Wissen für die Elite

Die britische Labour-Regierung will höhere Studiengebühren einführen. Widerstand kommt von den Universitäten und aus der eigenen Partei. von matthias becker, london

Heuchlerin!« Die Schlagzeile schreit es in riesigen roten Lettern heraus, die Leser schlucken vor Empörung. Beschimpft wird hier Diane Abbott, Abgeordnete der Labour Party, die, wie investigative Ermittlungen der Zeitung ergeben haben, ihren Sohn auf eine Privatschule für jährlich 10 000 Pfund (etwa 14 500 Euro) schickt, anstatt ihn dem öffentlichen Bildungssystem anzuvertrauen. Enthüllungen dieser Art werden zurzeit mindestens einmal im Monat veröffentlicht und als veritabler Skandal wahrgenommen. Denn die politische Rollenverteilung sieht vor, dass Sozialdemokraten die öffentlichen Dienste zu verteidigen haben. Den sozialen Aufstieg ihrer Kinder dürfen Labour-Politiker nur heimlich organisieren.

Die britische Gesellschaft ist nach wie vor von rigiden Klassenschranken bestimmt, und diese werden durch ein zweigeteiltes Bildungssystem definiert. Ironie der Geschichte oder eisernes Gesetz der Oligarchie – gerade die Funktionäre, die heute den weiteren Umbau des Bildungssystems nach Marktkriterien vorantreiben, haben ihre Stellung nur durch die Bildungsreform in den siebziger Jahren erreichen können.

Dabei ist Nostalgie für den dahingegangenen britischen Sozialismus ganz unangebracht. Wirklich neu ist an New Labour kaum etwas. Effektive Umverteilung forderte die Partei in der Vergangenheit nur, wenn sie in der Opposition war. Ihr zentrales Ideal war nicht soziale Gleichheit, sondern Chancengleichheit: die Gelegenheit, auf gleicher Ebene miteinander zu konkurrieren. Diese Chancengleichheit sollte der Staat herstellen, daher die zentrale Bedeutung der Bildungspolitik. Mit seinem Gerede von der »Meritokratie« setzt Tony Blair diese Tradition nur fort.

Aber der Widerspruch zwischen dem Ausverkauf von öffentlichen Gütern und sozialdemokratischer Traditionspflege wird immer drückender. Vor zwei Wochen demonstrierten zwischen 20 000 und 30 000 Studenten in London gegen die geplante Erhöhung der Studiengebühren, laut den Organisatoren »die größte Studentendemo seit Jahrzehnten«. Das jüngste Projekt der Regierung ist ihr unpopulärstes. Die zulässige Jahresgebühr soll auf 3 000 Pfund (etwa 4 800 Euro) verdreifacht werden. 40 englische Universitäten wollen das neue Limit ausschöpfen. Mehr noch, diese Obergrenze gilt nur bis 2007, dann, so haben Universitäten wie Cambridge, Oxford und zahlreiche Londoner Colleges angekündigt, werden bis 12 000 Pfund fällig. Laut Umfragen lehnt nicht nur eine große Mehrheit der Bevölkerung die Pläne ab, sondern auch in Blairs eigener Partei befürwortet nur der engste Kreis um die Regierung das Vorhaben.

Dan Ashley, Sprecher der Nationalen Studierendenvertretung, fasst die Kritik zusammen: »Wenn diese Pläne durchkommen, werden in Zukunft verschiedene Universitäten unterschiedliche Gebühren verlangen. Die Studierenden werden dann entscheiden, welches Studium sie sich leisten können, nicht welches Studium sie wollen.« Ashley sieht gute Chancen, das Gesetz, das im Dezember im Parlament debattiert wird, noch zu verhindern, denn die Regierungsmehrheit ist bei diesem Vorhaben alles andere als sicher. Zahlreiche Labour-Abgeordnete werden selbst eine abgeschwächte Version nur widerwillig akzeptieren. Die Konservativen haben in ihrer Verzweiflung darüber, sich kaum noch als Opposition präsentieren zu können, eine politische Kehrtwendung vollzogen und sind nun auch dagegen, ebenso die Liberalen.

Das Gesetz wird, sollte die Bewegung auf der Straße nicht deutlich an Dynamik gewinnen, verabschiedet werden, aber einige Kompromisse enthalten. Kinder aus Familien mit einem Jahreseinkommen unter 10 000 Pfund sollen von den Gebühren befreit werden. Das bedeutet wenig. Denn wessen Familie so wenig verdient, ist wirklich arm und wird aller Wahrscheinlichkeit nach die Universität gar nicht erst erreichen. Die bisher übliche Vorauszahlung soll abgeschafft werden; die Rückzahlung wird erst nach dem Studienabschluss fällig, wenn ein Jahreseinkommen von mindestens 15 000 Pfund erreicht wird.

Das Strategiepapier »Die Zukunft der höheren Bildung« legte im Januar dieses Jahres die weiteren bildungspolitischen Pläne offen, höhere Studiengebühren sind da nur ein Aspekt. Viel sei erreicht worden, doch nun müsse es weitergehen, denn Stillstand bedeutet Rückschritt. Premierminister Blair sprach im vergangenen Jahr von der »Konkurrenz auf einem real existierenden Weltmarkt«, auf der sich britische Universitäten behaupten müssten. Im Kampf um die Besten und um Wissen als Ressource und Standortvorteil trete Großbritannien nicht mehr nur gegen amerikanische Eliteunis, sondern zunehmend auch gegen Hochschulen in Indien und China an.

Streicht man das ideologische Gedröhn weg, bleibt kaum mehr als die Entschlossenheit, die höhere Bildung künftig als staatlich regulierten Markt zu gestalten. Die Regierung fordert Diversifizierung von den Universitäten. Diese sollen sich auf die eigenen Stärken konzentrieren und die erfolglosen Fakultäten abschaffen. Kontrollmechanismen seien nötig, um »die Guten« belohnen zu können. Deshalb sind zahlreiche weniger erfolgreiche Institute und Fakultäten vehement gegen die Pläne. Zur angestrebten Spezialisierung der Universitäten gehört auch, dass sich auch reine Lehranstalten Universität nennen dürfen. Das bedeutet das Ende der geliebten Einheit von Forschung und Lehre. Die Forschung soll noch mehr an den Interessen der Privatwirtschaft orientiert werden. Unternehmen, die für sie interessante Forschungsprojekte finanziell unterstützen, werden schon heute indirekt staatlich subventioniert: Wer viel Drittmittel sammelt, wird vom Bildungsministerium als gut bewertet und erhält zusätzliche Mittel. Die Regierung argumentiert mit Statistiken, die zeigen, dass Studienabgänger mit Abschluss durchschnittlich mehr verdienen. »Nur gerecht, dass auch zahlt, wer profitiert«, so das Argument, dem die studentischen Aktivisten wenig entgegenzusetzen haben. Der verbreitete Hass der englischen Proletarier auf Studenten und die allgegenwärtige kulturelle Kluft zwischen ihnen tun ihr übriges, um Solidarität gar nicht aufkommen zu lassen.

Die Regierung hat tatsächlich die Ausgaben im Bildungsbereich enorm erhöht. Aber gleichzeitig steigt die Zahl der Studierenden, und tatsächlich stagnieren die Ausgaben pro Studienplatz seit sechs Jahren. Nach einer Zielvorgabe der Regierung soll in den nächsten Jahren die Hälfte aller Jugendlichen eine Hochschule besuchen. Erreicht werden soll das vor allem mit dem Ausbau von Fachhochschulen und »berufsnahen« Studiengängen. Dazu brauchen die Hochschulen mehr Geld. Wer also wird »Bildung, Bildung, Bildung!« finanzieren, wenn nicht die Studenten selbst? Für Dezember mobilisieren sie für die nächste Großdemonstration.