Du sollst nicht trinken

Die schwedische Regierung sorgt sich um ihre Bürger. Um sie vor den schädlichen Auswirkungen des Alkoholkonsums zu schützen, nimmt sie auch wirtschaftliche Einbußen in Kauf. von bernd parusel, stockholm

Das vergangene Jahr war kein gutes Jahr für Systembolaget. Im Herbst wurde der staatliche schwedische Alkohol-Monopolbetrieb von einem umfassenden Korruptionsskandal erschüttert. Die Chefs von etwa 80 Filialen hatten jahrelang die Hände aufgehalten. Lieferanten belohnten sie mit Geschenken, Reisen und kostenlosen Alkoholika für den Abschluss von Verträgen und eine verkaufsfördernde Präsentation ihrer Waren. Zeitweise wackelte sogar der Stuhl der Systembolaget-Vorsitzenden Anitra Steen.

Viel gefährlicher könnte für den Monopolisten, seine 450 Verkaufsstellen und seine Chefin, die seit Anfang Dezember auch die Ehefrau von Ministerpräsident Göran Persson ist, jedoch werden, dass Systembolaget buchstäblich die Kunden davonschwimmen. Immer mehr Schweden setzen mit Fähren nach Deutschland, Dänemark oder Finnland über und decken sich dort mit Bier, Wein und Schnaps ein. Je höher der Alkoholgehalt eines Getränks ist, umso mehr lohnt es sich, dort einzukaufen. In Deutschland kosten Whisky oder Wodka mitunter weniger als die Hälfte als bei Systembolaget.

In den Nachbarländern Dänemark und Finnland war Alkohol bis vor kurzem ähnlich teuer wie in Schweden. Doch damit ist jetzt Schluss. Im vergangenen Oktober senkte die dänische Regierung die Steuern auf alkoholische Getränke drastisch, um damit dem Trend entgegenzuwirken, dass immer mehr Dänen in Deutschland einkaufen. Ein Nebeneffekt der Steuersenkung ist nun jedoch, dass viele Bewohner Südschwedens zum Shopping über den Öresund fahren und im Nachbarland Bier, Wein oder Schnaps kaufen. Der Umsatz der Systembolaget-Niederlassungen in der südschwedischen Region Schonen ist bereits um 17 Prozent gesunken.

Ähnlich wie Dänemark hat auch Finnland seine Alkoholsteuern im neuen Jahr um mehr als ein Drittel gesenkt. Dort pendelten immer mehr Bürger über den finnischen Meerbusen nach Estland und versorgten sich mit unschlagbar billigem Wodka. Zwar befürchtet Premierminister Matti Vanhanen, dass die Preissenkung auch »zu einer Reihe von Schäden führt, die die Gesellschaft teuer zu stehen kommen«. Gleichwohl handelt er nach dem Motto: Wenn die Finnen schon mehr trinken, dann sollen wenigstens einheimische Händler daran verdienen.

Indirekt profitieren von der neuen finnischen und dänischen Politik natürlich auch die schwedischen Alkoholkonsumenten. Von Stockholm und der Ostseeküste könnten immer mehr Schnapstrinker mit Fähren nach Finnland übersetzen. Auf Schiffen, die Schweden über die teilweise autonomen, aber zu Finnland gehörenden Åland-Inseln anlaufen, darf eine gewisse Menge Alkohol sogar zollfrei eingekauft werden.

Zu dem Kundenverlust des schwedischen Staatsbetriebs tragen aber nicht nur die Nachbarländer, sondern auch EU-Regeln bei. Bisher durfte Schweden trotz des Prinzips des freien Warenverkehrs im EU-Binnenmarkt den privaten Alkoholimport begrenzen. Die Regierung ist jedoch dazu verpflichtet, die erlaubten Kontingente jedes Jahr zu vergrößern. Seit dem ersten Januar dürfen die Verbraucher pro Fahrt über die Grenze bereits 110 Liter Bier, 90 Liter Wein und zehn Liter Spirituosen aus anderen EU-Ländern einführen.

»Bier, Wein und Schnaps werden über die Ostsee regelrecht nach Schweden hereinsprudeln«, sagte Karin Engstrand, Juristin beim schwedischen Zoll, kürzlich der Zeitung Svenska Dagbladet. Läden wie der Scandinavian Border Shop am Rostocker Fährhafen, der eine breite Palette alkoholischer Getränke speziell für nach Schweden Reisende bereithält, sehen rosigen Zeiten entgegen. Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, sollten die Alkoholsteuern gesenkt werden, meint auch die Systembolaget-Chefin Steen. »Wir können keine Läden am Leben erhalten, in denen niemand mehr einkauft.«

Doch selbst wenn die Steuern gesenkt werden, droht weiterer Streit mit Brüssel. Die Wettbewerbshüter der EU-Kommission wollen, dass Schweden das staatliche Monopol für den Alkoholimport und -verkauf aufgibt. Innerhalb der EU haben Bürger nicht nur das Recht, Alkohol aus dem Ausland in ihr Heimatland einzuführen. Wenn sie nicht selbst zum Winzer in die Toscana fahren wollen, können sie ausländische Weine auch von Händlern und Importeuren beziehen.

Die Schweden haben diese Möglichkeit nicht. Alles, was sie nicht persönlich über die Grenze schaffen, muss über das Systembolaget-Monopol abgewickelt werden. Private Importeure sind nicht zugelassen. Darin sieht die EU eine Wettbewerbsverzerrung, gegen die sie seit Monaten protestiert. Die schwedische Politik behindere das Recht von Unternehmen, ihre Produkte in der ganzen EU zu verkaufen, schrieb die Kommission im Oktober in einem offiziellen Brief an die Regierung. Außerdem wird bemängelt, »dass der Verbraucher letztlich weniger Auswahl hat und unter Umständen auch noch höhere Preise zahlen muss«. Die Behörde drohte mit einem Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof, sollte sich Schweden der Zulassung nicht staatlicher Händler weiter entgegenstellen.

Aktuelle Untersuchungen geben der Kommission Recht. Nach Berechnungen der europäischen Statistikbehörde Eurostat geben die Schweden einen viel höheren Prozentsatz ihres Einkommens für Alkohol aus als die Deutschen, obwohl südlich der Ostsee mehr als doppelt so viel getrunken wird. Deutschland führt zusammen mit Portugal, Luxemburg und Frankreich die Liste der größten Alkoholkonsumenten in der EU an, während Schweden und Finnland entgegen weit verbreiteten Vorurteilen die beiden letzten Plätze belegen.

Daran möchte die sozialdemokratische Regierung von Göran Persson auch so wenig wie möglich ändern. Die harte Linie sei im Sinne des Gesundheitsschutzes nötig, lautet die Argumentation. »Eine Steuersenkung würde den Alkoholkonsum weiter erhöhen und damit auch die Schäden«, warnt etwa der Direktor des schwedischen Volksgesundheitsinstituts, Gunnar Ågren. Die Alkoholpolitik mit gesundheitspolitischen Überlegungen zu verknüpfen und zu reglementieren und die Trinkgewohnheiten der Bevölkerung politisch steuern zu wollen, ist symptomatisch für den schwedischen Wohlfahrtsstaat, der seinen Bürgern zwar ein noch relativ komfortables soziales Netz bietet, aber auch deutlich bevormundende Züge aufweist. Auch beim Tabakgenuss sorgt der Staat mit strengen Regeln dafür, dass sich die Menschen geradezu vernünftig verhalten müssen.

Die störrische Haltung der Regierung wird von den Bürgern bei weitem nicht nur kritisiert. Göran Persson habe Recht, wenn er sich Brüssel entgegenstelle, war in den letzten Wochen auf den Leserbriefseiten verschiedener Zeitungen zu lesen. Nicht Schweden solle seine Politik an die anderer EU-Länder anpassen, sondern umgekehrt: Die anderen könnten davon lernen, wie vorbildlich sich der schwedische Staat um die Gesundheit seiner Bürger kümmere.

Mit Volkes Stimme im Rücken weist Persson also die Rufe seiner Gattin nach Steuersenkungen und die Forderungen der EU nach Marktöffnung zurück. 2004 verspricht ein gutes Jahr für den Fährtourismus zu werden.