Markízas Macht

In der Slowakei gewinnt der Fernsehunternehmer Pavol Rusko an Einfluss. Wirtschaftsminister ist er schon, und noch viel mehr ist möglich. von michal hvorecky, bratislava

Bratislava ist verschrien, die kleinste Großstadt der Welt zu sein. An regnerischen Herbsttagen ist sie oft abstoßend. Durch die Straßen treibt eine schmutzige Sterilität. Die Bäume schrumpfen zusammen. Die Gullys speien schmutziges trübes Wasser aus ihrem Innersten hervor, statt es zu schlucken.

Nicht einmal gegen Mittag klart es auf. Man sagt, dass vor dem unfreundlichen, feuchten Wetter am besten ein starker Geist schützt. Bloß wird es in diesem Herbst langsam zu einer heroischen Leistung, sich seinen festen Willen zu bewahren. In der Slowakei gewinnt nämlich seit kurzem eine Partei politischen Einfluss, die Áno heißt. Die Abkürzung steht für »Allianz des Neuen Bürgers« und entspricht dem slowakischen Wort für »ja«. Die meisten Mitglieder der Parteiführung sind ehemalige Fernsehmoderatoren, ihr Vorsitzender ist der Medienunternehmer Pavol Rusko.

Wer in der Slowakei noch vor ein paar Jahren mit mäßigem Optimismus den Wandel der politischen Verhältnisse begrüßt hat, verspürt angesichts dieser Entwicklung bloß noch abgrundtiefe Verzweiflung. Und kann nur hilflos fluchen.

Rusko ist nicht nur der Vorsitzende der rechten Áno-Partei, sondern seit kurzem auch Wirtschaftsminister. Und er scheint weitaus gefährlicher als die HZDS, die bis vor sechs Jahren die Herrschaft ausübte. Die Partei von Vladimir Meciar stand für einen Pseudopatriotismus und für nationalen und staatlichen Zusammenhalt. Doch die ungeschickten und provinziellen Versager von der HZDS brachten es lange nicht zu einer derartigen Raffinesse, mit der sich nun der Medienmogul Rusko durch alle Arten von Machtstrukturen bewegt.

Man fängt an, sich an die allgegenwärtigen Lügen und Widersprüche zu gewöhnen.

1989 kämpfte Rusko noch als Vorsitzender des Sozialistischen Jugendverbandes beim staatlichen Fernsehen eifrig gegen die Veränderung der Machtverhältnisse. Offiziell ist er zwar nicht der Besitzer von TV Markíza. Aber in Wirklichkeit gehört der Sender mit den höchsten Einschaltquoten in der Slowakei doch ihm. Nach 1989 war er die Stimme der Opposition, nun berichtet er für Áno.

Solche Widersprüche gibt es in der Slowakei zuhauf. Premierminister Mikulas Dzurinda schätzt seinen langjährigen Kollegen Ján Mojzis, doch plötzlich versucht er mit allen Mitteln, den Chef des Nationalen Sicherheitsamtes lozuwerden. Mojzis ist damit betraut, die Beamten im slowakischen Nachrichtendienst SIS auf ihre Vergangenheit in der Staatssicherheit zu überprüfen. Das ist eine Voraussetzung zur Aufnahme in die Nato, da die SIS-Beamten dann Zugang zu sensiblen Informationen erhalten sollen.

Seine Überprüfungstätigkeit macht Mojzis zum größten Feind der alten Seilschaften, aber man fragt sich in der Slowakei, was Dzurinda damit zu tun hat.

Und Pavol Rusko wirft Innenminister Ivan Palko vor, das Abhören seines Telefons angeordnet zu haben. Doch der will es nicht gewesen sein. Hinter dem Abhören von Journalisten und politischen Gegnern stehe wieder einmal der Geheimdienst SIS. Das alles ist fast schon wie in einer Sitcom, wo die Schauspieler simulieren, dass sie simulierte Realitäten simulieren.

»Nationale Charakteristika sind nicht leicht präzise zu definieren, und wenn sie doch definiert werden, zeigt sich oft, dass es Banalitäten sind, oder dass sie überhaupt nicht miteinander in Verbindung stehen«, schrieb George Orwell 1941. Dennoch stellt sich die Frage, was hinter der totalen Gleichgültigkeit steht, mit der die Leute dem gegenwärtigen unappetitlichen politischen Geschehen begegnen.

Verbrauchergewohnheiten zeigen, dass sich in den letzten Jahren die Unterschiede zwischen den Bürgern in verschiedenen Ländern der Welt deutlich verringert haben. Global gesehen, unterscheiden wir uns offenbar nur noch in Details. Allerdings reicht es schon, nach einer Weile im Ausland in die Slowakei zurückzukommen, um augenblicklich die zahllosen Unterschiede zu bemerken. Die Sprache ist vulgärer, die Mode konservativer, die Massenmedien sind oberflächlicher, die Taxifahrer dreister, die Rentner verbitterter, die Witze obszöner, die Polizisten arroganter, die Kirchen robuster und die Filme langweiliger. Die Reklame arbeitet noch stärker mit der Holzhammermethode, und der Alkohol hat eine schlechtere Qualität.

Alles hat seine Ursache, und die Tatsache, dass die Menschen in Bratislava durchschnittlich neun Jahre kürzer leben als die Wiener, sagt ebenfalls viel über die Lebensbedingungen aus. Genauso bezeichnend ist es, dass der einzige Anlass, der die Slowaken massenhaft zusammenbringt, die Eishockey-Meisterschaft ist. Oder sind dies etwa jene idealen »Neuen Bürger«, deren Allianz Áno seit den Wahlen im September in der Regierung sitzt?

Die Leute hier sind nicht schlecht. Nur unbelehrbar. Nun sind sie darüber hinaus der organisierten Täuschung durch die populärsten Massenmedien ausgesetzt. Ruskos neuestes Projekt ist die Liberalisierung des Abtreibungsgesetzes. Die Katholiken in der Regierungskoalition lehnen sie natürlich ab. TV-Markíza hat den Streit inzwischen aber zum wichtigsten Thema gemacht, der alle anderen Debatten überlagert. Und prompt sind die Korruptionsskandale der letzten Wochen vergessen, in die auch Rusko verwickelt sein soll.

Innenminister Palko sagte Anfang Oktober, dass die Redakteure von Markíza zu den mafiosen Gruppen der Gegenwart zählten, die versuchten, den slowakischen Staat zu beherrschen. Aber was heißt schon Mafia? Es hat bei uns Tradition, dass Besitz und Macht sich bei einer kleinen Gruppe von Personen konzentrieren. Nirgendwo auf der Welt findet man so viele Cliquen, Seilschaften oder Klassentreffen wie hier. Nirgendwo sonst erfährt man, wenn man den Chefs großer Firmen vorgestellt wird, augenblicklich alle Details über die Teilnehmer des üppigen Saufgelages vom Vorabend.

Es existiert eine wissenschaftliche Theorie, nach der zwei beliebige Leute auf dieser Erde über eine Kette von nur sechs Personen miteinander bekannt sind. Dabei kann der eine aus Sidney stammen und der andere in Alaska leben. Wer weiß, wie sich der Premier und sein Wirtschaftsminister, der Popularisierer des Wortes »áno«, kennen gelernt haben? Wer weiß, wie gut sie sich kennen, was sie so alles voneinander wissen?

Ein Berater von Ministerpräsident Dzurinda: »Die Slowakei war in den Augen des Auslands immer irgendein seltsames, wenn nicht gar wildes Land. Das Erste, was man tun musste, nachdem man die Grenzen überquert hatte, war zu erklären, was denn da eigentlich bei uns los ist.«

So könnte man über die Slowakei, über ganz Mitteleuropa fantastische Geschichten erzählen und behaupten, es sei die reine Wahrheit. Niemand würde diese Geschichten jemals nachprüfen. Die Länder dort haben für die Westeuropäer eher etwas Unwirkliches. Sie glauben, dass in jenem Teil des Kontinents alles, aber auch alles möglich ist.

Michal Hvoreckys Buch »Jäger & Sammler« erscheint im März im Triton Verlag, Wien.