Wählermob und Peitsche

Bei den Wahlen in Guatemala will der Ex-Diktator Ríos Montt Präsident werden – mit allen Mitteln. von marco schopferer, guatemala-stadt

Eines ist schon jetzt sicher: Die Wahlen am 9. November in Guatemala werden in die Geschichte des mittelamerikanischen Landes eingehen. Noch nie haben über 20 000 Polizisten, 1 400 Sanitäter des Roten Kreuzes sowie 3 000 unabhängige Wahlbeobachter aus dem In- und Ausland eine Wahl begleitet. Sämtliche Krankenhäuser, die Feuerwehr, das Militär und der Katastrophenschutz wurden in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt. Die staatliche Wahlbehörde rechnet in 205 der insgesamt 331 Gemeinden mit gewalttätigen Ausschreitungen. Das Innenministerium spricht hingegen von allenfalls 50 Gemeinden, in denen der Mob am Wahlabend toben könnte.

Der Energieminister will dennoch für drei Tage den nationalen Notstand ausrufen, um der privatisierten Energiewirtschaft den Stromverkauf an Nachbarländer wie El Salvador zu verbieten. Diesmal soll das Licht im ganzen Land nicht ausgehen, wenn die Urnen nach Schließung der Wahllokale zur Zählung geöffnet werden. Und für alle Fälle will die Wahlbehörde unzählige Notstromaggregate in den nächsten Tagen installieren. Man scheint für alle Eventualitäten gerüstet, und die Medien haben längst den 9. November zum historischen Schicksalstag für die Zukunft Guatemalas erklärt.

Dabei ist gerade für die Presse des Landes eines klar: Eine Wiederwahl der regierenden rechtsradikalen FRG (Republikanische Front Guatemalas) muss verhindert werden. Und der Feind hat einen Namen: Efraín Ríos Montt. Der 77jährige General, blutiger Diktator in den Jahren 1982 und 1983, ist Parlamentspräsident, Sektengründer, FRG-Parteichef und Präsidentschaftskandidat. Die wohl wichtigste guatemaltekische Tageszeitung Prensa Libre scheut sich nicht, ihn in Kommentaren mit Hitler und Mussolini zu vergleichen, ihn als Verbrecher oder Massenmörder zu betiteln, ihn in Karikaturen mit einem Hakenkreuz zu schmücken oder mit der zum Hitlergruß erhobenen rechten Hand darzustellen.

Und mit ebensolchem Ehrgeiz, wie in der medialen Öffentlichkeit gegen den greisen General vorgegangen wird, kämpft er für sein Votum. Dabei sind alle Mittel erlaubt. Er mobilisierte die ehemaligen Paramilitärs, ließ sie von seinem Parteifreund, dem amtierenden Präsidenten Alfonso Portillo, zu »Helden des Vaterlandes« erklären, auch wenn sie nach Uno-Schätzung über 10 000 Menschen – meist Indígenas – während des Bürgerkrieges in den achtziger Jahren umgebracht haben sollen. Sie entführten letzte Woche vier Journalisten, nahmen letzten Sommer im Departement Peten tausende Einwohner und Touristen als Geiseln.

Dennoch erhielt rund eine halbe Million ehemaliger Paramilitärs in den letzten Wochen und Monaten eine stattliche Zuwendung des Staates in Höhe von umgerechnet 200 Euro, was etwa zwei Monatslöhnen entspricht. Und das Versprechen von Ríos Montt steht: »Bei unserer Wiederwahl gibt es zusätzlich zwei Zahlungen für jeden.« So kauft man Stimmen und riskiert die Aufkündigung des am 26. Dezember 1996 geschlossenen Friedensvertrages durch die linke Ex-Guerilla URNG (Nationale Revolutionäre Einheit Guatemalas) und einen Rückfall des Landes in den Bürgerkrieg.

Dabei lag die Zahl der Paramilitärs während des Bürgerkrieges noch weit höher. Zwischen 780 000 und einer Million Mann waren damals der Armee unterstellt. Dass die Regierung jetzt »nur« jedem zweiten eine finanzielle Entschädigung anbietet, ist wohl eine weitere Taktik, um für Unruhe im Land zu sorgen. Für diese Woche hat ein Sprecher bereits Blockaden angekündigt und damit gedroht, die Wahlen in weiten Teilen des Landes zu verhindern, sollten nicht bald Zahlungen an die restlichen Paramilitärs erfolgen.

Dabei ergießt sich der Geldsegen der regierenden FRG im Wahljahr auch über weitere Teile der Bevölkerung. Derzeit erhalten Bauern subventioniertes Saatgut, kostenlose Hacken und Schaufeln, Regierungsanhänger zusätzlich Baumaterial geschenkt. Oppositionelle Bürgermeister beklagen, dass »zivile Komitees« unter FRG-Führung in den Gemeinden plötzlich Straßen asphaltieren und Wasserleitungen verlegen. Das soll Wählerstimmen bringen.

Und das Konzept von »el General« geht noch weiter. Die nach der letzten Wahl führende Oppositionspartei, die konservative PAN (Partei des Nationalen Fortschritts), hat sich zwischenzeitlich in drei Parteien aufgespalten. Die Zersplitterung des konservativen Lagers soll der Generalsekretär der PAN, Leonel Lóbez Rodas, initiiert und dafür mindestens 300 000 Dollar von Ríos Montt und seiner FRG erhalten haben. Das will zumindest die seriöse Tageszeitung El Periodico aufgedeckt haben.

Sind die Konservativen geschwächt, steigen die Wahlchancen des Ex-Diktators. Und tatsächlich: Wollten laut Umfragen des Meinungsforschungsinstituts Vox Latina im Frühjahr noch deutlich über 50 Prozent den konservativen Kandidaten Oscar Berger zum neuen Präsidenten wählen, sind es nun nach der neuerlichen Spaltung nur noch 37,2 Prozent.

Doch womöglich geht diese Rechnung nicht auf, und der gemäßigte linke Kandidat Alvaro Colom geht aus dem Wahlspektakel als lachender Dritter hervor. Noch vor fünf Jahren war er Aktivist der linksradikalen Ex-Guerilla-Partei URNG, wechselte nach deren Spaltung zur sozialistischen ANN (Vereinigung Neue Nation), um bald darauf seine eigene Partei, die UNE (Nationale Hoffungspartei), zu gründen und nun im Wahlkampf für die konsequente Vollstreckung der Todesstrafe einzutreten. Auch er soll übrigens Geld von finanzkräftigen Anhängern der regierenden rechtsradikalen FRG für seinen Wahlkampf erhalten haben.

Glaubt man den Umfragen – was in Guatemala allerdings kaum jemand tut –, liegt der ansonsten farblose Kandidat in der Wählergunst auf Platz zwei. Kommt es bei einem neuerlichen Wahlgang im Dezember zu einer Stichwahl zwischen ihm und dem favorisierten Óskar Berger, wollen zumindest acht weitere Präsidentschaftskandidaten (von der konservativen PAN bis zur linken URNG) ihre Wähler aufrufen, Colom zu wählen. Es gilt unter politischen Beobachtern als wahrscheinlich, dass ein im ersten Wahlgang unterlegener Ríos Montt seine rechtsradikalen Parteianhänger ebenfalls auffordern könnte, am 28. Dezember Colom – und damit »links« – zu wählen. Der Hauptfeind der Opposition steht fest: Ríos Montt und seine FRG. Ist seine Wiederwahl verhindert, will man gegen den konservativen Liebling der Großindustrie und der USA, Oscar Berger, vorgehen. Auch mit Hilfe der rechtsradikalen FRG.

Nur eines sollte man bei dem ganzen Wahlspektakel nicht vergessen. Selbst wenn Ríos Montt derzeit nach Meinungsumfragen auf Platz drei oder vier liegt, ist für fast jeden Guatemalteken klar: Der General kann es schaffen. Notfalls mit Wahlbetrug. Für ihn steht viel auf dem Spiel. »Er hat nur zwei Möglichkeiten«, schrieb die Tageszeitung Prensa Libre kürzlich in einem Kommentar. Entweder er gewinnt die Wahl, oder er wandert unter einer neuen Regierung in den Knast. Egal, ob wegen Korruption in der gegenwärtigen Regierung oder wegen Völkermordes während des Bürgerkrieges.

Nur einen dritten Ausweg vergaß die Kommentatorin zu bedenken. Ein neuerlicher Militärputsch könnte den fanatischen Greis nach einer verlorenen Wahl ebenfalls an die Macht bringen. Sein Sohn ist bereits der höchste General der Streitkräfte. Und nach Medienberichten plant die FRG bereits jetzt, am Wahltag ein Chaos im ganzen Land anzurichten.