Signale aus dem All

Europäische Weltraumpolitik

»Ohne Galileo droht Europa zum Vasallen Amerikas zu werden.« Mit solch markigen Worten hat der französische Präsident Jacques Chirac lange für ein europäisches Satelliten-Navigationssystem geworben. Ganz so deutlich wollte sich Philippe Busquin nicht ausdrücken, als er vergangene Woche in Brüssel einen Aktionsplan für die europäische Weltraumpolitik vorstellte. Doch auch der für Wissenschaft und Forschung zuständige EU-Kommissar machte klar, die EU müsse in der Raumfahrt »Unabhängigkeit erlangen«.

Und Unabhängigkeit bedeutet auch in diesem Fall Abkopplung von den USA. Mit ihrem Global Positioning System (GPS) sind sie bislang die einzigen Anbieter von Satellitennavigation. Das GPS wurde zwar für militärische Zwecke aufgebaut, doch es bietet mittlerweile auch umfangreiche Möglichkeiten ziviler Nutzung. Immer jedoch mit der Einschränkung, dass der kostenlos nutzbare zivile Teil von den USA jederzeit reduziert oder sogar zeitweise ganz geschlossen werden kann. Dies war während des Jugoslawienkriegs der Fall, als die US-Streitkräfte um die Sicherheit bei ihren Operationen fürchteten.

Deshalb soll ab 2008 das europäische System Galileo in Betrieb genommen werden, um eine lückenlose zivile Nutzung zu garantieren. Eine militärische Verwendung der insgesamt 30 Satelliten sei nicht vorgesehen, beteuerten die Verantwortlichen aus Politik und Industrie noch vor wenigen Wochen. Doch interne Vermerke der EU-Kommission ließen nie einen Zweifel daran, dass die militärische Unabhängigkeit das zentrale Anliegen des Projekts ist.

In dem in der vergangenen Woche vorgestellten Weißbuch wird nun erstmals herausgearbeitet, welchen Beitrag Galileo für eine eigenständige europäische Verteidigungspolitik leisten soll. Darin heißt es unter anderem, die »Fähigkeit zu autonomer Entscheidungsfindung« mache den »langfristigen Zugang zu strategischen Informationen« erforderlich. Als mögliche Einsatzbereiche werden neben der »effektiven Kontrolle illegaler Einwanderung« auch die Überwachung »potenzieller Sicherheitsbedrohungen und die Identifikation von humanitären Krisen« genannt. Außerdem könne Galileo auch die Streitkräfte bei ihren vielfältigen Aufgaben unterstützen.

Tatsächlich werden die Positionssignale für militärische Aktionen immer wichtiger. Von satellitengesteuerten Präzisionswaffen bis zur Überwachung von Truppenbewegungen – die moderne Kriegsführung ist auf das GPS der USA angewiesen. Für besonderen Unmut sorgt dort, dass der für Galileo vorgesehene Frequenzbereich unmittelbar neben jenen Frequenzen liegt, die vom US-Militär genutzt werden. Sollten die amerikanischen Streitkräfte also versuchen, einem Gegner die Nutzung von Galileo durch Störsignale unmöglich zu machen, würden sie damit auch das GPS beeinträchtigen.

Die Anfangsfinanzierung in Höhe von 1,1 Milliarden Euro bringen nun die Europäische Weltraumorganisation (ESA) und die EU zu gleichen Teilen auf. Hergestellt werden die Satelliten von dem Konsortium Galileo Industries, an dem unter anderem der europäische Rüstungskonzern EADS beteiligt ist. Anbieter außerhalb der EU haben nach den Worten von Rainer Grohe, Direktor bei Galileo Industries, »kaum eine Chance«, an der Entwicklung mitzuarbeiten. Man will eben auch rüstungsindustriell autonom bleiben.

Wie weit die Überlegungen zur Nutzung von Galileo reichen, wurde im Übrigen bereits im Oktober 2000 in Berlin auf einem Workshop zur sicherheitspolitischen Bedeutung des Systems offenbar. Dort kam unter dem Aspekt »Einsatzszenarien europäischer Streitkräfte« auch ein Handeln der EU »gegen das Interesse der USA« zur Sprache.

thorsten fuchshuber