Zwischen allen Stühlen

Die Verhandlungen über das iranische Nuklearprogramm sind vorerst gescheitert. Die Internationale Atomenergiebehörde kritisiert die USA, will aber eine schärfere Resolution als die EU. von martin schwarz, wien

Die Szene, die sich Ende vergangener Woche im UN-Hauptquartier in Wien zutrug, erinnerte ein wenig an jene diplomatischen Intrigen, deren Zeuge die Welt vor dem letzten Irakkrieg geworden ist. Während die UN-Inspektoren damals dem Irak bescheinigten, noch einen weiten Weg zur Atommacht zurücklegen zu müssen, wurde die Bush-Administration nicht müde, zu behaupten, dass der Irak über ein aktives militärisches Nuklearprogramm verfüge.

Diesmal aber hieß der Delinquent Iran, und die Kontrahenten im C-Turm des Wiener UN-Gebäudes waren der US-amerikanische Botschafter bei den Vereinten Nationen in Wien, Kenneth Brill, und der Generaldirektor der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), Mohamed El Baradei. Während einer Sitzung ihres 35köpfigen Gouverneursrates warf Brill der UN-Behörde vor, ihre »Glaubwürdigkeit verspielt« zu haben, weil sie in einem aktuellen Bericht zum Atomprogramm des Iran zwar mehrere Verstöße gegen den Atomwaffensperrvertrag festgestellt, aber keine Beweise dafür gefunden hatte, dass Teheran tatsächlich an der Atombombe bastelt.

Botschafter Brill bezog sich in seinem Statement auf frühere Ausführungen des Staatssekretärs im US-Außenministerium, John Bolton, der es für »unmöglich« hielt zu glauben, was in dem IAEA-Bericht steht. Mohamed El Baradei antwortete dem amerikanischen Vertreter im Gouverneursrat in einer Weise, die enge Mitarbeiter des normalerweise sehr vorsichtig agierenden IAEA-Chefs gegenüber der Jungle World als »ziemlich ungewöhnlich« bezeichneten.

Schon während der Irak-Krise habe die IAEA »ihre Glaubwürdigkeit unterstrichen«, und schon damals habe die IAEA zu Recht und entgegen den Verdächtigungen der USA behauptet, dass es »keine Beweise« für ein aktives Atomprogramm in Saddam Husseins Reich gegeben habe. Genau so sei das jetzt auch beim Iran. »Wir haben keine Beweise und wir bleiben bei unserem Bericht«, so El Baradei in einem Anfall seltener Gefühlswallung.

Wiederholt sich also das gleiche Spiel, das schon im Fall des Irak zu wenig friedvollen Komplikationen führte? Zumindest der iranische UN-Botschafter in Wien, Ali-Akbar al-Salehi, vermutet das im Gespräch mit der Jungle World: »Die Amerikaner werden uns weiter kritisieren, auch wenn der Bericht der Atomenergiebehörde ganz anders aussieht.« Ein genau zum richtigen Zeitpunkt bekannt gewordener Bericht der amerikanischen CIA analysiert, dass der Iran auch mit zusätzlichen Inspektionen der IAEA nicht davon abgehalten werden könnte, Atombomben zu bauen.

Tatsächlich hat der Iran seine Verpflichtungen gegenüber der Internationalen Atomenergiebehörde nicht mustergültig eingehalten. Da wurden Einrichtungen zur Anreicherung von Uran entdeckt, die nicht dort hätten sein dürfen, da wurde an den Verpflichtungen gegenüber den Vereinten Nationen vorbei eine Atomanlage in Natanz errichtet. Zwar spricht der Bericht der IAEA explizit davon, dass es bislang keine Beweise für ein aktives Atomwaffenprogramm gegeben habe, doch das letzte Urteil über die Friedfertigkeit iranischen Forscherdranges auf nuklearem Gebiet könne noch nicht gefällt werden.

Zudem haben UN-Inspektoren Spuren hoch angereicherten, also waffenfähigen Urans gefunden. Der Iran begründete das damit, dass man Ausrüstung für das Nuklearprogramm auf dem internationalen Schwarzmarkt gekauft habe und da wohl auch Rückstände solch hoch angereichertes Urans dabei gewesen seien. Nun sind IAEA-Experten dabei, mögliche Lieferantenstaaten zu identifizieren und werden in den nächsten Wochen auch Unternehmen in verschiedenen Staaten kontrollieren. Russland dürfte wohl ebenso dazu gehören wie Pakistan und China. Allerdings könnten auch einige »westliche Staaten zu den Lieferanten des Iran« gehören, wie ein IAEA-Diplomat unter dem Vorbehalt der Anonymität gegenüber der Jungle World behauptet.

Der Konflikt hat den ursprünglichen Zweck der IAEA-Sitzung in den Hintergrund geschoben. Eigentlich sollte der Gouverneursrat am letzten Freitag entscheiden, wie mit dem Problemfall Iran weiter zu verfahren sei. Die europäischen Vertreter im Rat, namentlich Deutschland, Frankreich und Großbritannien, hatten eine ziemlich sanfte Resolution vorbereitet, die dem Iran »Versagen« und »Verfehlungen« bei der Einhaltung des Atomwaffensperrvertrages vorwarf, aber keinerlei Konsequenzen androhte. Die USA dagegen wollen eine schärfere Resolution durchsetzen, die den Irak zwar nicht gleich zum Sanktionsfall für den UN-Sicherheitsrat macht, gleichzeitig aber das Land unter scharfe Beobachtung stellt und einen späteren Gang zum Sicherheitsrat in New York offen hält.

Mittlerweile ist die europäische Resolution nach Angaben aus der IAEA »vom Tisch«, die Verhandlungen müssen also neu beginnen. Doch die Verhandlungsposition der EU könnte schlechter nicht sein. Die Außenminister Großbritanniens, Frankreichs und Deutschlands vereinbarten mit dem Iran Ende Oktober einen Deal, der es dem islamistischen Regime ermöglichen sollte, aus der Malaise zu entkommen. Der Iran sollte ein Zusatzprotokoll zum Atomwaffensperrvertrag unterschreiben, das der IAEA intensivere und unangemeldete Inspektionen der iranischen Atomanlagen ermöglicht. Genau diesem Zusatzprotokoll hat der Iran zugestimmt, am Freitag stimmte auch die IAEA zu, nun harrt das bedeutungsvolle Stück Papier nur noch seiner formellen Unterzeichnung.

Dennoch ist es den Europäern nicht gelungen, im Gouverneursrat ihre sanfte Resolution durchzubringen. Die EU steht also nun gegenüber dem Iran im Wort, hat aber gleichzeitig die USA und auch IAEA-Chef El Baradei gegen sich, der sich ebenfalls eine schärfere Resolution wünscht, um durch weitere Inspektionen noch offene Fragen klären zu können.

Womit die Krise in eine neue Phase tritt. »Der Iran hat das Zusatzprotokoll und den Atomwaffensperrvertrag akzeptiert, doch wenn wir sehen, dass die europäischen Staaten ihre Verpflichtungen innerhalb der IAEA nicht erfüllen, werden wir die unseren auch nicht länger erfüllen«, drohte der iranische Außenminister Kamal Kharazi. Es liegt nun also vor allem bei den Vertretern Deutschlands, Frankreichs und Großbritanniens innerhalb der IAEA, eine Sprachregelung zu finden, der die USA zustimmen können und die gleichzeitig den Iran nicht in die politische Ausweglosigkeit drängt.

Ein beinahe unmögliches Unterfangen, und im Falle des Scheiterns wohl eine der bemerkenswertesten Pleiten gemeinsamer Sicherheitspolitik der Europäischen Union. Noch während des Besuches der drei Außenminister in Teheran Ende Oktober jubelte Ali Akbar Salehi, Irans Botschafter bei der IAEA, diese Vereinbarung sei »ein Sieg für uns und für Europa«. Das IAEA-Gremium brach die Verhandlungen mangels Aussicht auf Einigung vorerst ab, zu einer Wiederaufnahme der Gespräche soll es jedoch noch in dieser Woche kommen.