik praktisch werden«, heißt es im vorläufigen Nutzungskonzept. Geplant sind unter anderem ein Veranstaltungssaal, eine Volxküche, eine öffentliche Bibliothek, Werkstätten sowie etliche Seminar- und Schulungsräume.

Vor gut einem halben Jahr fand sich ein breites politisches Spektrum in der SFB zusammen. Dies reicht von den Autonomen der Antifaschistischen Linken Berlin (ALB) über FelS (Für eine linke Strömung), linke Gewerkschafter, Attac, ehemalige PDS-Mitglieder, diverse trotzkistische Splittergruppen bis zur Initiative Berliner Bankenskandal. Auch der umtriebige FU-Professor Peter Grottian ist mit dabei. Er hofft, »mit dem Sozialforum einen neuen politischen Prozess in Gang zu setzen«. Analog zur autonomen Freiraumtheorie solle das »Soziale Zentrum einen Ort bieten, an dem eine politische Vielfältigkeit sich versammeln und Alternativen zur herrschenden Politik entwickeln kann«.

So richtig seine Feststellung ist, dass vereinzelte, auf die jeweils persönlichen Interessen abgestimmte Proteste etwa von Kita-Angestellten oder StudentInnen auf Dauer keinen Sinn ergeben, so ungewiss ist, ob sich die durch ein Soziales Zentrum bündeln lassen. Denn bisher waren die Mobilisierungserfolge der SFB sehr bescheiden. Zu einer »Großdemonstration« gegen den SPD-Sonderparteitag am 1. Juni dieses Jahres kamen gerade mal knapp 1 000 Leute. Dabei ist inhaltlich bereits ein breites Spektrum darin vertreten. Während die einen die Betriebsräte stärken und den fordistischen Sozialstaat verteidigen wollen, sehen andere darin »keine materielle Perspektive« mehr und kämpfen für eine Grundsicherung auf hohem Niveau für alle.

Gemeinsam schaut man neidisch auf Italien, wo sich in den vergangenen Jahren die centri sociali zu Brennpunkten des sozialen Widerstands entwickelten. In über 60 Städten gibt es dort inzwischen solche Zentren, in denen zum Beispiel die ehemaligen tute bianche mit Kommunisten der Rifondazione und christlichen Basisgruppen zusammenarbeiten.

Besonders die Eindrücke vom 1. Europäischen Sozialforum im November 2002 in Florenz lösten bei vielen PolitaktivistInnen Begeisterung und den Wunsch zur Nachahmung aus. Inzwischen gibt es in über 28 deutschen Städten Initiativen für Sozialforen, die erste entstand im Raum Tübingen-Reutlingen.

Aktuell plant die SFB, »in den kommenden Wochen aktiv gemeinsam Widerstand gegen die Kürzungen in der Stadt zu leisten«. Am Samstag, dem 25. Oktober, lädt sie zu einer »Notversammlung« in den Mehringhof. Dort sollen »gemeinsam Alternativen diskutiert und Forderungen formuliert werden«. Als Folge der Agenda 2010 befürchtet man, dass etwa ein Viertel aller Berliner in Zukunft auf Sozialhilfeniveau leben muss.

Und weil »mit Jammern niemand hinterm Ofen vorgeholt wird«, ist für den 1. November in Berlin eine Großdemonstration »gegen den Sozialkahlschlag« geplant. Zwar mag die Feststellung Sascha Kimpels von Attac richtig sein, dass »Schröder für seine Politik des Sozialumbaus keine Mehrheit hat«. Doch zu meinen, dass »die, die sich von der offiziellen Politik nicht mehr repräsentiert fühlen, sich auf der Demo repräsentiert fühlen«, ist ein wenig vermessen. Denn im Augenblick steigen vor allem die Umfragewerte für die CDU. Immerhin rechnet Kimpel »mit etwa 10 000 Teilnehmern aus über 40 Städten«.

Wesentlich mehr Menschen dürften sich ab dem 12. November in Paris zum 2. Europäischen Sozialforum versammeln. In der voll besetzten Heilig-Kreuz-Kirche in Kreuzberg wurde am 13. Oktober über die angeblich so erfolgreichen Kämpfe in Frankreich und Italien berichtet und dazu aufgerufen, nach Paris zu fahren. Neben vielen Diskussionen wird dort auch eine wichtige Entscheidung für die SFB fallen. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass das 4. Europäische Sozialforum im Jahr 2005 in Berlin stattfindet. Um es zu organisieren, braucht man tatsächlich ein Haus.

Mit der offiziellen Eröffnung des Sozialen Zentrums ist noch im Dezember zu rechnen. Dann wird sich entscheiden, ob das Haus in der Glogauer Straße als Treffpunkt angenommen wird oder nur die Energien einiger Politaktivisten bindet. Die überraschend zahlreich von Menschen aller Altersstufen besuchte Eröffnungsparty am 11. Oktober machte jedenfalls Mut.