Nachrichten

Intifada in Wien

Österreich. Ausgerechnet eine jüdische Gedenkveranstaltung zur Reichspogromnacht am 9. November in der Wiener Zirkusgasse nutzte eine zehnköpfige linke Gruppe, um, ausgestattet mit palästinensischen Fahnen und einem Lautsprecher, lautstark das stille Gedenken zu stören. Mitglieder und Sympathisanten der antizionistischen Gruppe »Sedunia« skandierten »Mörder, Mörder! Israel, USA, SA, SS!« Nach einem kurzen Gerangel konnten die Störer von der Polizei und von einzelnen Teilnehmern der Gedenkkundgebung jedoch abgedrängt werden.

In einem Beitrag im Forum der »Sedunia«-Homepage proklamiert ein gewisser »Sh’Karr«, Israel betreibe bereits seit einem halben Jahrhundert einen »ununterbrochenen Genozid am palästinensischen Volk«. In der österreichischen Hauptstadt agiert schon seit längerem ein antisemitisches Bündnis aus traditionellen Antiimperialisten, Nazis und Islamisten.

Folter statt Tod

Türkei. Die Türkei schafft nun offiziell die Todesstrafe ab. Vergangene Woche ratifizierte die türkische Regierung das Protokoll des Europarats zur Abschaffung der Todesstrafe, das nur Russland und Serbien-Montenegro noch nicht unterschrieben haben. Der Generalsekretär des Europarats, Walter Schwimmer, sprach von einem »Meilenstein auf dem Weg zu einem Europa ohne Todesstrafe«. Die Türkei dagegen dürfte dem Beitritt zur EU ein Stück näher gekommen sein.

In ihrem Jahresbericht zur Entwicklung in der Türkei kritisiert die EU allerdings die fortgesetzte Folterpraxis in der Türkei. Erst am Donnerstag verurteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Strasbourg die Türkei wegen Folter und unmenschlicher Behandlung von 16 Anwälten. Die Männer waren 1993 wegen angeblicher Unterstützung der PKK festgenommen worden. Medizinische Gutachten bestätigten, dass sie während der bis zu vierwöchigen Haft misshandelt wurden, damit sie Geständnisse ablegten.

Eisenstangen und Tomaten

Spanien. In der südspanischen Tomatenanbauregion El Ejido machen seit einigen Monaten Jugendbanden Jagd auf marokkanische Arbeitsmigranten. Seit August sind allein 20 Fälle bekannt geworden. Die Dunkelziffer dürfte indes weit höher liegen, da sich viele Opfer nicht zur Polizei wagen, da sie über keine gültige Aufenthaltsgenehmigung verfügen.

Vor drei Jahren gingen die Pogrome gegen migrantische Arbeiter in der Region Almeria weltweit durch die Presse. Ein mit Eisenstangen, Molotowcocktails und Jagdgewehren bewaffneter Mob brannte damals die ärmlichen Unterkünfte der Migranten nieder und veranstaltete Hetzjagden. Drei Tage dauerten die Ausschreitungen, bevor die zuschauende Gemeindepolizei und die Guardia Civil einschritten. Die marokkanischen Arbeiter antworteten auf die Angriffe mit spontanen Streiks für höhere Löhne, Legalisierung und bessere Arbeits- und Lebensbedingungen. Bis heute wurde niemand wegen der Ausschreitungen zur Rechenschaft gezogen, nicht einmal gegen die Rädelsführer wurden Verfahren eingeleitet.

Union franco-allemande

Frankreich. Die EU vergrößert sich auf 25 Mitgliedsstaaten und wird entscheidungsschwach? Kein Problem. In Paris denkt man bereits laut über eine verstärkte Zusammenarbeit Frankreichs und Deutschlands nach. Wie die Tageszeitung Le Monde berichtet, lobte Außenminister Dominique de Villepin in einer Rede vor dem Think Tank Le temps réel die Idee einer »deutsch-französischen Union« in der Außen- und Verteidigungspolitik. Auch in den Bereichen Wirtschaft und Soziales könnten Deutschland und Frankreich gemeinsam auftreten. Noch nie seien die Beziehungen zwischen den beiden Staaten so gut gewesen. »Was bleibt Frankreich, wenn das Europa der 25 scheitert? Die Initiative der deutsch-französischen Annäherung«, meint auch Premierminister Jean-Pierre Raffarin. Le Monde schwärmt von der Idee: Die Zeit sei reif. Bliebe nur noch das Problem der demokratischen Kontrolle einer solchen Union.

Alle Räder stehen still

Österreich. Es war der längste Streik in der Geschichte der Österreichischen Bahnbetriebe (ÖBB). Drei Tage lang waren 47 000 Beschäftigte gegen die geplante Privatisierung der ÖBB und die Lockerung des Kündigungsschutzes im Ausstand. Statt auf ihren Reformplänen zu beharren, willigte die Regierung schließlich in neue Verhandlungen ein. Österreich, bislang schläfriges Schlusslicht in der Streikminutenstatistik der International Labour Organization (ILO), geht offenbar einer Zeit bisher unbekannter sozialer Konflikte entgegen. Bereits im Mai organisierte der Österreichische Gewerkschaftsbund (ÖGB) Streiks gegen die Rentenreformpläne der amtierenden Regierung – und scheiterte. Damals zeigte sich die rechtskonservative Regierung in Wien noch demonstrativ unbeeindruckt.

Erst langsam verabschieden sich die österreichischen Gewerkschaften vom jahrzehntelang praktizierten »sozialen Ausgleich«. Da besteht Gewöhnungsbedarf: Die öffentliche Meinung in Österreich stand dem Bahnarbeiterstreik indifferent bis ablehnend gegenüber. In welchem Ausmaß sich das jahrelange neoliberale Trommelfeuer von der »nationalen Standortgemeinschaft« bereits in den Köpfen der Österreicher sedimentiert hat, belegt eine Umfrage. Lediglich 23 Prozent der Befragten hielten die Streiks für legitim. Der öffentlich-rechtliche Fernsehsender ORF und die Kronenzeitung starteten eine Kampagne gegen die »unverantwortlichen Streiks«. Der ÖBB-Vorstand drohte den Streikenden mit Entlassungen und Schadensersatzklagen.