Hier kommt mein Twist

Beim österreichischen Privatsender ATV plus ist die Psycho-Show nach dem Vorbild von »Zwei bei Kallwass« gescheitert. Schade. Denn ich war dort Drehbuchautor. von oliver weiss

Ich muss. Ich muss dir heute etwas gestehen. Wenn du nicht da bist, arbeite ich als Edelhure«, sagt die wiegeintensive Mittvierzigerin in lidstrichverwischender Herzlichkeit zu ihrem Freund. Im Hintergrund eine federgewichtige Tür, die leicht zu wanken scheint. Die Dame lehnt an einem Stehpult, auch ihr völlig verwirrter Freund hat sich vor einem Katheder aufgebaut, und vor ihnen steht schwer einfühlsam die Psychologin: Magister Tanja Guserl, seit dem Start des österreichischen Privatsenders ATV plus im Oktober letzten Jahres Showseelenklempnerin in ihrer Sendung »Die Stunde der Wahrheit«.

Bei solchen Geständnissen, im Drehbuchautorendeutsch der »Twist« genannt, wird Tanja Guserl, eine Frau mit einem Charakter, der so spannend ist wie der eines Golden Retriever, meist angewiesen, tief durchzuatmen und in Richtung des verdutzten Partners zu hauchen: »Was sagen Sie zu diesem Geständnis?« Und wenn der Freund der Edelhure dann durchdreht und zu schimpfen beginnt, pflegt Magister Guserl zu sagen: »So kommen wir nicht weiter. Wir sollten die Ehrlichkeit ihrer Partnerin auch als Chance begreifen.« Oder so ähnlich.

Im Idealfall muss am Ende irgendetwas Versöhnliches im Drehbuch stehen. Da gibt es mehrere Möglichkeiten. Variante 1: Der Freund der Edelhure ist irgendwie stolz auf die Tätigkeit seiner Freundin, und Hand in Hand verlassen sie das Studio. Variante 2: Der Freund der Hure kann nicht mehr mit seiner Freundin leben, dankt aber herzlich für die Ehrlichkeit, und beide schwören einander ewige Freundschaft, obgleich sie als Paar gescheitert sind.

Gar nicht gut wäre rein programmtechnisch ein gepflegter Amoklauf des solcherart überraschten Freundes, denn die Psychologin muss auf jeden Fall Lösungskompetenz beweisen und die Delinquenten in perfekter Harmonie entlassen.

Ich weiß das. Denn auch ich war als Drehbuchautor für diese Show tätig. Zwar nicht für die eher konventionelle Geschichte von der Edelhure, aber für andere dramatische Folgen. Und natürlich für Geld. Für vergleichsweise viel Geld.

Als Geständnis-Schreiber lernt man so einiges über das Making of. Zum Beispiel, dass die Parts der »Betroffenen« stets in indirekter Rede zu fassen sind. Das liest sich dann so: »Sie müsse. Sie müsse ihm heute etwas gestehen. Wenn er nicht da sei, arbeite sie als Edelhure.« Diese Sprache über etwa 15 000 Zeichen durchzuhalten, ist anstrengend und bedarf einer gewissen Übung, hat aber durchaus Sinn: Weil die »Betroffenen« grundsätzlich Laiendarsteller und deshalb schauspielerisch so begabt wie Angela Merkel oder Pornomitwirkende sind, sollen sie gar nicht erst auf die Idee kommen, ihren Part wie richtige Schauspieler auswendig zu lernen, weil das dann eben auch so klingt wie aufgesagt. Durch die dauernde Verwendung der indirekten Rede werden die Laiendarsteller dazu genötigt, ihr Schicksal in eigene Worte zu fassen und damit die ganze Show authentischer zu machen. Nur Guserls Parts sind laut Drehbuchanweisungen in direkter Rede zu schreiben. Letztlich kann man als psychologischer Laie und Drehbuchautor nicht zulassen, dass eine ausgebildete Psychologin die Show durch kompetentes Kauderwelsch ruiniert.

Die Sache mit den Laiendarstellern haben die Zuseher teilweise übrigens bis heute nicht mitgekriegt und glauben wohl ähnlich wie beim Sat.1-Pendant »Zwei bei Kallwass« tatsächlich daran, dass es sich um echte Betroffene und echte Schickale handelt. Für Drehbuchschreiber hat das ganze Echtzeitgetue übrigens den Vorteil, dass der Name des Autors nicht im Nachspann erwähnt wird, weil die Programmverantwortlichen den Zusehern »nicht die Illusion nehmen möchten«, dass es sich um echte Fälle handelt, die da abgehandelt werden. Im Webforum von ATV plus etwa wurde vor kurzem ein junger Mann bewundert, der den Mut hatte, sich zu Frau Magister Guserl zu begeben, um dort zu beichten, dass er gerade eben aus dem Knast geflohen sei. Man muss allerdings dazu anmerken: Die Einschaltquoten der Psychologinnen-Show bewegen sich in einer Größenordnung, die selbst die Live-Übertragung einer Knastflucht für den Knacki als relativ risikolos erscheinen lassen würde.

Leider aber gehört Tanja Guserls »Stunde der Wahrheit« bald der Vergangenheit an, denn die Programmverantwortlichen haben an der Uhr gedreht. Guserl wird nach kurzer Fernsehprominenz schon Ende Februar aus dem Programm genommen. Ist die Psychologin daran schuld, dass die Zuschauer die Sendung großräumig meiden? Nun ist Tanja Guserl nicht irgendeiner Castingshow entsprungen, sie ist eine echte Therapeutin, betreibt eine Internet-Psychopraxis und war jahrelang Leiterin einer Selbsthilfegruppe für Essgestörte. Bloß glauben ihr die Qualifikation die meisten der wenigen Zuseher nicht. Ein Zuschauer etwa postete vor kurzem, dass er »die Frau Guserl recht sympathisch« findet, sich aber fragt, ob »sie bewusst so tut, als wäre sie ein bisschen zurückgeblieben«. Zurückgeblieben? Das ist sie nicht. Bloß hatte das Sendekonzept eben manchmal Fehler, die auszumerzen nicht gelungen ist.

Erst Ende des Jahres etwa wurden die Stehpulte in der Praxis eingeführt, weil die Programmverantwortlichen eben »mehr Dynamik« sehen wollten. Die Klienten sollten eben nicht mehr die ganze Sendung lange statisch in ihren Korbsesseln herumlümmeln, sondern sich ein bisschen bewegen, etwa zum Partner gehen, ihn umarmen oder auch mal körperlich züchtigen. Zu den dramatischen Höhepunkten gehört es zum Beispiel, wenn die bei Guserl Ratsuchenden irgendwelche der Lösung des Problems dienlichen Beweisstücke auf das Stehpult der Psychologin legen. Bloß sind eben Stehpulte in den therapeutischen Praxen noch immer ein seltenes Gut.

Bei dem ungleich erfolgreicheren Sat.1.-Pendant »Zwei bei Kallwass« war man zumindest konsequent; dort versuchte man gar nicht erst, den Eindruck von Psychopraxis zu vermitteln, sondern platzierte die Stehpulte vor einem Studiopublikum, so dass auch der tranigste Zuschauer kapiert: Wir sind hier nicht beim Arzt, sondern beim Fernsehen.

Für mich persönlich ist es schade, dass Guserl wieder zurück in ihre Internet-Praxis muss. Denn eigentlich hatte ich noch vor, meine Tätigkeit für das Seelenheil der Österreicher mit einem fulminant höhepunktverdächtigen Drehbuch abzuschließen. In dem erhalten zwei außerirdische und zu Menschengröße mutierte Killer-Pepperoni (rot und grün) unter dem Vorwand einer schweren psychischen Deformation oder eines sexuellen Problems einen Termin bei Guserl und entführen sie dann handstreichartig in die Pepperoni-Galaxie. Als letzte Folge wäre das geradezu ideal gewesen, man hätte auch die Sendung nicht so abrupt wegen Erfolglosigkeit absetzen müssen. Dazu aber wird es nun nicht mehr kommen. Also werde ich wohl weiter für die Jungle World schreiben.