Operation Weihnachtsmann

Attentate auf EU-Einrichtungen von egon günther

Zuerst explodierten kurz vor Weihnachten in Abfallbehältern unweit der Bologneser Wohnung von Romano Prodi, dem Präsidenten der Europäischen Kommission, zwei aus Schnellkochtöpfen und Campinggasflaschen zusammengesetzte Heimwerkersprengsätze. Sie richteten keinen großen Schaden an. Nach dem Fest erhielt Prodi dann eine explosive Paketsendung, die an seine Frau adressiert und ebenfalls in Bologna aufgegeben worden war. In dem Päckchen lag das erste literarische Werk des protofaschistischen Exzentrikers Gabriele D’Annunzio, das den Titel »Lust« trägt. Darin befand sich ein einfacher Sprengsatz mit Schießpulver, der beim Öffnen eine Stichflamme erzeugte.

Ähnliche Sendungen trafen bei Europol in Den Haag, Eurojust in Brüssel, bei Jean-Claude Trichet, dem Präsidenten der Europäischen Zentralbank, in Frankfurt und angeblich auch in zwei EU-Einrichtungen in Bosnien ein. Als Absender firmierte beispielsweise bei dem Päckchen an die Polizeibehörde in Den Haag der französische Anarchist Emile Henry. Er war im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts ein Vertreter der so genannten Propaganda der Tat. Henry wurde am 24. Juli 1894 guillotiniert. Auch er bastelte einst aus einem Kochtopf einen Sprengsatz, der in einem Polizeirevier detonierte.

Für alle Sendungen sowie die ersten beiden Attentate übernimmt eine so genannte informelle anarchistische Föderation – die italienische Abkürzung dafür ist FAI – die Verantwortung. Diese Buchstabenkombination steht eigentlich für die Federazione Anarchica Italiana, und die ist mit der Usurpation ihres Zeichens durch die »bombaroli« überhaupt nicht einverstanden. Die Organisation setzt auf die offene, kollektivistische Aktion zur Erreichung der herrschaftsfreien Gesellschaft und lehnt irgendwelche Bomben, die im Namen der Anarchie gezündet werden, strikt ab.

Zu ihrer Weihnachtskampagne hat die informelle FAI eine Erklärung »an die anarchistische und antiautoritäre Bewegung« verbreitet. Sie ist von vier Gruppen unterzeichnet, die bereits in der Vergangenheit durch ähnliche Aktionen aufgefallen sind. Eine Gruppe begleitete zum Beispiel den Kampf gegen Maßnahmen des verschärften Strafvollzugs für »renitente« Gefangene in Spanien mit einer Reihe von Anschlägen auf spanische Firmen und Einrichtungen in Italien.

In den vergangenen Jahren gab es in Italien bereits öfters kleinere Attentate auf Karabinierikasernen, Polizeistationen und -präsidien, aber auch auf Strommasten und Baustellen des Hochgeschwindigkeitszuges TGV. Die Strafverfolgungsbehörden machen dafür so genannte aufständische Anarchisten verantwortlich. Durch dieses Konstrukt ist es ihnen möglich, vieles, was eigentlich unvereinbar ist, unter einen Hut zu bringen.

Da ebenfalls in der Vorweihnachtszeit die Roten Brigaden zwischen Rom und Florenz durch Fahndungserfolge der Polizei nahezu aufgerieben wurden, kommt die neue Bedrohung der inneren Sicherheit genau zur richtigen Zeit. Terrorismusexperten des Innenministeriums bringen die Attentate auf die EU-Vertreter und -behörden mit dem Bündnis Europposizione in Zusammenhang, das im Oktober bei den Protesten gegen die europäische Verfassung in Rom erstmals öffentlich aufgetreten ist. Bereits damals wurde das Bündnis in die Nähe des Behördenkonstrukts »aufständische Anarchisten« gerückt, obwohl daran auch Autonome und Marxisten-Leninisten beteiligt sind. Bezeichnenderweise richtet sich der letzte Brief der anarchistischen Feuerwerker radikal gegen jedes »marxistische Krebsgeschwür«.