Keine Dankbarkeit, kein Sex, keine Beziehung

Der Theaterregisseur René Pollesch hat eine TV-Soap gedreht. Es geht nicht um Liebe und so, sondern um Entfremdung im Kapitalismus. von christoph braun

Der Kapitalismus, René Pollesch würde ihn »globalen Scheißkapitalismus« oder so nennen, dieses Wirtschafts- oder Sonstwie–System jedenfalls, es produziert eine Menge enger Räume. So ist es nicht nur die rund um die Uhr geöffnete Internet-Wirtschaft allein, die in gewissen Milieuklumpen trockene Münder, Bezugslosigkeit und Klaustrophobie produziert, sondern die ganze Situation, in der wir leben. »Jet-Lag« nennt Pollesch das in seiner vierteiligen TV-Soap »24 Sunden sind kein Tag«. Die ersten beiden Folgen sind soeben bei 3Sat gelaufen, zwei weitere mit den Titeln »Gordon und Markus« sowie »Catrin und Pauline« stehen noch aus.

Die vom Regisseur selbst gespielte Figur René beschreibt mit dem »Jet-Lag« seinen geistig-seelischen Zustand angesichts der nimmer schließenden Geschäfte im World Wide Web. Das Internet hat die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit wohl endgültig gefressen. Galeristin, Programmierer und Webcam-Hure haben als Personalstab in »24 Stunden sind kein Tag« damit ein Problem. Akademisch gebildet und gestalterisch arbeitend, kommt ihnen die Weite abhanden in ihrer Mac-Kammer. Sie sind zu Ich-Zellen degeneriert, eingebettet und festgeschnurrt in einem Markt der Unverbindlichkeiten.

»Ich will doch irgendwas Zusammenhängendes fühlen«, sagt Nina. Ganz am Anfang der vierteiligen Serie hat die von Nina Kronjäger gespielte Galeristin versucht, sich die Zärtlichkeit von Tine zu kaufen. Tine ist die, die immer rumrennt und telefoniert, um sich Geld zu borgen. Doch macht ihr nicht nur das asoziale Verhalten der anderen einen Strich durch die Rechnung, sondern eben überhaupt der ganze dunkle Individualseparatismus des René Pollesch.

Mit seiner ersten TV-Serie schließt Pollesch an seinen eigenen Theaterzyklus an: »24 Stunden sind kein Tag« begann als Adaption des John-Carpenter-Films »Die Klapperschlange«, weshalb das Stück bei seiner Premiere vor gut einem Jahr in der Berliner Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz noch den aus dem Film adaptierten Zusatz »Escape from New York« trug. Die Neustadt, das soeben erst ausgemusterte Bühnenbild von Bert Neumann ebenfalls an der Volksbühne, war der passende Ort für dieses Schauspiel: Statt Fassaden gab es Gerüste und Wellbleche. Karg lagen Friseur-Läden, Wirtschaften und Shops in der verbrauchten Landschaft. Pollesch braucht eben die Stadt nicht mehr. Schon in seinem Stück »Heidi Hoh« war das so. Diese Inszenierung im Berliner Podewil machte Pollesch 1999 in der Stadt bekannt, und seitdem lässt er seine Theater- und nun Filmfiguren arbeiten, zuhause statt in Werk oder Büro. Selbstbestimmt sind sie und unglücklich.

In Stücken wie »www.slums«, »Smarthouse« und »Das revolutionäre Unternehmen« hauen sie sich die neuesten Theorien und Diskurse um die Ohren, doch vor allem geht es Pollesch immer um eines: All die Irms und Ingas und Thorstens müssen mit ihren Gefühlen und in ihren Körpern klar kommen. Deshalb wird gern getrunken und gekokst bei Pollesch, während der dargestellte Sex immer leicht erzwungen wirkt.

Mit Rainer Werner Fassbinders »Acht Stunden sind kein Tag« hat Polleschs TV-Arbeit letztlich wenig gemein. Mit der WDR-Serie aus dem Arbeitermilieu wollte Fassbinder 1972 sozialpolitisch aufklären. Pollesch arbeitet dagegen in einer Zeit, in der Sozialpolitik nicht für alle, auch nicht für viele, sondern vor allem »Für Dich!« gemacht wird: Für die Ich-AG als Arbeitszelle.

Pollesch spricht nur noch Kleinmilieus an, die ihm als Regisseur nahe stehen: Akademiker, Selbstständige, Künstler. Sie sind Qualifizierte mit ganz grundlegenden Schwierigkeiten. Sie haben sich von der lange Zeit als Traum geltenden Gleichsetzung von Leben und Arbeit entfremden lassen. Sie sehen vor lauter eigenständiger Identität ihre Außenwelt nicht mehr und irren bezugslos durch ihre Freiheiten.

»Bei ›24 Stunden sind kein Tag‹ geht es um die Warenförmigkeit von allem«, paraphrasiert Britta-Sängerin Christiane Rösinger das Geschehen in Polleschs Soap. »Liebe ist da Porno.« Die Berliner Indie-Rockerinnen von Britta spielen ein bisschen den Brechtschen Chor in der Serie. Den Titelsong haben sie geschrieben, und Britta-Songs wie »Ich bin zwei Öltanks« sollen das Geschehen illustrieren. Und wenn Irm (Irm Hermann, die auch schon in besagter Fassbinder-Serie mitspielte) Geburtstag in der Kneipe feiert, dann spielen Britta dort als Resident-Band. »Wir haben einmal am 1. Januar das traditionelle Neujahrskonzert in der Volksbühne gespielt. Das hat René Pollesch gesehen und war total begeistert«, erklärt Rösinger die Konstellation zwischen ihrer Band und Pollesch, die äußerst stimmig ist. Denn auch in den Songs der Band krümmt sich eine Großstadt-Bohème unter der Last der Verhältnisse und lebt ein Leben, das in Rösingers Diktion einer ganz bestimmten resignativen Moral folgt: »Es ist alles beklagenswert, aber wir machen trotzdem so weiter.«

Wo aber Britta-Lieder wenigstens von so sozialen Dingen wie Spielen (»Chinesisches Roulette«) und Lieblings-Clubs (»Die traurigsten Menschen von ganz Berlin«) zu berichten wissen, bleibt Polleschs Spielraum ganz finster. Was Tine (Christine Groß) am Anfang von »24 Stunden sind kein Tag« einfällt, wird zu einem Motiv der Serie. Sie imitiert Nina, als die beiden sich kennen lernen. Hier gipfelt die Hilflosigkeit der Polleschfiguren. Inga wird später Tine imitieren, der Persönlichkeitsverlust der einzelnen Figuren scheint voranzuschreiten.

Im Laufe der Serie entpuppt sich eben jene Tine als einzig vernünftiger Charakter, als einzige Figur, die alle dummen Zirkulationen zu unterbrechen vermag. Sie, die in jeder TV-Soap das Ekel wäre, also böse aus irgendeinem biografischen Grund, diese Tine verletzt ihr soziales Umfeld. Sie will und kriegt Geld, ohne dafür etwas zu geben. Von ihr gibt es keinen Sex (den unterbricht sie früh, um Nina nach Geld zu fragen), keine Dankbarkeit (sie bleibt asozial, auch wenn sie wieder eine Geldgeberin gefunden hat) und natürlich auch keine Bereitschaft für eine Beziehung. Sie bleibt völlig beziehungslos, sogar zum Euro.

Am Ende jeder Folge von »24 Stunden sind kein Tag« fordern Britta in ihrer Ton-Steine-Scherben-Coverversion: »Wir müssen hier raus.«

»24 Stunden sind kein Tag« von René Pollesch: Teil 3 und 4 am 26. November, 23.50 Uhr und am 27. November, 0.05 Uhr in 3 sat.