Radikal aussichtslos

Warum Herr Stojanovic die Radikalen wählt und seine Kinder auswandern wollen. von boris kanzleiter, belgrad

Bei Familie Stojanovic hängt seit dem Wahltag am 28. Dezember der Haussegen schief. Vater Zoran hat wie über 27 Prozent der Serben bei den Parlamentswahlen seine Stimme für die Serbische Radikale Partei (SRS) abgegeben und diese damit zur stärksten Kraft im neuen Parlament gewählt. Dass seither ein politischer Schockzustand herrscht, stört Herrn Stojanovic nicht im Geringsten. Im Gegenteil: »Hast du gesehen, wie sich Javier Solana über uns aufregt?«, lächelt er stolz. Der Wahlsieg der Radikalen ist für den 54jährigen Elektroingenieur aus dem Plattenbaubezirk Novi Beograd eine ganz persönliche Rache für den Nato-Angriff im Frühjahr 1999. Außerdem konnte Zoran mit seiner Stimmabgabe endlich deutlich machen, was er von der prowestlichen Koalition hält, die seit dem Sturz Slobodan Milosevics im Oktober 2000 regiert: »Das ist doch eine Bande von Kriminellen, die nur mit dem Geld aus dem Ausland an die Macht gekommen ist.«

Im letzten Punkt wollen Sascha und Maja Stojanovic ihrem Vater nicht wirklich widersprechen. Aber ansonsten fliegen in der Familie derzeit die Fetzen. Sascha hat im Herbst angefangen, Informatik zu studieren. »Der Erfolg der SRS wirft uns zurück in finsterste Zeiten der Isolation«, fürchtet er. Und seine Schwester Maja wirft ein: »Der Spitzenkandidat der Radikalen, Tomislav Nikolic, hat nichts zu bieten außer Hass.«

Bitterer Meinungsstreit zerreißt in diesen Tagen viele Familien und Freundeskreise in Serbien. Und wahrscheinlich hat die Polarisierung noch nicht einmal den Höhepunkt erreicht. Denn auch über eine Woche nach dem Wahltag ist unklar, wie es weitergehen wird. Wahrscheinlich werden die früheren Alliierten aus dem Anti-Milosevic-Block, die nationalkonservative Demokratische Partei Serbiens (DSS) von Vojislav Kostunica, die bisher regierende Demokratische Partei (DS) und die wirtschaftsliberale G17 zusammen mit den Monarchisten von der Serbischen Erneuerungsbewegung (SPO) ein Regierungsbündnis bilden. Doch als einigende Klammer der chronisch zerstrittenen Parteien diente dabei lediglich die Ablehnung der bedrohlich mächtig gewordenen SRS. Der Politologe Djordje Vukadinovic warnt deshalb zu Recht vor einer »Weimarer Situation«, eine lange Zeit der »Instabilität« sei programmiert.

Der Grund für die politische Krise ist eine tief greifende soziale Verunsicherung und die Erosion der Legitimität der Staatsorgane. Es sind also strukturelle Probleme, die auf lange Sicht Bestand haben werden. Drei Jahre nach dem Sturz von Slobodan Milosevic und seiner Sozialistischen Partei (SPS) sind viele Serben verzweifelt. Hatten zunächst viele den Versprechungen der prowestlichen Reformen geglaubt, die langen Jahre der Verarmung und des Zerfalls seien nun endlich vorbei, sind sie stattdessen vom Regen in die Traufe geraten. Die miserable soziale Situation der Mehrheit hat sich nicht entscheidend verbessert, während es dem anwachsenden Heer von derzeit knapp 30 Prozent Arbeitslosen und vielen Rentnern immer schlechter geht. Gleichzeitig bereicherten sich Funktionäre der neuen Regierung beim rücksichtslos durchgesetzten Privatisierungsprozess mit dubiosen Geschäften und der Zusammenarbeit mit mafiotischen »Bisnismen«.

Die Entscheidung Zoran Stojanovics, die SRS zu wählen, kommt also nicht von ungefähr. Die straff organisierte Partei vermochte es in den vergangenen Monaten geschickt, das Versagen der Regierenden effektvoll anzuprangern. Es ist keineswegs lediglich der oft beschworene »Ultranationalismus«, der den Radikalen zum Sieg verholfen hat, sondern vielmehr ihre ausgeprägte soziale Demagogie. So verging keine Rede von Nikolic, in der nicht der »brutale Kapitalismus« gegeißelt wurde, der aus dem Westen über das Land hereinbreche. Das populärste Wahlkampfversprechen des ehemaligen Friedhofsvorstehers aus der verrotteten Industriestadt Kragujevac bestand in der Ankündigung, den Preis für ein Kilo Brot auf den Centbetrag von drei Dinar zu senken, damit die Kinder nicht mehr hungrig in die Schule gehen müssen.

Der mit militantem Antiliberalismus begründete »Antikapitalismus« der SRS gleicht dabei dem des russischen Rechtsextremisten Wladimir Schirinowski. Dieser ist nach dem Sturz von Saddam Hussein neben dem französischen Front National der wichtigste Bündnispartner der Partei, die freilich mittlerweile auch von bedeutungslosen Nationalbolschewisten wie der Anti-Imperialistischen Koordination aus Wien hofiert wird. Die Ideologie der SRS verspricht die Geborgenheit im Schoße einer »souveränen Nation«, die sich dem »Globalismus der USA« widersetzt. Eine Parteisprecherin formuliert das Erfolgsrezept der SRS treffend als Mischung aus »Chomsky und Le Pen«.

Wie die soziale Demagogie findet auch die nationalistische Propaganda der SRS im Übermaß Anknüpfungspunkte in einer kruden politischen Realität. Dabei ist es vor allem das doppelte Spiel der »internationalen Gemeinschaft«, das der SRS die Wähler in die Arme treibt. Denn während die USA und die EU-Staaten den Sezessionsnationalismus vor allem in Kroatien und im Kosovo mit politischen und militärischen Mitteln tatkräftig unterstützten, verdammten sie gleichzeitig das serbische Pendant zur überall gleichermaßen reaktionären Ideologie eines ethnisch definierten »Selbstbestimmungsrechts der Nation« als allein verantwortlich für die grausamen Kriege. So kommt es, dass die militärische Vertreibung von 250 000 Serben aus der kroatischen Krajina-Region in der westlichen Öffentlichkeit genauso als Kavaliersdelikt gilt wie die Vertreibung derselben Zahl von Serben und Roma aus dem internationalen Protektorat Kosovo im Gefolge des Nato-Krieges von 1999. Während für diese Verbrechen in Den Haag bis heute kein einziger politischer Verantwortlicher vor Gericht steht, werden von der Chefanklägerin Carla del Ponte Auslieferungsgesuche für mutmaßliche serbische Kriegsverbrecher wie Werbewurfsendungen in den Regierungsbriefkasten in Belgrad gesteckt.

Angesichts dieser offenkundigen Einseitigkeit versuchte selbst die prowestliche Liberale Partei des scheidenden Innenministers Dusan Mihajlovic mit der Kandidatur des im November von Den Haag angeklagten amtierenden Polizeichefs Sreten Lukic auf Stimmenfang zu gehen. Aber die Ankündigungen der Radikalen, nach einem Wahlsieg die Armee in das Kosovo zu schicken, um »albanische Terroristen« zu bekämpfen und für eine Rückkehr der serbischen Flüchtlinge in ihre früheren Siedlungsgebiete in Kroatien zu sorgen und diese mit Serbien zu vereinigen, klangen denn doch authentischer. Schließlich haben die Milizen der SRS, die zeitweilig im Regierungsbündnis mit Milosevic stand, in den neunziger Jahren dort bereits gekämpft.

Dass die Realisierung des Programms der Radikalen einen neuen Krieg bedeuten würde, lässt Zoran Stojanovic kalt. »Die Serben können nicht immer Verlierer der Geschichte bleiben«, erklärt er ernst. Für ihn war der 28. Dezember erst der Anfang. »Wenn die neue Regierung genauso abwirtschaftet wie die alte, werden wir noch mehr Stimmen gewinnen«, hofft er nicht ganz unrealistisch. Für Sascha und Maja ist das eine Drohung. »Ich werde versuchen, so schnell wie möglich ins Ausland zu gehen«, meint Sascha. Maja sucht schon auf Kontaktseiten im Internet nach einem Heirats-partner mit EU-Pass. »Gern auch einen Slowenen, dann gibt es weniger Verständigungsprobleme«, sagt sie.