Alles wird schlechter, weil …

… weil man herzensgute Kerle wie den Genossen Krenz hierzulande ungestraft einsperren konnte. Ich weiß, dass er kein schlechter Mensch ist, denn ich hatte unverhofft das Privileg, den ehemaligen Staatsratsvorsitzenden der DDR persönlich kennen lernen zu dürfen.

Im Jahre 2000 veranstaltete eine kleine nationalbolschewistische Tageszeitung mit dem Geld ihrer Leser eine üppige Galaveranstaltung, zu der nur geladenen Gästen der Eintritt gewährt wurde, denen man Schnittchen und Rotkäppchensekt servierte. Spontan fasste ich den Entschluss, dieser Bagage so viel Sekt wie möglich wegzutrinken. Es gelang mir, mich hineinzuschmuggeln, indem ich mich unauffällig einem Pulk ehemaliger FDJ-Kader anschloss. Ich trug an diesem Abend einen ebenso schlecht sitzenden Anzug wie diese, sodass ich nicht weiter auffiel. Nachdem ich bereits gehörig Sekt getankt hatte, sah ich plötzlich Egon Krenz.

Ich tippte ihn schüchtern an, denn er war in ein offenbar anregendes Gespräch mit seinem Kumpel Karl-Eduard von Schnitzler vertieft. Als er sich mir mit fragendem Blick zuwendete, sagte ich: »Entschuldigen Sie bitte die Störung, … Genosse Krenz! Ich habe eine Bitte. Ein lieber Genosse und Freund von mir ist seit vielen Jahren ein … aufrechter Kämpfer gegen den Faschismus! Ich möchte Sie um ein Autogramm für ihn bitten!« Höflich suchte er gemeinsam mit mir nach einem Stück Karton, fragte nach dem Namen des Genossen und schrieb auf das gefundene Tischkärtchen: »Dem Genossen Soundso, Herzlichst Egon Krenz.« Den bedenklichen Zustand, in dem ich mich befand, erwähnte er mit keinem Wort. Seitdem bin ich einer seiner treuesten Anhänger. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass dieser freundliche ältere Herr jemanden totgeschlagen haben soll. Jetzt ist er frei. Der Genosse Soundso ist Mitarbeiter der Jungle World und hat das Autogramm noch heute über seinem Schreibtisch hängen.

thomas blum