Zum Trost gibt’s Identität

Durch Einbindung der muslimischen Gemeinde will Frankreichs Innenminister Nicolas Sarkozy einen Karrieresprung vorbereiten. Er denkt sogar ans Präsidentenamt.von bernhard schmid, paris

Der kleine Mann will hoch hinaus. Vorsorglich fragte der französische Innenminister Nicolas Sarkozy den neuen chinesischen Staatspräsidenten Hu Jintao, »wie man sich fühlt, wenn man zur Nummer eins aufgerückt ist«. Gut gelaunt erzählte der ehrgeizige Politiker die Anekdote kürzlich auf einer Pressekonferenz in Peking.

Sarkozy weilte in der vorletzten Woche zu einem Staatsbesuch in China, wo er ein Rücknahmeabkommen über unerwünschte Immigranten aushandelte, wie zuvor bereits mit Rumänien und mehreren westafrikanischen Ländern. Demnach sollen künftig chinesische Polizeibeamte am Pariser Flughafen Roissy ihren Dienst versehen, »um uns dabei zu helfen zu erkennen, wer illegaler Einwanderer ist und wer nicht«, wie Sarkozy erklärte. Zugleich soll Frankreich für chinesische Geschäftsleute und auch für Touristen attraktiver gemacht werden. Umgekehrt sollen französische Polizisten an den Flughäfen von Peking, Schanghai und Kanton stationiert werden.

Der kleinwüchsige Minister nutzte aber seinen Aufenthalt auch, um einige flotte Bemerkungen loszuwerden. So ließ er sich abschätzig über das japanische Sumo-Ringen und seine »fettleibigen« Sportler aus. »Das ist wirklich kein Intellektuellensport«, fügte er hinzu. Mit der Bemerkung wollte Sarkozy offensichtlich den französischen Staatspräsidenten Jacques Chirac treffen, der als großer Fan der japanischen Kultur und insbesondere des Sumo-Ringens bekannt ist.

Ebenfalls viel beachtet wurde, dass Sarkozy in seinem Grußwort an die in China lebenden Franzosen den Präsidenten mit keinem Wort erwähnte. Normalerweise entspricht es diplomatischen Gepflogenheiten, bei dieser Gelegenheit auch die Grüße des Staatsoberhaupts zu übermitteln. Chirac hat die Botschaft wohl verstanden. Sein Empfang für Sarkozy soll »gewitterhaft« gewesen sein, wie die Tageszeitung Le Monde bemerkte.

Anlässlich eines Fernsehauftritts bekannte Nicolas Sarkozy sich Ende November zu seinen hochfliegenden Plänen. Ob es ihm »manchmal morgens beim Rasieren« unterlaufe, an die nächste Präsidentschaftswahl im Jahr 2007 zu denken, wurde er gefragt. »Nicht nur beim Rasieren« denke er daran, antwortete Sarkozy ironisch.

Dabei dürfte er seine Kandidaturpläne jedoch zu früh bekannt gegeben haben, denn das höchste Staatsamt interessiert noch andere Politiker im konservativen Lager. Nicht zuletzt soll Jacques Chirac selbst daran denken, sich um eine dritte Amtszeit zu bewerben.

Dagegen gilt es derzeit als wahrscheinlich, dass Sarkozy in diesem Jahr zum Premierminister ernannt wird. Nach den Regionalwahlen im März könnte der unbeliebte Premier Jean-Pierre Raffarin ausgetauscht werden. Sarkozy zum Nachfolger einzusetzen, hätte für Chirac nicht zuletzt den Vorteil, den notorischen Drängler auf einen Posten wegzuloben, von dem aus der spätere Sprung in das Präsidentenamt als sehr schwierig gilt. Denn als Regierungschef müsste Sarkozy auch für unpopuläre Entscheidungen, vor allem bei wirtschaftlichen und sozialen Themen, einstehen. Bisher schöpfte er seine Popularität vor allem daraus, dass er als »Minister für die Innere Sicherheit« von einem weitgehend ideologisierten gesellschaftlichen Sicherheitsbedürfnis profitieren konnte, das er selbst kräftig mit anheizte.

Dennoch ist Sarkozy kein plumper Hardliner, sondern ein geschickter Stratege. So profiliert er sich zwar als harter Sicherheitspolitiker, gibt sich aber gleichzeitig auch weltoffen und aufgeschlossen für neue Ideen.

Interessant ist dabei das Spiel, das Nicolas Sarkozy mit den Themen Rassismus und Einwanderungspolitik betreibt. So steht der Minister als Symbolfigur für eine Politik, die gerade den migrantischen Jugendlichen in den Trabantenstädten, die nun noch häufiger Polizeischikanen ausgesetzt sind, das Leben schwer macht. Zugleich bemüht sich Sarkozy, als der beste »Minister der Integration« der letzten Jahrzehnte zu erscheinen.

Dazu gehört die Instrumentalisierung der reaktionären Kräfte in der muslimischen Gemeinde, die er in das institutionelle Spiel einbindet (Jungle World, 1-2/04). Die Ethnisierung und Konfessionalisierung des Sozialen ist ja schließlich auch ein Mittel, um für eine politische »Ordnung« in den Banlieues zu sorgen.

Aber auch seine Angebote in Sachen »positive Diskriminierung« gehören zu dieser Strategie. Während der Fernsehsendung im November, bei der er auch sein Interesse an dem höchsten Staatsamt zum Ausdruck brachte, kündigte Sarkozy konkrete Maßnahmen für die Integration der Migranten an. »Ich werde einen muslimischen Präfekten ernennen«, erklärte er. Präfekten sind die Vertreter des Zentralstaats in den französischen Départements.

Diese Frage der »positiven Diskriminierung« wurde daraufhin zum Streitpunkt zwischen rivalisierenden konservativen Politikern. Von Tunis aus antwortete Chirac auf den Vorstoß seines Innenministers, es komme nicht in Frage, einen hohen Staatsbeamten nur deswegen einzusetzen, weil er Moslem sei. Dies widerspreche dem Grundkonsens der Republik. Dann aber wurde vorletzte Woche bekannt, dass das Präsidentenamt im Elysée-Palast plant, einen Sohn von Einwanderern als Präfekten einzusetzen – als Symbol für die Integration der migrantischen Bevölkerung. Da hatte Sarkozy nun seinen »muslimischen Präfekten«, wie er sogleich betonte. Am vergangenen Mittwoch ernannte Chirac dann Aïssa Dermouche, den Sohn kabylischer Eltern, der bisher eine höhere Handelsschule in Nantes leitete, zum Präfekten im ostfranzösischen Jura.

Bemerkenswert ist vor allem, wie Chirac und Sarkozy die Frage der Diskriminierung erfolgreich auf die Ernennung eines Einzelnen in die hohe Beamtenlaufbahn reduziert haben. An der gesellschaftlichen Situation der meisten Einwanderer, für die eine solche Karriere unerreichbar ist, dürfte sich nichts ändern. Aber statt eines besseren Lebens dürfen sie sich vielleicht zum Trost in ihrer »Identität« bestärkt fühlen.