Wau! Tierisch!

Das Schweizer Magazin Tierwelt ist enorm erfolgreich, obwohl es echt einen Vogel hat. von francis müller

Wer findet, hat nicht richtig gesucht«, lautet eine Postkartenweisheit, die man gut in die folgende verwandeln könnte: »Wer findet, hat in der Tierwelt gesucht.« Wahrlich – wir geraten sehr schnell an unsere mentalen Grenzen, wenn wir vertieft darüber nachdenken, was im kunterbunten Anzeigenmarkt der Tierwelt nicht angeboten wird. Alles gibt es, Kalaschnikows, japanische Höckergänse und den 32jährigen »Chrigi«, der auf diesem Wege eine Frau »für eine Beziehung voller Zweisamkeit« sucht.

Während sich in der Schweizer Medienbranche das große Zähneklappern breit macht, scheint »Wirtschaftskrise« im Verlag in Zofingen im Schweizer Mittelland ein Fremdwort zu sein. Mehr noch: Die Tierwelt verzeichnet sogar Zuwachsraten im Insertions- sowie im Abonnementsbereich. 1992 betrug die beglaubigte Auflage noch 62 757 Exemplare, 2002 waren es 71 867. Hatte die Tierwelt 1992 noch 142 918 Inserate, so waren es 2002 bereits 182 596.

Die Tierwelt steht für eine Schweiz jenseits der Urbanität. Es ist die ländliche Schweiz, in der gehandelt und gesammelt wird. Es ist die Schweiz, in der Archaisches wie die Anzahl Schafe oder Traktoren, die einer besitzt, seinen Reichtum repräsentieren.

Die politisch und konfessionell neutrale Tierwelt wird Woche für Woche von der SGK (Schweizerische Gesellschaft für Kleintierzucht) unter dem wahrlich glaubwürdigen Motto »Inseratenmarkt für alle und alles« herausgegeben. Das Magazin dient den Fachverbänden der SGK als offizielles Presseorgan: dem SRKV (Schweizerischer Rassekaninchenzucht-Verband), dem SRGV (Schweizerischer Rassegeflügelzucht-Verband) und dem SRTV (Schweizerischer Rassentaubenzucht-Verband).

Diese Verbände spiegeln sich auch im redaktionellen Bereich wider. Die Ressorts heißen nicht »Ausland«, »Feuilleton« oder »Wirtschaft«, sondern »Kaninchen«, »Brieftauben« oder »Vogelzucht«. Während sich Gesellschafts- und Kulturredakteure überall darauf vorbereiten, als Taxifahrer oder Betreiber einer Wurstbude alt zu werden, wird in den Redaktionsstuben in Zofingen frischfröhlich über Themen wie »Teenagerprobleme bei Kohlmeisen und Rauchschwalben«, »Gorillamann als Prügelknabe« oder »Mein Pferd schwitzt so stark!« berichtet. Und wenn ein Artikel »Luftakrobaten in Aktion« heißt, sind nicht etwa tollkühne Piloten gemeint, sondern dann geht es um das Kunstflugtauben-Treffen in Perlen im Luzernischen.

Solchen journalistischen Perlen zum Trotz dürfte die Tierwelt primär der Anzeigen wegen gekauft werden. Ein inzwischen nach Thailand ausgewanderter Gebrauchtwagenhändler aus dem Oberaargau hat mir einmal gestanden, dass ohne dieses Heft aber auch gar nichts ginge in seinem Business.

Doch manch einer stöbert auch nur einfach mal gerne in diesem kunterbunten Wirrwarr an Kleinanzeigen herum, denn es ist ja wirklich allerhand, was da angeboten wird: »Suche Ihre entlaufenen Tiere oder verlorene Sachen, Schlüssel, Portemonnaie; Lebensberatung und Partnerprobleme« verspricht ein Inserent, während »Wichser Waffen« mit der größten Waffenauswahl in der Schweiz prahlt und ein anderer eine »Blutwurst-Abfüllmaschine« verkauft.

Populär sind im Übrigen auch Zahnoperationen im Ausland (»Sonniges Lächeln aus Ungarn«), Sicherheitsunterwäsche (»geruchshemmend, diskret«), Militärküchen, Aufsitzrasenmäher, Wohnwagen, Schneepflüge, Obstpressen, Gartenhäuser, Feuerlöschposten, das Werkzeug, um Schafe zu scheren oder Eber zu kastrieren. Also alles, was ein zivilisierter Zeitgenosse heute so braucht.

Es wird jedoch nicht nur angeboten, sondern auch gesucht: Zähne (»aber aus Gold müssen sie sein«), Maschinengewehre (»Suche Uzi!«) und Männer (»Sandra, 41 Jahre, treu, sucht tierliebenden Mann, um gemeinsam Pferde zu stehlen«). Dass das Inserat von Sandra zwischen Kompressoren und einer Notstromanlage untergebracht ist, sollte niemanden weiter stören. Sind es nicht gerade die Kontraste, die unsere Welt so interessant machen?

Gold, Waffen und Liebe – der Stoff, aus dem die großen Dramen der Welt gestrickt sind. Dicke Post also, die da Woche für Woche in Zehntausende von Briefkästen flattert. Die Eigenwerbung der Tierwelt bringt es gut auf den Punkt: »Die Tierwelt hat jede Woche einen Vogel.« Wir haben es hier mit einem Heft zu tun, das man erfinden sollte, wenn es noch nicht existierte. Doch wer käme schon darauf?