Neue Wege auf der Road Map

Durch die wachsende innen- und außenpolitische Kritik unter Druck geraten, reagiert Israels Ministerpräsident Ariel Sharon positiv auf die neuen Initiativen der Palästinensischen Autonomiebehörde. von andré anchuelo

Die Islamisten wollen sich noch nicht festlegen. »Wir sind nicht bereit, vergangene schlechte Erfahrungen zu wiederholen«, erklärte der Hamas-Führer Mahmoud al-Zahar zu den Bemühungen des neuen palästinensischen Premierministers Ahmed Qurei, einen zeitlich begrenzten Waffenstillstand, eine so genannte Hudna, abzuschließen. Wie der Islamische Jihad hat aber auch die Hamas zugesagt, in Ägypten über diese Frage zu verhandeln.

Die Vertreter der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) dagegen äußern sich betont friedensbereit. In der vorletzten Woche bestätigte das Parlament Qurei als neuen Premierminister und verschaffte der israelischen Seite, die mit dem PA-Vorsitzenden Yassir Arafat nicht sprechen will, einen offiziellen Verhandlungspartner. Er strecke Israel »aufrichtig« seine Hand entgegen, erklärte Qurei bei der Parlamentssitzung, und auch Arafat gab sich friedlich: »Wir verweigern dem israelischen Volk nicht das Recht, Seite an Seite mit dem palästinensischen Volk zu leben.« Man müsse aus dem »Teufelskreis dieses zerstörerischen Krieges ausbrechen«, sagte der PA-Vorsitzende weiter.

Und auch die israelische Seite bewegt sich. Neben der Aussetzung präventiver Militäraktionen stellte sie ein Treffen des israelischen Ministerpräsidenten Ariel Sharon mit Qurei in Aussicht.

Allerdings gab es das alles vor einem halben Jahr schon einmal, als die Ernennung von Mahmoud Abbas zum ersten PA-Premier große Hoffnungen weckte. Im Gegensatz zu Abbas hat Qurei, der schon vor Beginn seiner regulären Ernennung einige Wochen kommissarisch im Amt war, den Machtkampf mit seinem alten Kampfgefährten Arafat um die Kontrolle der Sicherheitsdienste bereits verloren. Nicht nur, dass Arafat seinen Kandidaten für den Posten des Innenministers durchsetzen konnte. Qurei nahm auch hin, dass die Befehlsgewalt über die verschiedenen PA-Milizen beim Nationalen Sicherheitsrat bleibt, der Arafat direkt unterstellt ist.

Angesichts der Tatsache, dass dieser Umgang mit den bewaffneten Einheiten der PA den Bestimmungen der Road Map, des bereits totgesagten Friedensplans des Nahost-Quartetts, widerspricht, verwundert die konziliante Haltung Israels. Zumal auch die Bedenken der Sharon-Administration gegenüber der »Hudna« fortbestehen. In Jerusalem fürchtet man, dass der Waffenstillstand den Palästinensern lediglich als Atempause dient, um sich zu reorganisieren und aufzurüsten. Solche Befürchtungen haben sich beim letzten Mal durchaus bestätigt.

Ein Grund für die veränderte Position der israelischen Regierung dürfte der wachsende innenpolitische Druck sein. Vor dem Hintergrund sich verschlechternder Umfrageergebnisse für Sharon und einer miserablen Wirtschaftslage könnte etwa das »Genfer Abkommen« der oppositionellen Arbeitspartei neuen Aufwind bescheren. Dieser in Jordanien zwischen einer Gruppe Israelis um den ehemaligen Justizminister Yossi Beilin und hochrangigen Mitgliedern von Arafats Fatah-Organisation entworfene detaillierte Plan für ein Friedensabkommen wird schon jetzt von etwa einem Drittel der israelischen Bevölkerung befürwortet. Seine israelischen Protagonisten führen derzeit eine groß angelegte Kampagne, um dem Plan zu weiterer Popularität zu verhelfen. So wird unter anderem jedem israelischen Haushalt eine Kopie des Textes zugeschickt. Anfang Dezember soll der Plan in Genf – die Schweizer Regierung ist wichtigster Vermittler des »Abkommens« – in einer symbolischen Zeremonie von Beilin und Yassir Abed Rabbo, einem Vertrauten Arafats, unterzeichnet werden.

Dass sich die Regierung in Jerusalem heftig über den ganzen Vorgang echauffiert, dürfte nicht nur mit dem Inhalt des Plans zu tun haben. Zwar basiert er im Wesentlichen auf bereits früher zwischen Sharons Vorgängern und palästinensischen Offiziellen erzielten Kompromissformeln, die von Sharon in dieser Form abgelehnt werden. Doch vor allem das positive Echo, das das »Genfer Abkommen« in weiten Teilen der Welt hervorgerufen hat, scheint für Sharon problematisch zu werden. Nachdem der Bau der israelischen Sperranlagen zur Westbank vor allem vor der Uno und in Europa für eine weitere Verschlechterung des israelischen Images gesorgt hat, wird Sharon durch die Ablehnung des »Genfer Abkommens« noch weiter in die Rolle des Friedensgegners gepresst.

Bei der notorisch antiisraelischen Uno und der EU, deren Beziehungen zu Israel sich ohnehin einem neuen Tiefpunkt nähern, hätte diese Entwicklung vielleicht noch verschmerzt werden können. Doch auch Washington signalisiert wachsende Unzufriedenheit mit Sharons Politik. Anfang November schickte US-Außenminister Colin Powell den Initiatoren des »Genfer Abkommens« einen Unterstützungsbrief – ein klarer Affront gegen Sharon.

Schwerer noch dürfte die Tatsache wiegen, dass Ende Oktober drei palästinensische Politiker zu einem offiziellen Besuch nach Washington eingeladen wurden. Es handelte sich dabei um Personen, die zwar auch untergeordnete Funktionen in der PA innehaben, vor allem aber als Fatah-Funktionäre profiliert sind. Die in London erscheinende arabischsprachige Tageszeitung al-Hayat stellte dazu fest, es sei »die erste Einladung an Führer einer palästinensischen Fraktion, die den ›bewaffneten Kampf‹ und Märtyrer-Operationen gegen israelische Ziele innerhalb Israels und in den palästinensischen Gebieten ausführt«.

Hinzu kommt, dass Sharon auch von israelischen Militär- und Geheimdienstkreisen öffentlich kritisiert wird. Bereits im Oktober hatte Generalstabschef Moshe Ya’alon die bisherige israelische Politik als kontraproduktiv kritisiert. Vor knapp zwei Wochen dann veröffentlichte das israelische Massenblatt Yedioth Achronoth ein Interview mit vier ehemaligen Leitern des Inlandsgeheimdienstes Shin Beth, der auch für die palästinensischen Gebiete zuständig ist. Den ehemaligen Spitzenagenten zufolge braucht Israel dringend eine politische Lösung des Konflikts. Sharons als rein militärisch kritisierte Politik hingegen führe »beinahe in die Katastrophe«. Nicht nur bedürfe Israels Bild in der Welt dringend einer Verbesserung. Auch aus ökonomischen Gründen sei ein Kurswechsel vonnöten. Ein lang andauernder Friedensprozess, wie etwa in den Osloer Abkommen oder in der Road Map skizziert, sei im Übrigen nicht erfolgversprechend.

Damit unterstützen die früheren Geheimdienstler letztlich das »Genfer Abkommen«. Denn anders als die bisherigen Friedenspläne sieht dieses eine sofortige und umfassende Realisierung vor. »Wir werden ziemlich bald die jüdische Mehrheit verlieren«, erklärte Yossi Beilin in Anspielung auf die demographische Entwicklung der Israelis und der Palästinenser. »Das mag Präsident Bush nicht interessieren, aber es interessiert mich, und es sollte Sharon interessieren. Wenn wir nichts tun, um eine Grenze zu den Palästinensern zu schaffen, werden wir dem zionistischen Traum ein Ende setzen«, so Beilin, der als Architekt des Oslo-Prozesses gilt.

Ob allerdings Beilins Plan weniger gefährlich wäre, ist zumindest fraglich. Schließlich sieht er die Stationierung einer großen multilateralen Militärtruppe vor. Damit wäre, wie von der PA und der EU seit langem angestrebt, eine Internationalisierung des Konflikts auf militärischer Ebene endgültig erreicht. Schon poltert der SPD-Wehrexperte Reinhold Robbe, die Nato müsse nach Israel, »ob es gewissen Leuten hier in Deutschland recht ist oder nicht«. Umso perfider ist, dass Robbe seinen Vorstoß als Kompensation für die bisherige propalästinensische Politik der EU präsentiert.