Clips, die klappen

Eine hochkarätige DVD-Compilation adelt den Videoclip. von andreas hartmann

Drei der einflussreichsten und besten Musikvideoclip-Regisseure überhaupt, der Franzose Michel Gondry, der Engländer Chris Cunningham und der Amerikaner Spike Jonze, haben mit ihrer neuen DVD-Reihe »Director’s Series« erstmalig Musikvideo-Compilations zusammengestellt, die ganz der jeweiligen Arbeit einzelner Regisseure gewidmet sind. Der Regisseur dieses Genres, so die Message, ist kein anonymer Zusammenpanscher bunter Bilder im Auftrag irgendeines Popstars, sondern ein kreativer Kopf mit einem Namen.

Um dieses Anliegen publik zu machen, haben die drei sogar eine gemeinsame Firma, Director’s Label, gegründet, auf der in naher Zukunft weitere Werkschauen von Clip-Regisseuren erscheinen sollen, die als führend in ihrer Branche gelten. Zu sehen gibt es jedoch auf den drei bereits erschienenen Compilations einen Großteil der Clips, die in den letzten Jahren für Furore gesorgt haben. Beinahe scheint es so, als hätten Gondry, Jonze und Cunningham den Markt für außergewöhnliche Clip-Kunst unter sich aufgeteilt. Alle drei haben jeweils Clips für Björk produziert, die dafür bekannt ist, großen Wert auf ungewöhnliche Videos zu legen.

Von Gondry gibt es Lego-Animationen für die White Stripes zu sehen und all seine anderen stets extrem verspielt wirkenden Experimentalfilmchen für unterschiedliche Künstler, von den Chemical Brothers bis Kylie Minogue. Jonze zeigt nochmals seine berühmten Arbeiten für Fatboy Slim, die Beastie Boys oder Daft Punk; Cunningham präsentiert seine alptraumartigen und immer verstörenden Clips für Aphex Twin, Madonna oder Portishead. Die meisten Produktionen zeigen eben nicht den Popstar, wie er den dicken Max mimt, sondern führen in unheimlich vielschichtige, surreale und phantastische Bilderwelten. Videoclips »präsentieren uns – wo sie klappen – Spielfilme, komprimiert auf drei Minuten Länge, durchaus im Bewusstsein der Filmgeschichte, vorher ungesehene Bildverdichtungen, befeuert von zeitenmischenden Musikkompressen«, schreibt Klaus Theweleit in seinem neuen Buch »Deutschlandfilme«. Die Clips von Cunningham, Gondry und Jonze sind in diesem Sinne Drei-Minuten-Spielfilme, die hundertprozentig »klappen.«

Doch die »Director’s Series«-DVDs sind weit mehr, als bloß äußerst gelungene und samt ihren ausführlichen Booklets und jeder Menge Bonus-Features vorbildlich aufgemachte Clip-Compilationen, sie definieren vielmehr das junge Medium DVD genauso neu wie die Rezeptionsbedingungen von Clips überhaupt.

Die DVD hat die Filmkultur bereits radikal verändert. Bonusmaterial, herausgeschnittene Szenen, Untertitelungen sind zusammengenommen ein Surplus, auf dass der kritische Konsument innerhalb des zweiten Verwertungsmarktes der Filmindustrie kaum mehr verzichten möchte. DVD-Musikvideo-Compilations verändern die Wahrnehmung radikal. Nicht nur, dass der Clip, indem er in seiner Zweitverwertung weitestgehend der Funktion enthoben ist, Marketing-Vehikel für Popstars zu sein, stärker als Filmkunst rezipiert wird, ist neu. Auch die Möglichkeit für den Konsumenten, sich durch den Inhalt der DVD in beliebigem Abfolge-Modus zu wühlen, kommt einer Kulturrevolution gleich. Lustigerweise ist sie hier zu finden, die Interaktivität, von denen die Musiksender – die ehemals das Monopol auf das Abspielen von Musikclips hatten – mit ihren Aufforderungen zu Televotings und SMS-Verschickungen, immer geträumt haben. Hier wird der Konsument mit dem Zeigefinger über der Menü-Taste seiner Fernbedienung zum Programmgestalter, er kontrolliert seinen Konsum, und er allein bestimmt, was er in Intervallen von drei, vier Minuten sehen will.

Das neue Vermarktungskonzept für Videoclips erscheint nun just in dem Moment, in dem die Spielräume für eine experimentelle Clip-Kultur immer enger werden. Der angestammte Platz für Musikvideos, die Sender Viva und MTV, haben sich in den letzten Jahren radikal gewandelt. Aus den reinen Clip-Abspul-Anstalten mit Werbeunterbrechungen sind Sender geworden, die sich mit Serien wie den »Osbournes«, der »Ali G.-Show«, Koch- und Dating-Shows, kaum noch von anderen Kanälen unterscheiden. Sendungen, in denen Musikclips nach programmatischen Gesichtspunkten gezeigt werden, wie das eine Zeit lang beim eingestellten Sender Viva II der Fall war, gibt es kaum noch. Meist laufen rund um die Uhr die immergleichen Clips zu den derzeit angesagten Hits auf Rotation.

»Visual Niches« hieß dann auch eine der ersten Clip-DVDs, die auf die schlechten Bedingungen für experimentelle Musikvideos von Künstlern, die wenig Aussichten auf Charterfolge haben, reagierte. Die DVD wurde für diese Sammlung außergewöhnlicher Musikvideos unterschiedlichster Regisseure als das Medium entdeckt, das eben genau die visuellen Nischen zu besetzen vermag, für die sich die Musiksender immer weniger zuständig fühlen.

Davor gab es bereits andere Versuche, das Musikvideo als autonomes Kunstwerk zu etablieren. Mit »Clip Cult« wurde sogar eine Reihe von Musikvideos – die meisten kamen auch hier von Cunningham, Gondry und Jonze – für die Kinoleinwand aufbereitet. Die Reihe »Vantastic Voyages«, in der Theoretiker wie Slavoj Zizek mit intellektuellem Handwerkszeug Videoclips auseinander nehmen, lief auf dem Kulturkanal. Und auf den Oberhauser Kurzfilmtagen wird jährlich der »MuVi«-Award für die künstlerisch interessantesten Musikvideos verliehen. Bereits hier wurde versucht, deutlich zu machen, dass mitunter die beste Kunst die ist, die den Mechanismen der Kulturindustrie gänzlich unterworfen ist. Doch durch Clip-DVDs könnten sich nun selbst diese Mechanismen verändern. Was, wenn Videoclips demnächst nicht mehr für die sich immer weniger um ungewöhnliche Clips kümmernden Musiksender gekurbelt werden, sondern direkt für die DVD? Dann dürften wegen der freieren Produktionsbedingungen für Clip-Regisseure schnell ein paar weitere Kandidaten für die »Director’s Series«-Werkschauen herangewachsen sein.