Einer geht noch rein

Im November rollen wieder Castoren. Obwohl der Ausstieg aus der Atomenergie noch längst nicht verwirklicht und kein Endlager gefunden ist, wird der »Tag X« wohl ein regionales Ereignis bleiben. von arne norden

Es gab einmal eine Zeit, als der »Tag X« noch für den nächsten Atomtransport durch die Republik und nicht für den Beginn eines Angriffskrieges stand. Viele Linke reisten zu diesem Termin für eine Woche ins Wendland. »Kampf gegen den Castor heißt Kampf für ein besseres Leben«, war eine der politischeren Parolen und bedeutete vor allem das Zelten in morastigen Widerstandscamps, wenn man nicht gerade einen »Pennplatz de Luxe« bei netten Menschen vor Ort ergattert hatte.

In der zweiten Novemberwoche soll es wieder einen Castor-Transport geben. Ein Aufstand der Massen ist derzeit allerdings nicht zu erwarten. Übermächtige Polizeiaufgebote erstickten in der Vergangenheit auch die pfiffigsten Versuche, die Atombehälter im Wald und in den Wiesen zwischen Lüneburg und Gorleben aufzuhalten. Andere Ereignisse wie die antirassistischen Grenzcamps oder globalisierungskritische Gipfel haben den Castor-Spektakeln längst den Rang abgelaufen.

Dabei kann von einem Ende der »friedlichen Nutzung der Atomenergie« in Deutschland keine Rede sein. Der seit 2001 bestehende so genannte Atomkonsens der rot-grünen Bundesregierung und der Energieversorgungsunternehmen schreibt für die nächsten Jahrzehnte vor allem eine Bestandsgarantie für die meisten Atomkraftwerke (AKW) fest.

Angekündigt sind nun erneut zwölf Behälter aus La Hague, wo die französische Wiederaufbereitungsanlage den deutschen Atommüll in brauchbare und unbrauchbare Bestandteile trennt. Der Restmüll wird, verpackt in Castoren, nach Deutschland zurückgeschickt, wo er bis zu seiner »Endlagerung« ziemlich dumm herumstehen wird. In Gorleben befinden sich bereits 32 Behälter, die ältesten seit 1995. Etwa 100 Castoren werden noch folgen, ehe die deutschen Verträge mit Frankreich erfüllt sind.

Der diesjährige Transport wird der erste unter einer niedersächsischen CDU-Regierung sein. Innenminister Uwe Schünemann ist bereits durch harte Maßnahmen im Bereich der Inneren Sicherheit aufgefallen. Eine erste Niederlage musste er allerdings einstecken, als der Bundesumweltminister Jürgen Trittin (Grüne) Anfang Oktober seine Forderung, in Gorleben wieder Stacheldrahtzäune anzubringen und Wasserwerfer fest zu installieren, als überflüssig zurückwies.

Mit dem bevorstehenden Castor-Transport wird sich Schünemann kaum besonders hervortun können. Schließlich scheuten schon seine Vorgänger weder Kosten noch Mühen, um den Atommüll pünktlich und sicher an sein Ziel zu bringen. Wie im Vorjahr sollen 13 000 Polizei- und Grenzschutzbeamte den Konvoi schützen. Daran, dass auch der siebte Transport in Gorleben ankommen wird, besteht ohnehin kein Zweifel.

Die Zukunft des Atomlagers Gorleben ist indes höchst ungewiss. So besteht weiterhin das vor drei Jahren von Trittin verhängte Moratorium, das die Erkundungsarbeiten im Gorlebener Salzstock unterbrach, weil Experten ihn für ungeeignet erklärten. Das Bundesumweltministerium (BMU) und die Betreiber der deutschen AKW sind sich uneinig, wie die Suche nach einem Endlager weitergehen soll. Der vom BMU eingesetzte »Arbeitskreis Auswahlverfahren Endlagerstandorte« legte mit seinem Abschlussbericht Ende 2002 Kriterien vor, nach denen bis zum Jahr 2030 ein Endlager realisiert werden könnte. Dann nämlich laufen die Ausnahmegenehmigungen für die Zwischenlager bei den AKW aus, mit deren Hilfe die Bundesregierung die Anzahl innerdeutscher Atomtransporte nach Ahaus und Gorleben reduzierte.

Die Empfehlung des Arbeitskreises, gemeinsam mit den Vertretern der Atomindustrie über neue Standorte zu verhandeln, lehnen diese ebenso wie CDU und FDP ab. Kein Wunder, denn es geht dabei vor allem um die Finanzierung der Endlagersuche. Die Gesellschaft für Nuklear-Service (GNS), die von den deutschen AKW-Betreibern zur Lösung der »Entsorgungsfrage« gegründete Betreiberfirma des Zwischenlagers in Gorleben, hält den benachbarten Salzstock ohnehin für bestens geeignet und eine Erkundung anderer Standorte deshalb für überflüssig.

Ungeklärt ist auch die Frage der Rechte der von der Erkundung und Errichtung eines Endlagers betroffenen AnwohnerInnen. Zwar sollen sie an der Auswahl eines Endlagerstandortes beteiligt und Bürgerforen in den Regionen eingerichtet werden. Gesetzliche Garantien dafür existieren aber nicht.

Das Deutsche Atomforum, ein Zusammenschluss der Atomindustrie, der ebenfalls am Standort Gorleben festhalten will, schreibt in einer Presseerklärung vom 30. September: »Die immer wieder geforderte Akzeptanz für das Endlager ist in weiten Teilen der ortsansässigen Bevölkerung sowie in der Landesregierung vorhanden.« Was für viele unmittelbar in Gorleben ansässige Menschen gelten mag – immerhin ist der Ort seit Beginn des Atomprojekts mit zahlreichen Finanzspritzen bedacht worden –, kann für die gesamte Region nicht im Ernst behauptet werden.

Im Gegenteil, die Pause in der Debatte um ein zukünftiges Endlager beunruhigt die WendländerInnen. Sie haben seit dem Beginn der Erkundungen im Jahr 1979 viele schlechte Erfahrungen mit angeblichen Bürgerbeteiligungen gemacht und halten den zivilen Ungehorsam für wirksamer. Um Gorleben aus dem Gespräch zu bringen, besetzten AtomkraftgegnerInnen im September in 800 Meter Tiefe den Salzstock. Sie bezeichneten das rot-grüne Moratorium als Hinhalteversuch, »um die Endlagersuche auf einer weißen Landkarte mit Öffentlichkeitsbeteiligung neu zu starten«.

Tatsächlich scheint die Bundesregierung das Thema Gorleben auszusitzen, womöglich bis nach der nächsten Bundestagswahl. Weder hat sie ihre Einwände gegen Gorleben formuliert, noch ist die Suche nach einem alternativen Endlager bisher vorangekommen. Ob es überhaupt ein sicheres Endlager für das radioaktive Material geben kann, darf ohnehin getrost bezweifelt werden.

Obwohl die Anti-Atomkraft-Bewegung schon mehrfach totgesagt wurde, gab es bereits erste Protestaktionen gegen den bevorstehenden Transport. Die Öko-Profis von Robin Wood errichteten in der vergangenen Woche ein Baumhaus an der Straße vor dem Zwischenlager, und AktivistInnen von Greenpeace besetzten Mitte Oktober für kurze Zeit den Verladekran in Dannenberg – natürlich nur »symbolisch«.

Im Visier bleibt auch die Deutsche Bahn. So bekannten sich Atomkraftgegner Ende September zu einem Brandanschlag auf einen Kabelkanal an der Bahnstrecke zwischen Karlsruhe und Mannheim. Unter dem Motto »Wir sind am Zug« fanden am 25. Oktober »mobile Demonstrationen« in den Zügen der Bundesbahn statt. Die Zeit der Hakenkrallen in den Oberleitungen der Bahn scheint jedoch vorbei zu sein. Zumindest stellten die niedersächsischen Verfassungsschützer unlängst fest, dass der Castor für »linksextreme Kräfte« kein Thema mehr sei.

Folkloristisch gibt sich die Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg (BI), die für die Transportwoche zu einer »castorellen Landpartie« einlädt. Im Rahmen einer kulturellen Aktionswoche sollen entlang der Castor-Strecke Protestveranstaltungen und »Schienenspaziergänge« stattfinden. Doch die »fünfte Jahreszeit« wird auch nach Einschätzung der BI diesmal ein regionales Ereignis bleiben. Die AtomkraftgegnerInnen von »X-tausendmal quer« wollen auf eine große Sitzblockade verzichten.