Ein Forum war möglich

In der Forderung nach einem »anderen Europa« sind sich die Aktivisten des Europäischen Sozialforums einig. Dennoch liegen ihre Vorstellungen oft weit auseinander. von bernhard schmid, paris

Guido Calderone lächelt verschmitzt: »Die Herren waren noch am frühstücken, als wir hereinplatzten. So früh am Morgen hatten sie wohl nicht mit einer ›Invasion der Barbaren‹ gerechnet.« Der Journalist der italienischen linken Zeitung Liberazione schildert, wie am vergangenen Freitag Franzosen und Italiener gemeinsam das Arbeitsministerium besetzten. Die Demonstranten blieben für eine knappe Stunde.

Die französischen Teilnehmer waren überwiegend intermittents du spectacle, prekäre Kulturschaffende. Deren soziale Rechte werden durch ein Abkommen massiv beschnitten, das am vergangenen Freitag erneut durch die so genannten Sozialpartner unterzeichnet wurde. Zu ihnen gesellte sich eine größere Zahl von Italienern, die Sympathie für ihren Kampf ausdrückten. Zumindest kurzfristig und symbolisch scheint sie stattgefunden zu haben, die Konvergenz der Kämpfe.

Auch am Samstagnachmittag ist es die gemeinsame Koordination von streikenden Kulturschaffenden und anderen prekär Beschäftigten, die die internationale Demonstration zum Abschluss des Europäischen Sozialforums (ESF) eröffnet. Erst danach kommt, mit etwas Abstand, der Prominentenblock. Der deutsche Verdi-Vorsitzende Frank Bsirske ist ebenso dabei wie die Sprecherin der linken Basisgewerkschaften Sud aus Frankreich, Annick Coupé.

Anschließend folgt ein buntes Durcheinander von etwa 100 000 Teilnehmern, von denen ebenso viele spanisch, italienisch und englisch sprechen wie französisch. Deshalb darf auch das Babel-Team ganz vorne laufen. So bezeichnen sich die mehreren hundert ehrenamtlichen ÜbersetzerInnen, die seit drei Tagen unentgeltlich eine beeindruckende Arbeit geleistet haben.

Auch wenn in unterschiedlichen Sprachen kommuniziert wird, so scheint es doch wenigstens einige gemeinsame Grundideen zu geben. Auf der Ebene der Slogans jedenfalls ist das eindeutig. Verbindende Wirkung hat offensichtlich vor allem die Devise: »Gegen das Europa des Kapitals und des Krieges.« Die Vorstellungen, wie dieser »andere« Kontinent aussehen könnte, gehen bisweilen freilich weit auseinander.

Das Sozialforum aus Madrid fordert, neben einer Absage an Krieg und Kapital, auch »ein republikanisches Spanien für morgen« und die Abschaffung der monarchischen Verfassung sowie die Ablehnung der geplanten EU-Verfassung. Ein rosa gekleideter Schwulenblock verkündet: »Unser Begehren schafft Unordnung.« Er nimmt auch Stellung zu einer drohenden Militarisierung der EU und zur britischen Beteiligung an der Besatzung im Irak: »Make love your only occupation.« Die Linksruck-Internationale – vor allem die Mitglieder der britischen Socialist Workers Party (SWP) erschienen sehr zahlreich – ruft quer durch die Demo: »A – a – anticapitalista«. Atomkraftgegner tragen weiße Schutzoveralls und rollen Fässer mit dem Radioaktivitätszeichen. Die Studenten von Rennes, die seit zwei Wochen im Streik sind, fordern den allgemeinen Ausstand an den Hochschulen gegen die drohenden »Reformen« im Universitätsbereich.

Gibt es bei all dem eine Konvergenz zwischen Forderungen und Analysen? Gesucht danach wurde auf jeden Fall in den dreitägigen Debatten. So beschloss das Forum, das über die extreme Rechte in Europa diskutierte und den Diskurs der »alternativen Globalisierung« gegenüber Nationalisten abzuschotten versuchte, eine gemeinsame Kampagne. Vor den Europaparlamentswahlen im Juni kommenden Jahres soll überall der Einzug rechtsextremer Kandidaten verhindert werden. Dabei sollen auch die jeweiligen Analysen der Ursachen rechtsextremer Wahlerfolge länderübergreifend diskutiert werden. In den Foren über die Rechte von Einwanderern wurde die Forderung nach kontinentaler Niederlassungs- und Bewegungsfreiheit in den Mittelpunkt gestellt und die Entwicklung hin zu einem gemeinsamen Migrationsregime der Union debattiert.

Divergenzen prägten vor allem dort die Debatten, wo es um eine Bewertung der Rolle der Europäischen Union in der Welt ging, vor allem in ihrem Verhältnis zu anderen Kontinenten. In zwei Foren wurde über die EU-Assoziierungsabkommen mit Marokko, Algerien und Tunesien sowie über die anvisierte »Freihandelszone« rund ums Mittelmeer diskutiert.

Teilnehmer von Attac-Marokko, tunesische Gewerkschafter und algerische Wirtschaftswissenschaftler bezeichneten die EU dabei als Dominanzfaktor. Als Regionalmacht suche sie ihre Kapitalinteressen auf ähnliche Weise auf Kosten des Südens durchzusetzen, wie die USA dies oftmals in Lateinamerika praktizierten. Ihnen widersprach allerdings der tunesische Menschenrechtsaktivist Khemais Chamari. Die EU verteile doch Subventionen an Vereinigungen aus der »Zivilgesellschaft«. Darin liege eine Chance, die man nutzen müsse. Darüber gab es Streit.

Anderswo machten sich die unterschiedlichen Bewertungen bereits im Titel bemerkbar. So ging es in einem Seminar um »die Militarisierung Lateinamerikas und die Rolle Europas bei Waffenverkäufen und militärischer Kooperation«. Entsprechend kritisch äußerten sich die französische Trotzkistin Janette Habel und Gastredner aus Argentinien, Paraguay, Kolumbien und Guatemala über die Geschäfte von EU-Regierungen mit Militärs und Diktatoren. Hingegen drehte ein anderes Seminar sich um den »Beitrag Europas beim Aufbau von Frieden und Demokratie am Beispiel Zentralamerikas und der Andenregion«. Hier diskutierten vor allem katholische und karitative Organisationen über die positive Rolle, welche europäische Hilfsprogramme nach dem Ende regionaler Bürgerkriege spielen könnten.

Dass die unterschiedlichen Konzeptionen nicht immer hart aufeinander prallten, dafür sorgten schon die große Zahl an Diskussionsforen und die geographische Dezentralisierung des ESF über den Nordosten von Paris und drei Vorstädte. Sie sollte eigentlich dazu dienen, die jeweilige örtliche Bevölkerung stärker einzubeziehen, erwies sich jedoch als erschwerender Faktor für einen reibungslosen Ablauf des ESF.

Am Ende sollten die Teilnehmer nicht nach Athen, Berlin, Madrid oder Bologna zurückkehren, ohne dass ein gemeinsamer Aktionskalender verabschiedet worden wäre. Eine Delegiertenversammlung am Sonntag hielt in der Abschlusserklärung mehrere Termine fest. Die Erklärung ruft dazu auf, an »allen Aktionen teilzunehmen, die von den sozialen Bewegungen organisiert werden«. Insbesondere solle ein gemeinsamer europäischer Aktionstag vorbereitet werden. Dass der Termin bisher nicht präzisiert wurde, führen die meisten Teilnehmer darauf zurück, dass die anwesenden Gewerkschaften ihn zuerst in ihren eigenen Organisationen diskutieren wollen. Zu hoffen ist nur, dass das nicht zu einem Begräbnis erster Klasse führt.

Zwei Termine stehen indes bereits fest. Am 20. März will man sich in Europa einer Demonstration anschließen, welche die US-Antikriegsbewegung bereits lanciert hat. Dabei geht es unter anderem gegen die Besatzung des Irak und um »Unterstützung für die israelischen und palästinensischen Bewegungen, die für einen gerechten und dauerhaften Frieden kämpfen«. Und am 9. Mai soll die Kritik am EU-Verfassungsentwurf, der Marktmechanismen zur Grundlage der Union erklärt und ferner das »christliche Kulturerbe« als dessen Fundament festschreiben will, durch Proteste in ganz Europa deutlich werden.