Gescheiterte Pistensau

Sportarten im Selbstversuch IX: Ski fahren. Alle Österreicher können das. Nur einer nicht. Und das ist martin schwarz

Als Österreicher hat man im Ausland irgendwie immer Erklärungsbedarf. In Deutschland versteht einen keiner, wiewohl man doch irgendwie zum gleichen Sprachraum gehört. In den Vereinigten Staaten sind die Donut-Kids enttäuscht, wenn man in der Manteltasche doch nur ein Kaugummi mit sich spazieren trägt und keinen Apfelstrudel. In Tschechien führen einen wohlmeinende Freunde grundsätzlich in chinesische Restaurants, die »Kaiser Franz Joseph Sechuan« heißen und an deren Wänden tatsächlich Bilder des alten Herrschers hängen. In der Schweiz war ich noch nie und da will irgendwie auch keiner hin.

Als unsere Schulklasse vor nunmehr 15 Jahren auf Schüleraustausch nach Dublin geschickt wurde, war da auch wieder so ein traumatisches Erlebnis. Alle Schüler wurden von ihren Leiheltern abgeholt, doch mein Freund Premysl, ein verwestlichter tschechischer Immigrant, und ich, wir blieben stundenlang am Rugbyfeld, dem Übergabeort, sitzen. Keiner wollte uns. Ich wurde in die Familie eines rund 50jährigen Managers von Guinness eingemeindet und meine Leihmutter, eine damals noch voll im hormonellen Saft stehende Mittdreißigerin fragte zuerst: »Stimmt es eigentlich, dass Ihr in Österreich immer mit den Skiern in die Schule fahrt?« Ich wusste darauf nichts zu antworten, denn ein Blick auf die Landkarte hätte sie doch überzeugen müssen: Zu zwei Dritteln besteht dieses schnitzelartig sich durchs zentrale Europa ziehende Land aus Bergen, das andere Drittel ist Ödnis und Wien.

Also bleibt den Österreichern auch nichts anderes übrig, als Ski zu Fahren, wiewohl sie nicht mit den Brettern in die Schulen wedeln. Als geborener Österreicher aber kommt spätestens mit drei, vier Jahren der Zeitpunkt, an dem man endgültig die kulturellen Gene einer seltsamen Nation in Form von zwei windschnittig zugeschnittenen Holzbrettern an die Füße geschnallt bekommt: da wird man in die Skischule getrieben. Auch bei mir war’s so.

Drei Jahre war ich alt, als meine Eltern mich in einer Skischule am Hochkar, dem höchsten Berg des Bundeslands Niederösterreich, abgaben. Doch trotz massiver Verhandlungen war es dem Skilehrer damals offensichtlich nicht möglich, mich von dieser Fortbewegungsart zu überzeugen. Also hatschte der Rest des Nachwuchses stundenlang auf den kleinen Hügel, rutschte runter und so fort, während ich weinend am Pistenrand stand und schon damals überzeugt davon gewesen sein mag, dass lediglich der später tatsächlich einsetzende Treibhauseffekt samt Gletscherschmelze und milden Wintern mich vor dem ausweglosen Schicksal des Hobbyskifahrers retten könnte.

Auch später wird man hierzulande zum Ski Fahrenden Soziopathen herangezogen, weil Schulen auf ihrem Lehrplan mindestens eine Woche pro Jahr für den kollektiven Pistenwahnsinn reserviert haben. Ich war exakt zwei Mal dabei, beide Male mit eingegipstem Arm. Denn pünktlich vor dem Schulskikurs hatte ich es mir angewöhnt, aus fahrenden Zügen einer Schmalspurbahn zu springen und mir dabei den Arm zu brechen. Man nahm mich dennoch mit zum Klassenwedeln.

Leider. Denn mit den Frauen hat es auch dort wieder mal nicht geklappt. Irgendwie haftete mir nämlich das Stigma an, in der schlechtesten der drei Skigruppen zu sein, jene also, die vor allem in der Skihütte rumsitzen, am Pistenrand stehen und vor Tiefschneefahrten einen Respekt haben wie Kalifornier vor Erdbeben oder Nordkoreaner vor Kim Jong Il.

Nun verhält es sich in Österreich auch so, dass die Frage »Welche Skikursklasse hast du denn gemacht?« zum verbalen Interieur jeder gepflegten jugendlichen Unterhaltung gehört. Und wenn man nicht mindestens den Zweierkurs – also wedeln, rückwärts vom Berg rutschen, im Tiefschnee fahren und trotzdem nicht von einer Lawine vergraben werden – bestanden hat, ist man bei Mädchen so unten durch wie Dieter Bohlen bei Verona Feldbusch.

Skifahren erfüllt also eine ganz natürliche Funktion der Sozialisierung, denn in den Skihütten beim Après-Ski wird hierzulande geflirtet, wie es andere Nationen ganz ohne sportlichen Anspruch am Strand tun. Obwohl doch schon aufgrund der textilen Notwendigkeiten eigentlich jedes emotionale Andocken an das andere Geschlecht scheitern muss.

1996 fuhr ich mit einem guten Freund auf Einladung des slowenischen Tourismusverbandes für eine Woche zum Gratis-Skifahren in die slowenischen Alpen. An der Bar des sympathischen Hotels lernte ich dann eine total sympathische junge Russin kennen, die mit ihrem noch sympathischeren und um gute zwei KPdSU-Generalsekretäre älteren Freund auf Urlaub weilte. Eine Chance hatte ich in dem Skianzug aber trotzdem nicht, denn während ich darin aussah wie ein geplatzter Lkw-Reifen, hatte ihr Freund noch immer michelinmännchenartige Ausmaße, was den Schluss zulässt, dass man in so einer bunten Watteverpackung nur dann bojenartiges Aussehen vermeiden kann, wenn man halbwegs gut durchtrainiert ist.

Während andere Nationen entweder ordentliche Kriege entfesseln (USA, Irak), auf der Achse des Bösen liegen (Irak, Nordkorea), Touristen entführen (Algerien) oder einfach ganz bescheiden pleite sind (Deutschland), besteht des Österreichers nationale Bestimmung in der Absolvierung des Zweier-Skikurses, späterer Pragmatisierung als Beamter und des Erwerbs einer natürlichen Epilepsie im Angesicht von Fernsehkameras (Werner Schneyder, Hansi Mahr). Es ist wirklich so: Skifahren gehört zur Verösterreicherung wie die Kenntnis 54 verschiedener Kaffeesorten oder des Linkswalzers. Nicht jeder mag es mögen, aber die, die’s nicht mögen, werden von den anderen in den seltensten Fällen gemocht.

Was auch daran liegen mag, dass Österreicher seit dem Ableben Mozarts lediglich Pistengleiter als Idole gefunden haben und zwischenzeitlich Massenmörder. Karl Schranz, Franz Klammer, Hansi Hinterseer und jetzt Hermann Maier. Ein Aufschrei wogte durch die Alpenrepublik, als der vor zwei Jahren sommers mit seinem Motorrad im PKW eines deutschen Touristen einzuparken versuchte und sich schwerste Verletzungen an den Beinen zuzog. Mittlerweile ist die Maiermania abgeflaut wie die Erfolgsstatistik des Herminators, und entsprechend kopflos sieht das Land in die nächste Weltcup-Saison. Ich leiste mir, dazu keine Meinung zu haben. Meine Sozialisierung als Hobbypistenraupe ist frühzeitig gescheitert, mittlerweile hat eine Eingliederung auch keinen Zweck mehr. Übrigens hatte auch das Ausweichen auf den Langlauf keinen Zweck. Mitte der neunziger Jahre wollte ich jemanden mit meinen Langlaufkünsten in Schweden beeindrucken, musste aber erstmals am eigenen Leib erfahren, wie man sich etwa im Formel-1-Rennstall von Minardi fühlt, wenn man binnen zwei Stunden auf einem Rundkurs etwa acht Mal überrundet wird. Seitdem bewege ich mich sommers und winters nur noch per Pedes, per Straßenbahn, Flugzeug oder Taxi. Denn hätte Gott gewollt, dass der Mensch Ski fährt, hätte er ihm keine Zehen, sondern Kufen geschenkt.