Schimmel an der Moldau

Die Europäische Union ruft in der tschechischen Bevölkerung wenig Begeisterung hervor. Aber in der kommunistischen Partei gibt es Streit, was von der EU zu erwarten ist. von matthias gärtner, prag

Auch die Aussicht auf den viel gepriesenen Geldregen, mit dem Tschechien nach dem EU-Beitritt am 1. Mai 2004 rechnen kann, macht die Europäische Union für die Mehrheit der Bevölkerung nicht attraktiver. Dem Land stehen von 2004 bis 2006 nach Angaben des Ministeriums für regionale Wirtschaftsentwicklung etwa 2,3 Milliarden Euro aus den Struktur- und Kohäsionsfonds der EU zur Verfügung. Mt diesem Geld sollen Investitionen in strukturschwachen Regionen gefördert werden.

Trotzdem glauben nach einer Meinungsumfrage 50 Prozent der Tschechen, dass der Beitritt der einheimischen Wirtschaft große Probleme bescheren wird. 68 Prozent befürchten sogar einen Teilverlust der Souveränität ihres Landes.

Auch der Staatspräsident scheint wenig Vertrauen in die EU zu haben. Vaclav Klaus, der für seinen Populismus und seinen EU-kritischen Kurs bekannt ist, ließ nach dem vorläufigen Scheitern der EU-Verfassung verlauten: »Der Versuch, eine Verfassung zu beschließen, war ein radikaler Schritt zur Schaffung eines europäischen Superstaates. Es wächst die Zahl derer, die anfangen, sich dieser Gefahr bewusst zu werden.« Der sozialdemokratische Ministerpräsident Vladimir Spidla fürchtet dagegen, dass sich ein »Europa der zwei Geschwindigkeiten« entwickeln könnte. Er plädiert für eine effektive Integration der neuen Mitglieder und sieht Tschechien als gleichwertigen Partner bei allen Entscheidungen in der EU.

Auch in der kommunistischen Partei, die immer als sicherer Hort für alle EU-Gegner galt, wird neuerdigs heftig über den Kurs gegenüber der EU gestritten. Während der letzten Sitzung des Zentralkomitees der KP Böhmens und Mährens (KSCM) im vergangenen Jahr forderte der stellvertretende Vorsitzende Vaclav Exner seinen Amtskollegen Jiri Dolejs zum Rücktritt auf. Die kommunistische Tageszeitung Halo Noviny versuchte, den Zwischenfall, der sich während einer ZK-Sitzung ereignete, als »Missverständnis« herunterzuspielen. Und auch andere höhere Politiker schweigen über den Krach. Als Hintergrund gilt jedoch, dass Dolejs in letzter Zeit des Öfteren gefordert hat, die Partei müsse der EU gegenüber aufgeschlossener werden. Er vertritt die Ansicht, man müsse den europäischen Integrationskurs mit eigenen linken, sozialen und friedenspolitischen Positionen positiv begleiten.

Vor diesem Hintergrund gilt der Krach zwischen Exner und Dolejs als Zeichen für die tiefen politischen Differenzen innerhalb der Partei, die bei Umfragen in der Gunst der Bevölkerung im Moment den zweiten Platz belegt. Die Parteiführung fürchtet offensichtlich, dass EU-freundliche Positionen, wie sie Dolej vertritt, Wähler verschrecken könnten, was sich sehr negativ auf das Ergebnis bei den Wahlen zum europäischen Parlament im Juni auswirken würde. Die traditonelle Wählerschaft der Kommunisten besteht zumeist aus Rentnern und Bewohnern der ländlichen Regionen, den Verlierern der wirtschaftlichen Umbruchprozesse der vergangenen Jahre.

Der angegriffenene Dolejs gilt zugleich als Anhänger einer europäischen Linkspartei, wie sie gerade gegründet wurde. Er möchte, dass sich die KSCM dort aktiv einbringt. Sein Gegenspieler in dieser Frage ist Vaclav Exner, der dem konservativen Flügel der Partei zugerechnet wird. Auch wenn er sich vor kurzem für eine Mitarbeit der KSCM in der Fraktion der europäischen Linken im EU-Parlament ausgesprochen hat, lehnt er eine europäische Linkspartei, die nur innerhalb der EU agiert, ab. Er will, dass auch kommunistische Parteien aus Russland und anderen Nachfolgestaaten der Sowjetunion mitarbeiten können. Den von Dolejs vorgeschlagenen Öffnungskurs gegenüber der EU lehnt er ab.

Auch wenn es von der Parteispitze nicht offiziell vertreten wird, ist offensichtlich, dass viele Mitglieder und traditionelle Wähler der KSCM den Kurs Tschechiens in Richtung der EU für falsch halten. Die meisten sähen das Land lieber in einem Bündnis mit Russland, Weißrussland und der Ukraine.

Oft hört man den Spruch, erst wenn der russische Schimmel aus der Moldau trinke, gehe es Tschechien wieder gut. Das Bild, das in der Spitze der KSCM niemand verwenden möchte, drückt aus, was viele Parteimitglieder politisch favorisieren.

Die KSCM kann derartige Vorstellungen aber nicht öffentlich propagieren, denn das würde die Partei wegen der Niederschlagung des Prager Frühlings durch Truppen des Warschauer Pakts im Jahr 1968 jegliche Akzeptanz in der tschechischen Gesellschaft kosten.

Interessant könnte in den kommenden Wochen noch werden, wie sich der Parteivorsitzende, Miroslav Grebenicek, in dieser Diskussion positioniert. Reformer fürchten, dass er zusammen mit Exner EU-Befürworter wie Dolejs aus der Parteispitze drängen will, um den traditionellen Kurs der KSCM weiterzuführen.

Im Mai steht die Neuwahl der Parteiführung an, und Grebenicek, der seit 1993 Vorsitzender ist, beabsichtigt, für eine weitere Amtszeit von vier Jahren anzutreten. Wenn er nicht die entsprechende Unterstützung erhält, soll er, so besagen es Gerüchte, ins Europaparlament wechseln. Dann wäre der Streit zwischen Dolejs und Exner auch das Ringen um den Parteivorsitz. Bislang allerdings schließt Grebenicek eine eigene Kandidatur für das EU-Parlament aus.

Der Streit über den künftigen Europakurs wird in den kommenden Wochen und Monaten nicht nur bei den Kommunisten an Schärfe gewinnen. Möglicherweise ergeben sich dann bei den EU-Parlamentswahlen interessante Konstellationen. Nicht auszuschließen ist, dass eine bizarre Allianz aus EU-Kritikern von den neokonservativen Kräften um Präsident Klaus und seiner rechtsbürgerlichen Partei ODS bis zu traditionellen Kommunisten eine Mehrheit der Wählerstimmen erhält.