Schach dem Gorilla

Im Iran hat der Ausschluss missliebiger Kandidaten von den Wahlen zu Protesten geführt. Ein neues Bündnis von Exiloppositionellen hofft, die Legitimitätskrise des Regimes nutzen zu können. von bodo niendel und majid roshan zadeh

Diesmal mochte selbst Ayatollah Ali Khamenei der Entscheidung des Wächterrats nicht vorbehaltlos zustimmen. »Wenn ihre Eignung in der Vergangenheit bewiesen wurde, gilt prinzipiell, dass sie bis zum Beweis des Gegenteils kompetent sind«, erklärte der religiöse Führer des Iran zum Ausschluss von 80 Abgeordneten von der Parlamentswahl am 20. Februar.

Die »islamische Qualifikation« aller Bewerber wird vom zwölfköpfigen Wächterrat überprüft, dessen Mitglieder zur Hälfte von Khamenei ernannt wurden. Die Abgeordneten gehören zu jenen 3 600 von insgesamt 8 200 Kandidaten, die das von islamistischen Hardlinern dominierte Gremium für ungeeignet hält, weil sie entweder nicht über die nötigen Unterlagen verfügten oder ihre Loyalität zu den khomeinistischen Staatsprinzipien fraglich schien.

Dass es vornehmlich Kandidaten des so genannten Reformflügels um Präsident Muhammad Khatami waren, die der Wächterrat nicht antreten lassen wollte, führte zu einer innenpolitischen Krise. Zahlreiche Gouverneure und Kabinettsmitglieder drohten mit ihrem Rücktritt, Angehörige politischer Gefangener und Studentenführer schlossen sich den Protesten an, und die besagten 80 Abgeordneten des Teheraner Parlaments befinden sich im Sitzstreik.

Die vorbehaltlose Unterstützung Khatamis erhielten sie nicht. Der Präsident laviert, einerseits möchte er den Druck gegen die Entscheidung aufrechterhalten, andererseits scheut er eine Konfrontation und rief zur Beendigung des Sitzstreiks auf. Die protestierenden Abgeordneten lehnten dies ab. Pikanterweise ist der Sprecher der Streikenden, Mohammed Reza Khatami, der Leiter der Partei Musharakat und der Bruder des Staatspräsidenten.

Khamenei wiederum scheint zu dem Schluss gekommen zu sein, dass der Wächterrat etwas zu weit gegangen ist. Das Gremium habe nun »eine gute Gelegenheit, die Fälle zu überprüfen«, mahnte er die übereifrigen Geistlichen. Denn ein Ausschluss der »Reformer« würde den konservativen Kräften zwar einen Erdrutschsieg bescheren, die Parlamentswahl wäre aber in den Augen der Bevölkerung eine Farce und die Beteiligung entsprechend niedrig. Die Situation ist für die religiösen Herrscher brisant, das verheerende Erdbeben von Bam und das Missmanagement der Katastrophe riefen viel Unmut unter der iranischen Bevölkerung hervor.

Auch die Weigerung Khatamis, sich eindeutig hinter die Proteste zu stellen, hat viele Iraner einmal mehr enttäuscht. Regimekritiker wie Hasan Shariatmadari, der Sohn eines Ayatollahs, der sich gegen Khomeinis »Islamische Republik« stellte, glauben dennoch, ein friedlicher Wandel sei »nicht unmöglich«. Die oppositionelle Tätigkeit sei »ein Schachspiel mit einem Gorilla«, erklärte Shariatmadari der Jungle World. »Die Mehrheit der iranischen Bevölkerung möchte die Trennung von Religion und Staat. Und das ist durchsetzbar.«

Shariatmadari wurde in den Präsidiumsrat der Unity for a democratic and secular Iran gewählt, eines republikanischen Bündnisses, das aus einer Konferenz hervorging, die vom 8. bis 10. Januar im Audimax der Freien Universität Berlin stattfand. Zuvor hatten mehr als 1 000 Iraner eine Erklärung im Internet unterzeichnet, die einen friedlichen Weg zur Überwindung der Herrschaft der Rechtsgelehrten propagiert.

»Etwa 800 Teilnehmer trafen sich in Berlin, die Persisch mit unterschiedlichem Akzent sprachen«, berichtete der iranische Journalist Massud Behund und drückte damit die Unterschiedlichkeit der Teilnehmenden aus, die aus aller Welt anreisten. Einige der Exilanten trafen sich zum ersten Mal nach der Machtübernahme durch Ayatollah Khomeini wieder. Viele der Teilnehmer setzten Hoffnungen in den Reformprozess Khatamis, doch sehen sie diesen und den parlamentarischen Weg jetzt durchweg als gescheitert an.

Das Bündnis setzt auf die »Notwendigkeit der Mobilisierung zivilgesellschaftlicher Kräfte«. Der in Berlin gewählte 50köpfige Koordinationsrat begrüßte den Sitzstreik und bezeichnete in seiner ersten Erklärung die Nichtzulassung der Kandidaten als »nackte Tyrannei«.

Auch ausländische Hilfe ist willkommen. »Wenn sich die USA und die europäischen Staaten für Demokratie und Menschenrechte einsetzen, sind wir hundertprozentig mit einer solchen Politik einverstanden«, sagt Shariatmadari. Einen gewaltsamen regime change nach irakischem Muster lehnt das Bündnis jedoch ab, und ob der Druck der USA auf das iranische Regime der Opposition nützt oder den fundamentalistischen Hardlinern Auftrieb gibt, ist unter den Oppositionellen umstritten.

Im Koordinierungsrat sind verschiedene politische Strömungen vertreten. Ehemalige Aktivisten der Volksfedahjin und der kommunistischen Tudeh-Partei wurden ebenso gewählt wie Vertreter liberaler Positionen wie Meheran Barati, Anhänger einer säkulär-religiösen Strömung wie Hasan Shariatmadari und der sozialistisch orientierte Mehrdad Mashayachi, der eigens aus Washington anreiste. Feministinnen setzen nach zähem Ringen eine 30prozentige Frauenquote durch, und ein jugendlicher Teilnehmer, Farhad Fatapour, gab mit dem Hinweis, dass zwei Drittel der Bevölkerung des Iran unter 25 Jahre alt sind und diese Mehrheit auf der Konferenz deutlich unterrepräsentiert sei, den Anstoß, ein Jugendkomitee zu gründen.

Auch einige im Iran lebende Oppositionelle nahmen an der Konferenz teil, eine von ihnen ließ sich gar in den Koordinierungsrat wählen. Offen auftreten können sie jedoch nicht, und dass eine überwiegend aus Exilanten bestehende Organisation nur begrenzte Möglichkeiten hat, räumt Shariatmadari ein: »Kurzfristig werden wir vielleicht keinen Einfluss haben.« Er hofft jedoch, dass die Vernetzung der Oppositionellen und der Aufbau von Kontakten dies ändern werden.

Andere Oppositionelle wie der Berliner Publizist Bahman Nirumand blieben hingegen fern. Er glaubt nicht daran, dass das Bündnis halten könne, was es verspricht. Wenn es scheitere, sei vielleicht der letzte Versuch der Generation der Exilanten, die Mullahs zu stürzen, verspielt. Der im Pariser Exil lebende ehemalige Staatspräsident Abul Hasan Bani Sadr äußerte sich ebenfalls skeptisch. Ein solches republikanisches Bündnis sei zwar zu begrüßen, allerdings hätten die anwesenden Protagonisten in der Vergangenheit schon zu häufig ihre Positionen gewechselt.

Innerhalb des Iran fand die Konferenz ein großes Echo, viele Zeitungen berichteten über die Gründung des Bündnisses. Ob es den Oppositionellen im Exil gelingt, die mehrheitlich jugendliche und prowestlich eingestellte Bevölkerung zu erreichen und mit ihr eine politische Machtkonstellation zu schaffen, die es ermöglicht, die Mullahs zu stürzen, ist noch unklar. Die Legitimität des Regimes, einschließlich der Khatami-Fraktion, schwindet mehr und mehr. Wohl auch deshalb geben sich die »Reformer« jetzt sehr kämpferisch. »Selbst wenn alle derzeitigen Abgeordneten kandidieren dürfen, Leute außerhalb des Parlaments aber nicht, werden wir weitermachen«, kündigte Reza Khatami an. Doch die außerparlamentarische Bewegung, die zuletzt im Juli 2003 auf den Straßen protestierte, hat sich bislang nicht aktiv mit dem Sit-In der Parlamentarier solidarisiert.