Jeder drückt auf seine Weise

Fast fünf Jahre nach dem gewaltsamen Tod Aamir Ageebs stehen drei BGS-Beamte vor Gericht. von anke schwarzer

Elf Plastikfesseln, ein fünf Meter langes Seil, vier Klettbänder mit Durchzugsösen, ein handelsüblicher Motorradhelm ohne Visier, eine Decke und ein Kissen – mit diesen Mitteln malträtierten Beamte des Bundesgrenzschutzes (BGS) Aamir Ageeb, um ihn gegen seinen Willen in den Sudan abschieben zu können. Er überlebte diese Tortur nicht. Nun stehen, fast fünf Jahre später, drei BGS-Beamte vor Gericht. Das Urteil wird im März erwartet.

Bevor sie Ageeb am 28. Mai 1999 in die Lufthansa-Maschine schleppten, hatten sie den 30jährigen am Frankfurter Flughafen zweieinhalb Stunden in einer Folterfesselung, der so genannten »Schaukel« oder hogtie-Stellung, liegen gelassen. Fuß- und Handgelenke wurden gefesselt und dann rücklings miteinander verbunden. An Bord des Flugzeugs schnallten die drei Beamten Ageeb an den Sitz, pressten seinen Oberkörper auf die Knie, fesselten ihn und setzten ihm den Motorradhelm auf.

Der Arzt Claus Metz von der Organisation Ärzte in sozialer Verantwortung (IPPNW) stellte nach der Einsicht in den Untersuchungsbericht der Staatsanwaltschaft fest, dass einzelne Maßnahmen für sich schon zum Erstickungstod hätten führen können. Allein den Oberkörper herunterzudrücken mit den gefesselten Händen in der Magengrube, lasse die Atmung je nach Beugewinkel bis auf Null zurückgehen. Zeugen, die in der Nähe saßen, gaben damals zu Protokoll, dass die Beamten außerdem ein Kissen vor Ageebs Gesicht drückten, um sein Schreien zu dämpfen. Sie bestätigten auch, dass die BGS-Beamten sich trotz ärztlicher Aufforderung weigerten, Ageebs leblosen Körper abzuschnallen, um eine Wiederbelebung auf dem Boden des Flugzeugs zu ermöglichen.

Die Staatsanwaltschaft Frankfurt hat drei der Beamten wegen fahrlässiger Tötung angeklagt. In ihrer Anklageschrift beruft sie sich auf ein rechtsmedizinisches Gutachten, das neben zahlreichen Blutergüssen und sechs Rippenbrüchen ein lagebedingtes Ersticken als Todesursache festgestellt hat. Während Fälle wegen fahrlässiger Tötung in der Regel bei Landgerichten verhandelt werden, landete dieser in den Stuben des Amtsgerichts, das höchstens zu vier Jahren Haft verurteilen darf. Und dort ließ der Amtsrichter Ralph Henrici die Akten des Falls erst einmal einige Jahre verstauben.

Nebenkläger ist der Mannheimer Anwalt Dieter Kornblum, der die Angehörigen des Getöteten vertritt. Die Familie im Sudan habe fast wöchentlich angefragt, ob die Botschaft Neuigkeiten aus Deutschland wisse. Nun erwartet sie eine Entschädigung für das erlittene Leid, sagt Kornblum, und hoffe, dass sich im Prozess klärt, wer für den Tod Ageebs verantwortlich ist.

Doch die zwischen 31 und 40 Jahre alten Angeklagten schweigen am ersten Prozesstag. Die Polizisten versehen weiterhin ihren Dienst beim BGS, sind aber nach Angaben ihrer Anwälte seit dem Vorfall nicht befördert worden. An der Abschiebung beteiligte Kollegen antworten zwar auf Fragen, haben aber große Erinnerungslücken.

Einer von ihnen räumt ein, dass Flüchtlingen häufig bei Abschiebungen im Flugzeug der Kopf nach unten gedrückt wurde, um sie am Schreien zu hindern. Diese Methode gilt nach Erkenntnissen der US-Polizei als häufige Todesursache bei Festnahmen. Zu klären ist nun, ob dieser Sachverhalt dem Bundesgrenzschutz schon vor Ageebs Tod bekannt war.

Von den drei Zeugen hat nach eigenen Angaben nur einer an einem einwöchigen Lehrgang über das technische Vorgehen bei Abschiebungen teilgenommen. Man sei nach dem Motto »Learning by Doing« von erfahrenen Kollegen eingewiesen worden. Dienstvorschriften, die Handschellen und Plastikfesseln an Bord von Flugzeugen untersagten, kannten die Beamten nicht. »Es gab keine eindeutigen Regularien für das Verfahren im Flugzeug, da haben sich die Rückführer das selbst gestaltet«, erklärt ein 32 Jahre alter Grenzschützer. Kornblum zufolge seien allerdings seit Januar 1998 halbjährliche Anweisungen von den BGS-Beamten zu unterschreiben, in denen auch gestanden habe, dass bei der Verwendung von Helmen die Atmung permanent zu überwachen sei. »Aber an diese Unterlagen heranzukommen, ist sehr schwierig.«

Der Flugkapitän Eike Rohn und sein Flugpersonal offenbarten während des zweiten Prozesstages ihre gleichgültige bis feindselige Haltung gegenüber Flüchtlingen. Die Stewardess Ina Eisele, für die der ganze Fall sowieso nur von den Medien aufgebauscht sei, bezweifelte, dass Ageeb ersticken konnte. Gestört habe sie, dass Ageebs Füße den Gang versperrten. Ansonsten habe sie ihre Küche in Ordnung halten müssen. Menschenrechtsgruppen erwägen derzeit, Anzeige gegen das Lufthansa-Flugpersonal wegen unterlassener Hilfeleistung zu erstatten.

Jedes Jahr werden über 32 000 Menschen per Flugzeug abgeschoben, von denen mehrere tausend von Polizei und BGS »begleitet« werden. Es stellt sich die Frage, warum das Innenministerium keine Maßnahmen ergriff, um Ageebs Tod zu verhindern. Bereits 1994 hatten Grenzschützer Kola Bankole aus Nigeria wie ein Paket verschnürt, ihm ein Skisockenknäuel, durch das ein Rollladengurt gezogen war, zwischen die Zähne geschoben und den Gurt minutenlang straff gezogen. Ein Arzt hatte ihm zusätzlich eine Beruhigungsspritze verabreicht.

Damals wurde allerdings, wie nicht selten in der deutschen Rechtsmedizin, ein natürlicher Gewahrsamstod bescheinigt. »Ein plötzlicher Tod aus natürlicher innerer Ursache« oder »Herzfehler« sind typische Diagnosen. So auch bei Achidi John, der während einer gewaltsamen Brechmitteleinflößung in Hamburg starb.

Der Fall Ageeb unterstreicht die kürzlich vorgelegte Kritik von Amnesty International an den schleppenden staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen bei Misshandlungsvorwürfen gegen Polizisten. Der Bericht weist darauf hin, dass es bei Abschiebungen aus Deutschland immer wieder zu exzessiver Gewaltanwendung der Polizei gekommen ist.

Das antirassistische Netzwerk »Kein Mensch ist illegal«, das 2001 eine Kampagne gegen die Lufthansa startete (Jungle World, 18/00 und 25/01), demonstrierte auch zum Prozessbeginn in Frankfurt dafür, dass niemand gegen seinen Willen abgeschoben werde. Dank der Öffentlichkeits- und Aktionskampagne wurden Passagiere und Flugpersonal sensibilisiert und zum Einschreiten ermutigt. Doch die Behörden setzen mehr und mehr auf privates Sicherheitspersonal und Charterflüge, insbesondere ab Düsseldorf, München, Baden-Baden und Berlin-Schönefeld. So finden Abschiebungen ohne normale Passagiere als Zeugen statt.

In den vergangenen zehn Jahren sind auch in anderen europäischen Staaten Menschen bei ihrer Abschiebung getötet worden. In Frankreich starben der somalische Staatsbürger Mariame Getu Hagos (2003) und der Argentinier Ricardo Barrientos (2002), in der Schweiz der nigerianische Staatsangehörige Samson Chukwu (2001) und Khaled Abuzarifa aus Gaza (1999), in Österreich der aus Nigeria stammende Marcus Omofuma (1999), in Belgien die Nigerianerin Semira Adamu (1998) und in Großbritannien die in Jamaika geborene Joy Gardner (1993).