Schnitte zum Neujahr

Sozialreform in Frankreich

Mit dem Jahreswechsel trat in Frankreich die neueste »Reform« auf sozialem Gebiet in Kraft. Damit erblickt der Revenu minimum d’activité (Mindesteinkommen bei Tätigkeit), abgekürzt RMA, das Licht der Welt. Arbeitslosenkollektive und die radikale Linke dechiffrieren die Abkürzung jedoch als Retour au moyen âge (Rückkehr ins Mittelalter).

Der RMA ist eine an Bedingungen gekoppelte neue Form der Sozialhilfe, die bisher RMI hieß (Mindesteinkommen zur sozialen Eingliederung). Für eine Dauer von mindestens sechs und höchstens 18 Monaten sollen Sozialhilfeempfänger einem Unternehmen zur Verfügung gestellt werden können. Der Gesetzgeber sah explizit vor, dass es sich auch um eine Zeitarbeitsfirma handeln kann, die ihrerseits diese Arbeitskräfte an andere Betriebe »ausleihen« wird.

Die bisherige Höhe der Sozialhilfe, 411 Euro im Monat, wird dem Arbeitgeber vom Staat ausgezahlt; das Unternehmen muss seinerseits nur 183 Euro obendrauf legen. Für zwanzig Arbeitsstunden pro Woche erhält demnach der oder die Betroffene einen Stundenlohn von gut zwei Euro. Das Unternehmen muss Sozialabgaben nur auf die 183 Euro zahlen, um welche das RMI-Niveau »aufgestockt« wird; und der RMA-Empfänger wird auch nur für diese Summe sozial abgesichert. Da der RMA nicht als Arbeitsvertrag gilt, kann der oder die Betreffende zudem keines der Rechte ausüben, die normalerweise mit einer Beschäftigung verbunden sind, wie das Recht, den Betriebsrat zu wählen. Auch ist der »RMA-Vertrag« mit keinerlei Fortbildungspflichten für den Arbeitgeber verbunden, und nach dem Ende der Tätigkeit besteht keinerlei Recht auf Weiterbeschäftigung oder Erwerb einer Qualifikation.

Selbst die vom Parlament eingesetzte Berichterstatterin für den Gesetzentwurf, die rechtskatholische Abgeordnete Christine Boutin, hatte sich für mehrere Anträge stark gemacht, die den Betroffenen mehr Rechte verleihen sollten, im Namen der christlichen Soziallehre. Le Monde notierte, es sei ein seltener Vorgang, dass dermaßen systematisch die Anträge der parlamentarischen Berichterstatterin vom zuständigen Minister, in diesem Fall François Fillon, abgelehnt würden. Fillon drängte darauf, den RMA so schnell wie möglich und mit möglichst wenig Garantien für die Betreffenden festzuschreiben. Er setzte sich damit durch.

Die Sozialhilfe RMI seinerseits wird zugleich »dezentralisiert«, d.h. sie wird – statt wie bisher vom Zentralstaat – künftig von den Départements verwaltet. Noch genauer, von der Exekutivspitze, also den Départements-Präsidenten, denn die neu geschaffenen Bezirkskommissionen zur Sozialhilfe werden nur beratende Funktion haben. Vorbei ist es mit annähernd gleichen Rechten für alle Sozialhilfeempfänger, denn die Bezirkspräsidenten haben weitgehende Handlungsfreiheit. Nur für ein Jahr nach der »Dezentralisierung« sollen die Départements die bisherige Verpflichtung des Zentralstaats einhalten, mindestens 17 Prozent der für die Sozialhilfe bereitstehenden Mittel auf Fortbildungsmaßnahmen zu verwenden.

Der RMA richtet sich an solche Sozialhilfeempfänger, die mindestens ein Jahr lang Stützte erhalten haben. Derzeit gibt es über eine Million Sozialhilfeempfänger, von denen die Hälfte bereits seit über drei Jahren vom RMI abhängt.

bernhard schmid