Im Jahr des Affen

Die Vogelgrippe, muslimische Separatisten und seine eigenen großzügigen Versprechen gefährden die Position des thailändischen Premierministers Thaksin. von tom dickenson, bangkok

Nicht das sprichwörtliche asiatische Lächeln, sondern ein Gähnkrampf ist der typische Gesichtsausdruck der Thais in Bangkok. Die Sechs-Millionen-Metropole ist eine Stadt, in der niemand schlafen kann. Der Lärm der Baustellen, des Verkehrs, der Straßenmärkte und Menschenmassen ergibt einen wahren kakophonischen Dauerlärm. Der fehlende Schlaf wird dann tagsüber an allen möglichen Orten in allen möglichen Stellungen nachgeholt.

Und es wird lauter. Seit Premierminister Thaksin Shinawatra durch günstige Kredite und staatliche Investitionen die Wirtschaft ankurbeln will, ist die Zahl der Autos und der Baustellen rasant gestiegen. Im Zentrum der Stadt fällt der Blick noch immer auf die zahlreichen Investitionsruinen am Ufer. Die schmutziggrauen Fassaden der Stahlbetonskelette erinnern an die »Bangkok-Krise«, den Aktienskandal, der 1997 den Boom nicht nur in Thailand beendete. Mittlerweile sind die Investoren zurückgekehrt. Allerdings wird nicht mehr ganz so überdimensional gebaut.

Seit seiner Wahl 2001 ist Thaksin bemüht, die nationale Schande für immer aus dem Gedächtnis zu tilgen. Der Berlusconi des fernen Ostens gebietet über ein weit verzweigtes Telekommunikationsimperium, sein Vermögen gibt er mit einer Milliarde Dollar an. In anderen asiatischen Staaten wird interessiert beobachtet, ob die »Thaksinomics« erfolgreich sind. Kritiker befürchten allerdings unbezahlbare Haushaltsdefizite und eine erneute Überhitzung der Wirtschaft. Von solchen Nörglern aber lässt sich der Populist Thaksin, der ebenso wenig von Kritik hält wie Berlusconi, nicht beeindrucken. Er hat für alle Probleme eine passende Antwort.

Ende des vergangenen Jahres kosteten die mit Gewalt ausgetragenen Rivalitäten der Studenten diverser privater Fakultäten zwei Menschen das Leben. Wer sich nicht prügelt mit den Kommilitonen anderer Fakultäten, verliert als Erstsemester »sein Gesicht«, so die Logik der Gewalt. Thaksin hat seine eigene Logik. Wer kämpfen will, könne dies gerne tun, belehrte er in einer Rede die Studenten, die für zwei Wochen in ein Militärcamp eingewiesen wurden. Er möge sich aber bei der Armee zum Kampf gegen muslimische Separatisten melden. Ein Zurück gibt es dann nicht mehr. Wer feige vor dem Feind fliehe, »verdient den Tod«, erklärte Thaksin im Januar kurz nach einem Feuerüberfall auf ein Armee-Camp im muslimisch geprägten Süden von Thailand.

Ob sich Thaksin in seiner Rede an die Studenten vom Zeichner der englischsprachigen Tageszeitung The Nation inspirieren ließ? Dort sah man zuvor eine Karikatur, die eine Horde bis an die Zähne bewaffneter nationalistischer Studenten zeigte, die zum Schrecken der Araber im Irak aus dem Helikopter stürmen. Karikaturen zeichnen das Bild von Thailand im Moment scheinbar am besten. Die Massenschlachtung von 50 Millionen Hühnern kommentiert der Karikaturist mit der Sprechblase, es handle sich nicht um kranke Hühner, sondern um Drogendealer. Und die werden in Thailand bekanntlich auf der Stelle erschossen.

Die Spezialeinheiten nehmen die Parole vom »Krieg gegen die Drogen« sehr wörtlich. Mehr als 2 500 Menschen starben allein zwischen Februar und April letzten Jahres, darunter 800 »Verdächtige«, größtenteils Unschuldige, die in die Feuerlinie geraten sind. Selbst die nationale Ikone, der König persönlich, sprach im Dezember das Thema an und mahnte zur schnellen Aufklärung. Die aber lässt trotz Entschädigungszahlungen auf sich warten.

Thaksins Popularität hat das wenig geschadet. Die meisten Thais lieben weiterhin den Führer der Partei Thai rak Thai (Thais lieben Thais). Schon ist die Rede von einer 20jährigen Regentschaft Thaksins als Retter der Nation. Das Magazin Neewsweek setzte ihn gar auf die Titelseite und nannte ihn »den neuen Mahathir«, stellte aber doch fest, dass er von diesem Status noch weit entfernt sei.

Mahathir Muhammad hatte das benachbarte Malaysia 22 Jahre lang autokratisch regiert, bevor er im Oktober zurücktrat. Derzeit hat Thailand mit seinen ökonomischen Daten das Wirtschaftswunderland Malaysia überflügelt. Ob das politische Glück für Thaksin auch im nun angebrochenen Jahr des Affen anhält, wird sich spätestens Mitte September mit den Wahlen zum prestigeträchtigen Amt des Gouverneurs von Bangkok zeigen.

Das Jahr des Affen hat zumindest turbulent begonnen, Thaksin selbst spricht von der »härtesten« Zeit, seit er Premierminister ist. Die Vogelgrippe weitet sich zu einer nationalen Katastrophe aus, und die Gewalt im Süden nimmt kein Ende. Wegen der jahrzehntelangen Politik der rücksichtslosen Assimilierung an die buddhistische Mehrheitskultur stehen große Teile der muslimischen Minderheit der Regierung misstrauisch und feindlich gegenüber. Da hilft es auch nicht weiter, wenn militärische Einheiten den Kindern im Rahmen der psychologischen Kriegsführung eine Gratisfrisur verpassen und ihnen einheitlich den Kopf kahl scheren.

Anfang Januar starben vier Soldaten bei Überfällen muslimischer Separatisten, seitdem reißt die Welle der Gewalttaten nicht mehr ab. Auf Brandstiftungen in Schulen, den Waffendiebstahl in einem Militärcamp, Feuerüberfälle und Bombenanschläge auf Polizeistationen reagierte die Regierung mit der Verhaftung muslimischer Lehrer. Ein regionaler Muslimführer wurde nach seiner Entführung durch paramilitärische Einheiten tot aufgefunden, es folgte eine Serie von Morden an buddhistischen Mönchen. In den südlichen Grenzprovinzen mussten die Schulen schließen, der Region droht ein »schmutziger Krieg«, in dem beide Seiten Zivilisten angreifen.

Thaksin jettet unterdessen auf einer PR-Tournee für die angeschlagene Geflügelindustrie durch das Land. Viele machen das Versagen der Regierung, die die Seuche geheim halten wollte, für das Ausmaß der Katastrophe verantwortlich. Thaksin verspeiste daraufhin Anfang Februar öffentlich Hühncheneintopf und erklärte dies auch gleich zur nationalen Pflicht: »Wenn ihr keine Hühner esst, können die Leute keine Hühner verkaufen, und sie werden ihre Jobs verlieren. Jeder wird Probleme haben.«

So einfach kann Wirtschaftspolitik sein. In seinen Werbespots auf Privatsendern für den »Krieg gegen die Armut« verspricht Thaksin die Modernisierung Thailands und das Ende der Armut in den ländlichen Regionen innerhalb von sechs Jahren. Auf die Frage »Wer soll das bezahlen?« kommt die lapidare Antwort: »Wir regeln das!« Doch für sein jüngstes und ehrgeizigstes Projekt ist Thaksin abhängig von der Aufrechterhaltung des Booms in Thailand und von der weltwirtschaftlichen Entwicklung.

Wenn der Premierminister 2005 zur Wiederwahl antreten muss, hat das Jahr des Hahns begonnen. Das hört sich wieder mehr nach einem Jahr für den Macho Thaksin an. Wenn der Hahn bis dahin nicht an der Vogelgrippe gestorben ist.