Die Faust des Vermieters

In Kreuzberg verkaufen die städtischen Wohnungsbaugesellschaften ihre Häuser. Für die MieterInnen beginnen harte Zeiten. von christoph villinger

Seid ihr schon verkauft?« »Nein, zum Glück noch nicht. Und ihr?« Wenn sich derzeit Leute aus dem Kiez rund um die Waldemarstraße in Kreuzberg begegnen, verläuft ein typischer Smalltalk in etwa so. Die Stimmung ist geladen, seit des öfteren potenzielle Käufer durch ihre Häuser geführt werden. Eine »Betroffenen-Gemeinschaft Walde-Kiez« ist schon gegründet.

Bisher gehörten dort die meisten Häuser der Berliner Wohn- und Geschäftshaus GmbH (Bewoge), einer städtischen Wohnungsbaugesellschaft. Doch mittlerweile können viele BewohnerInnen bereits von Erfahrungen und Erlebnissen mit den neuen privaten Hausbesitzern berichten. Der Ausverkauf der Stadt Berlin hat nun auch den Walde-Kiez im hintersten Kreuzberg erreicht.

Ein Beispiel ist das Haus Waldemarstraße 42. Zum 1. Mai 2003 verkaufte es die Bewoge an die GbR Engelfried, Merkel & Schienbein in München. MieterInnen, die ihre Namen lieber nicht in der Zeitung sehen wollen, berichten von einem anfangs netten Auftreten der neuen Eigentümer. Doch das änderte sich schnell. Im Juni zog ein »Bauleiter« in eine freie Wohnung, und seitdem ist es für die BewohnerInnen mit dem Hausfrieden vorbei.

»Mit Vorliebe arbeitet er am Abend und am Samstag mit der Kreissäge«, berichtet eine Frau. Beschwerden halfen bisher nichts. Andere fühlen sich von ihm »bespitzelt, verleumdet und eingeschüchtert«. Zum Beispiel habe er dem Postboten angeboten, beim Verteilen der Post zu helfen. Er sei das Ohr, das Auge und die Faust seines Chefs, soll der »Bauleiter« einmal zu einem Mieter gesagt haben. Im seit Jahren von den BewohnerInnen gepflegten Garten im Hof sägte er mehrere junge Bäume um.

Die MieterInnen haben das Gefühl, dass der Mann als »Rausschmeißer« dienen und sie zum Auszug bewegen soll. »Seit Mai ist fünf Mietparteien und einem Gewerbe gekündigt worden oder sie haben ›freiwillig‹ das Haus verlassen«, berichtet eine Bewohnerin. Bei dem Gewerbe handelt es sich um den seit über 20 Jahren in dem Gebäude ansässigen Fahrradladen »Radlust«, dessen Betreiber fristgerecht zum 31. Januar 2004 gekündigt wurde. Auch die restlichen BewohnerInnen fürchten Kündigungen. Sie vermuten, dass das Haus modernisiert und dann entsprechend teurer, Wohnung für Wohnung weiterverkauft werden soll. MieterInnen, die auf ihren Rechten bestehen, stören dabei nur.

Von einem ähnlichen »Schicksal« berichteten MieterInnen aus Häusern am nahe gelegenen Leuschner- bzw. Erkelenzdamm. Dort versuchten die neuen Besitzer der kurz zuvor aus dem Bestand der Bewoge erworbenen Häuser ebenfalls, möglichst viele Wohnungen zu räumen. Jetzt bietet beispielsweise die Zeus Grundbesitz GmbH eine Dreizimmerwohnung am Leuschnerdamm im »klassischen Stuckaltbau« für 118 000 Euro an. Auch im Haus »mit dem schönsten Stuck in Kreuzberg« offeriert die Zeus GmbH eine Eigentumswohnung.

Fragt man Andreas Merkel von der GbR Engelfried, Merkel & Schienbein, ob er beabsichtige, die Wohnungen in der Waldemarstraße 42 in Eigentumswohnungen umzuwandeln, verweist er auf die »Privatsphäre des Eigentümers«. Da ihm ja auch kein Journalist erzähle, was er mit seinem Auto vorhabe, sehe er keinen Anlass, von seinen Plänen zu erzählen. Die Vorwürfe gegen seinen Mitarbeiter bezeichnet er als »Lügen«, und er droht mit gerichtlichen Schritten gegen die »Verleumdung«. Baulärm zu ungewöhnlicher Stunde gehöre zu den »Gefahren des Alltagslebens«.

Immer wieder betont Merkel, dass »alle Maßnahmen, die wir ausführen, zu 100 Prozent in Einklang mit Recht und Gesetz sind«. Doch im Kaufvertrag steht klar und deutlich: »Der Käufer verpflichtet sich (…) für bestehende Mietverhältnisse auf Modernisierungsmaßnahmen zu verzichten, die zu einem höheren Mietzins als die ortsübliche Vergleichsmiete (Mittelwert Mietspiegel) führen, sofern die Mieterzustimmung nicht vorliegt.« Daher rühre wohl das Interesse der neuen Hauseigentümer an der »freiwilligen« Beendigung der bestehenden Mietverhältnisse, vermutet eine Person aus der Nachbarschaft.

Möglich wurde die Privatisierungswelle in diesem Teil Kreuzbergs erst durch die Aufhebung des Sanierungsgebiets rund um das Kottbusser Tor im Jahr 2002. Damit endete auch der Sanierungsauftrag für die städtischen Wohnungsbaugesellschaften. Stattdessen fordert der Senat von der Bewoge, der bis vor wenigen Jahren knapp 100 Häuser nördlich des Kottbusser Tors gehörten, diese zu verkaufen. Das bestätigt die Pressesprecherin der Bewoge, Steffi Pianka. »Von den knapp 100 Häusern der Bewoge sind inzwischen über 50 privatisiert.« Allerdings will sie von den Auseinandersetzungen um die Waldemarstraße 42 noch nichts gehört haben. Vielmehr »verkaufte die Bewoge zum überwiegenden Teil an MieterInnen, Selbstnutzer, ansässige ausländische Mitbürger oder Kiezbewohner«. Viele der Betroffenen sind dagegen der Meinung, dass der Verkauf an Spekulanten nicht die Ausnahme, sondern die Regel darstelle. Was mit den restlichen Häusern passieren soll, sei noch unklar, sagt Pianka.

Zwar sollen die öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften den Verkauf der Wohnungen möglichst sozialverträglich gestalten. Offiziell haben die MieterInnen drei Monate lang das Vorkaufsrecht. In der Waldemarstraße 42 betrug diese Frist allerdings nur 14 Tage, berichtet eine Bewohnerin. Zudem liegt ein Kauf sowieso meist jenseits der wirtschaftlichen und sozialen Möglichkeiten der MieterInnen in dem Viertel mit einer Arbeitslosenrate von etwa 30 Prozent. So landen die Schreiben in über 95 Prozent der Fälle im Papierkorb. Pläne aus den achtziger Jahren wie die Überführung städtischer Mietshäuser in ein so genanntes Kommunales Sondervermögen, eine Art Genossenschaft, scheinen angesichts der vom Senat behaupteten Haushaltslage völlig indiskutabel. Das Land Berlin verkauft alles, was nicht niet- und nagelfest ist.

Auch die überwiegend der Gemeinnützigen Siedlungs- und Wohnungsbaugesellschaft Berlin mbH (GSW) gehörenden Häuser südlich des Kottbusser Tors stehen zum Verkauf. Wiederholt hört man von Gesprächen mit dem US-amerikanischen Investmentfonds Lone Star, der sich für die GSW oder zumindest für rund 10 000 Wohnungen in Kreuzberg interessiert. Lone Star besitzt bereits Tausende von Plattenbauwohnungen in Hellersdorf.

Nach Jahrzehnten der fürsorglichen Belagerung durch die sozialdemokratisch geprägten Wohnungsbaugesellschaften müssen die KreuzbergerInnen nun darüber nachdenken, wie ein Widerstand gegen das aktuelle Geschehen aussehen und welche juristischen Schritte gegangen werden könnten. Die Privatisierung der Häuser im Kiez lässt sich ohnehin kaum noch aufhalten. Zu viele Kaufverträge mit privaten Investoren sind bereits unterzeichnet. Kann man dennoch mehr fordern als ein korrektes Verhalten der neuen Eigentümer?

Der grüne Baustadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg, Franz Schulz, hörte sich die Beschwerden und Klagen der Bewohnerinnen und Bewohner des Walde-Kiezes zwar interessiert an. Doch um den Senat zu zwingen, den Verkauf des öffentlichen Eigentums an private Investoren einzustellen, bedürfte es weit mehr politischen Drucks. »Es muss doch eine Möglichkeit zwischen Abhauen und Kaufen geben«, sagt ein Bewohner der Waldemarstraße 42 etwas verzweifelt. Aber sie ist noch nicht gefunden.