»Es geht gegen die Subversiven«

Nach den Briefbomben gegen die EU geht der italienische Staat härter gegen die linke Opposition vor. Das Stichwort sind die »subversiven Vereinigungen«. Interview mit alessandro mantovani von der Tageszeitung Il Manifesto

Nach den Briefbomben, die unter anderem an Romano Prodi geschickt wurden, begann eine Kriminalisierungskampagne gegen die italienischen Anarchisten. Ist das eine neue Strategie des Staates, um Spannungen anzuheizen?

Gesprochen wird derzeit von vielem, und es gibt auch Leute, die tatsächlich davon sprechen. Ein in den siebziger Jahren bekannter linker Richter sprach beispielsweise in einem Interview von möglichen »obskuren, nicht anarchistischen Kräften«. Auch innerhalb der Bewegung wird von einer »Strategie der Spannung« gesprochen, man braucht nur die Kommentare zum Dokument der »Informellen anarchistischen Föderation«, die sich zu den Briefbomben gegen Prodi bekannte, auf Indymedia zu lesen. Auch im Falle der neuen Roten Brigaden wurde darüber spekuliert, dass hinter den Terroristen der Geheimdienst stecke. Alles nur Gerede.

Mein Eindruck ist, dass das Phänomen der anarchistischen Bombenleger real, aber begrenzt ist, dass man es nicht dramatisieren sollte. Die an Prodi geschickten Päckchen waren keine Bomben, sondern lösten nur eine Stichflamme aus. Es handelt sich um spontane Aktionen, innerhalb einer sozialen Bewegung ist eine solche Dynamik bekannt. Diese Leute waren auch in Genua und in Thessaloniki, wie sie in ihrem Dokument schreiben. Ihren Text muss man ernst nehmen, wenn man die aktuelle Situation verstehen will.

Vergangene Woche wurden zwölf Mitglieder des Netzwerkes der »Disobbedienti« wegen der Ereignisse im Rahmen der Demonstration gegen den EU-Konvent am 4. Oktober in Rom verhaftet. Was hat sich seit Genua an der staatlichen Repression verändert?

Neu ist, dass vom Staat selten solche komplexen Konstrukte aufgestellt werden, wie sie in den siebziger Jahren üblich waren. Damals reichte die Zugehörigkeit zu einer als »subversiv« geltenden Vereinigung: Du kennst den und den, also gehörst du dazu.

Jedoch wurde diese Strategie 2002 in Cosenza mit den Verhaftungen von Mitgliedern des globalisierungskritischen Netzwerkes »Sud ribelle« (Jungle World, 49/02) wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer »subversiven Vereinigung« verwendet. Nach drei Wochen ließ das Überprüfungsgericht die Anschuldigungen wegen »formeller Unstimmigkeiten« fallen. Ein weiterer Versuch war nach dem G 8-Gipfel in Genua die Anklage von 25 Demonstranten wegen Gründung einer »kriminellen Vereinigung mit dem Ziel von Zerstörung und Plünderung«. Gehalten wurde letztlich jedoch nur der Vorwurf der Plünderung, ein Verbrechen, das immerhin mit 15 Jahren Haft bestraft werden kann.

Die moderne Überwachungstechnologie erlaubt es, repressive Einsätze durchzuführen, die beinah chirurgisch präzise und zielgerichtet erscheinen. Das galt für Genua und, in einer weniger schwierigen Situation, auch für die Verhafteten der vergangenen Woche in Rom. Sie wurden wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt unter Hausarrest gestellt.

Häufiger als solche Strafmaßnahmen werden allerdings Kontrollen durchgeführt. Bis zu ihrer Verhaftungen in der vergangenen Woche behaupteten viele hier in Rom, dass die Disobbedienti, die Ungehorsamen, alles ungestraft machen dürfen. Jetzt aber wurden zwölf Leute verhaftet, Francesco Caruso, ihr Sprecher in Neapel, hat Meldepflicht, und Luca Casarini, der Sprecher aus dem italienischen Nordosten, droht die Sonderüberwachung.

Und es geschieht noch mehr: Die Staatsanwaltschaft geht auch gegen die Mitarbeiter der öffentlichen Verkehrsbetriebe vor, in Rom wurden im Dezember sogar Leute wegen des Verteilens von Flugblättern verhaftet, auf denen zur Solidarität mit einem Streik der Verkehrsbetriebe und zum Schwarzfahren aufgerufen wurde.

Es wird diskutiert, dass Teile der linken Bewegung an spontane Kampfformen anknüpfen sollten, etwa an die wilden Streiks der öffentlichen Verkehrsbetriebe, die in der vergangenen Woche ganz Italien lahm gelegt haben. Ist das eine Gefahr für Berlusconi?

Ich glaube nicht, dass sich Berlusconi groß darum kümmert, abgesehen davon, dass er sich wohl darüber ärgert, wenn ein paar Leute Scheiße vor seine Haustür kippen. Eher sehen schon Leute wie Innenminister Giuseppe Pisanu darin eine Bedrohung.

Und selbstverständlich erkennen die politische Rechte und der Sicherheitsapparat in der Verbindung zwischen globalisierungskritischer Bewegung und einem spontanen Kampf wie dem der öffentlichen Verkehrsbetriebe eine Bedrohung. Das gilt aber auch für die Mitte-Links-Koalition wie für die Gewerkschaft. Ein Beweis für diese These sind die harten Maßnahmen, die auch gegen die »wild« streikenden Mitarbeiter der öffentlichen Verkehrsbetriebe angewendet werden. Die Repression gegen die Aktivisten, die im Dezember Flugblätter verteilten, ist dafür beispielhaft.

Besteht in dieser Situation die Gefahr, dass sich in der italienischen Regierung eine Politik der »starken Hand« durchsetzt?

Die Gefahr existiert, darüber wird bereits gesprochen. Die staatlichen Zugriffsmöglichkeiten auf persönliche Daten wurden beispielsweise bereits erweitert. Da die Anklage wegen Gründung einer »subversiven« Vereinigung nur dann erfolgversprechend war, wenn der Beweis geplanter Attentate in Italien vorlag, wurde zudem die Straftat der »Bildung einer kriminellen Vereinigung mit dem Ziel des internationalen Terrorismus« eingeführt.

Nach den Briefbomben gegen die EU will man jetzt gegen die Anarchisten vorgehen, doch diese Gruppierungen sind nach Gesetzeslage schwer anzuklagen, zumindest nach der abstrakten Anklage der Gründung »bewaffneter Banden« und »subversiver Vereinigungen«. Eine Reform der existierenden Gesetze ist zur Zeit kaum vorstellbar; trotzdem wird, darauf verweisen viele Quellen, daran gearbeitet. Pisanu selbst bestätigte es am 8. Januar bei einer Anhörung vor dem Parlament zu den Briefbomben: Es könne sich um ein begrenztes Gesetzespaket handeln, welches in der Lage wäre, die Bekämpfung der Kriminalität zu verbessern, indem operative und juristische Instrumente den komplexen Dynamiken der heutigen subversiven und terroristischen Bewegungen angepasst würden.

Ist er auf diesem Weg schon weitergekommen?

Bei den neuen Roten Brigaden wurde schon das Prinzip durchgesetzt, dass die Ermittlungen zentral vom Innenministerium geleitet werden. Das Innenministerium besetzt zudem die für politische Verbrechen zuständige Sondereinheit Digos mit Personal, das zur internationalen Antiterroreinheit gehört. Das entspricht exakt dem Modell des amerikanischen FBI. Man erwägt zudem die Einführung einer nationalen Antiterrorstaatsanwaltschaft nach dem Modell der Antimafiastaatsanwaltschaft.

Eine restriktivere Gesetzgebung als die, die wir bereits haben, kann ich mir auf der Ebene des Strafrechts nicht vorstellen. Aber der Apparat ist viel phantasievoller als ich.

interview: federica matteoni