Call for action

EU-Flüchtlingspolitik von martin kröger

Die wahre Zahl der toten GrenzgängerInnen an den Außengrenzen der EU kennt niemand. Das unabhängige No-Border-Netzwerk zählte alleine in den vergangenen elf Monaten 658 tote MigrantInnen. Ein Anspruch auf Vollständigkeit erhebt diese Statistik keinesfalls, es handelt sich nur um die unvollständige Summe einer Medienanalyse. Ob an den Außengrenzen im Mittelmeer, insbesondere an der Straße von Gibraltar oder an der Meerenge zwischen Sizilien und Libyen, am verminten griechisch-türkischen Grenzfluss Evros sowie an der jetzigen und erweiterten Ostgrenze: Täglich fallen Menschen dem europäischen Grenzregime zum Opfer.

Neu ist das nicht. Auch die Ignoranz gegenüber diesen Tragödien in großen Teilen der europäischen Öffentlichkeit begleitete den Ausbau der europäischen Außengrenze seit Beginn. Gleichzeitig werden die Pläne der europäischen Institutionen zur Perfektionierung des tödlichen Systems der Grenzsicherungen immer konkreter.

Auf dem EU-Gipfel im Juni dieses Jahres in Thessaloniki wurde die Vorbereitung der Aufstellung eines Grenzschutzkorps beschlossen, das aus Spezialeinheiten bestehen und ergänzend zu nationalstaatlichen Grenzkommandos flexibel an besonders prekären Grenzabschnitten eingesetzt werden soll, sowie die Einführung eines Visasystems inklusiver biometrischer Erkennung. Hinzu kommt der Aufbau und die Bündelung präventiver und analytischer Instrumente wie beispielsweise Europol zur Verhinderung von Migrationsbewegungen.

Die Vorschläge, die die europäischen Regierungen im Sommer in Thessaloniki machten, werden inzwischen in den Ausschüssen des europäischen Parlaments diskutiert. 140 Millionen Euro sollen im europäischen Haushalt in den nächsten zwei Jahren zusätzlich für die angestrebten Maßnahmen bereitgestellt werden. Die Aufstockung der Mittel soll zudem dazu dienen, die neuen Beitrittsstaaten beim Aufbau der neuen Außengrenzen zu unterstützen.

Aber nicht nur auf europäischer Ebene werden die Perfektionierung und Verschärfung der Grenzregimes vorangetrieben. Nachdem der Vorschlag des britischen Premierministers Tony Blair, in Drittstaaten in großer Entfernung zur EU-Außengrenze so genannte Schutzzonen für ankommende MigrantInnen zu errichten, von Deutschland und Schweden abgewiesen worden war, trieb Blair sein Projekt auf nationaler Ebene voran. Mit Unterstützung der europäischen Kommission ordnete die britische Regierung erste Pilotprojekte in Ostafrika an. Auch Italien und Spanien versuchen durch bilaterale Abkommen mit den Transitländern Marokko und Libyen ihre Seegrenzen dicht zu machen.

Gegen dieses sich gegenseitig verstärkende System europäischer und nationaler Pläne zur Sicherung der Grenzen hilft nur ein stärkerer lokaler Widerstand, der mit der europäischen Protestbewegung kombiniert werden muss.

Ansätze dafür sind bereits vorhanden. Neben den zahlreichen Aktionen in Italien könnten auch die Beschlüsse des Europäischen Sozialforums vom November in Paris Anregung für eine solche Forcierung und Bündelung des Widerstands gegen die Festung Europa bieten.

Für den 31. Januar 2004 ruft ein Bündnis von Gruppen aus verschiedenen Staaten zu einem europaweiten Aktionstag für die Legalisierung von Papierlosen und die Schließung aller Abschiebeknäste auf. Weitere Ziele sind die Bewegungsfreiheit für alle und die Abschaffung des mörderischen Schengener Grenzsystems.