Saufen und töten

In Gera eskalieren die Angriffe von Rechtsextremen. Ein Aussiedler und einer der Angreifer starben bereits. von alexander fichtner

Viele Leute kamen nicht zu der Kundgebung der Grünen in Gera am vorigen Donnerstag. Gerade mal 50 Personen waren es, die dem Aufruf der Partei unter dem Motto: »Saufen, prügeln, töten – rechte Unkultur und ihre Anhänger« folgten. Anlass war die Ermordung des Aussiedlers Oleg V.

In der Nacht vom 20. zum 21. Januar war er von vier Tätern im Alter von 14 bis 19 Jahren in ein Wäldchen inmitten des Neubauviertels Biblach-Ost im Norden Geras gelockt worden, wo sie ihn erst mit eine Bierflasche von hinten auf den Kopf schlugen und ihn dann mit Fäusten, Füßen, einem Messer und einem Hammer auf brutale Weise töteten.

Noch am 21. Januar verhaftete die Polizei die vier Tatverdächtigen. Sie legten ein Geständnis ab. Bis auf den 14jährigen sind alle Täter bereits unter anderem wegen Körperverletzung, Raub und Einbrüchen vorbestraft. Auslöser der Tat sei ein Streit mit dem Opfer gewesen, der aufgekommen sei, als man in der Wohnung eines Täters getrunken habe, erklärte Matthias Klitzsch von der Geraer Kriminalpolizei.

Oleg V. ist nicht der einzige Tote in diesem Zusammenhang. Spätestens seit dem 5. Februar hat sich die Situation in Gera noch einmal verschärft. An diesem Tag geriet der 19jährige Bundeswehrsoldat Marcel W. bei einer Schlägerei mit einem 18jährigen Armenier an einer Haltestelle unter eine Straßenbahn und starb noch dort. Der Auseinandersetzung sei ein Streit zwischen dem wegen Hausfriedensbruch, Körperverletzung und Sachbeschädigung polizeilich bekannten Obergefreiten und zwei weiteren Deutschen einerseits und dem Armenier andererseits vorausgegangen. Es sei nicht auszuschließen, dass die drei Deutschen den Armenier zuvor in ausländerfeindlicher Weise beschimpft hätten, räumten der Leitende Oberstaatsanwalt Raimund Sauter und der Polizeidirektor Lothar Kissel diesmal ein.

Am Tag darauf hielten 25 Rechte am Ort des Geschehens eine Mahnwache ab. Sie hielten ein Transparent hoch, auf dem stand: »Marcel, wir trauern um Dich! Kriminelle Ausländer raus! Elsterfront«. Die Polizei war nach Angaben des Geraer Bündnisses gegen Rechts zwar über die Mahnwache informiert, aber nicht anwesend, mit der Begründung, es handle sich nicht um »erkennbar rechtsextreme Jugendliche«.

Christel Wagner-Schurwanz von der Thüringer Opferberatungsstelle Abad kritisiert die Darstellung der Geraer Polizei im Falle Oleg V. »Die Behörden stellen den Mord als Beziehungstat heraus, um einen möglichen rassistischen Hintergrund herunterzuspielen«, sagt sie. In Gera habe es ständig Übergriffe von Rechten auf Aussiedler gegeben. Durch ihre Arbeit bei Abad habe sie schrittweise das Vertrauen der Opfer gewonnen und so von immer mehr Übergriffen erfahren, die sonst nie aufgedeckt worden wären.

Ein Sprecher des Geraer Bündnisses gegen Rechts sagte der Jungle World, nach Aussagen von Jugendlichen seien die Mörder von Oleg V. sowohl durch ihre Kleidung als auch durch ihr Umfeld der rechten Szene zuzuordnen. Der Polizeidirektor Lothar Kissel hingegen verneinte in einem Interview mit der Ostthüringer Zeitung (OTZ) jegliche Anhaltspunkte für ein politisches Mordmotiv. »Die unbewiesenen Behauptungen der linksautonomen Gruppen sind in hohem Maße geeignet, unserer Region den Stempel politischer Gewalttätigkeit aufzudrücken und werden in keiner Weise der Realität gerecht.«

Wie Kissel kritisierte auch der parteilose Geraer Oberbürgermeister Ralf Rauch in der OTZ die Proteste nach dem Mord, etwa die Antifa-Demonstration vom 1. Februar. Die Stadt wolle in der Jugendarbeit den Extremismus aller Schattierungen eindämmen. Das besonnene Vorgehen der Polizei bei der Demonstration sei lobenwert gewesen. Teilnehmer der Demonstration hingegen berichten, die Polizei habe rechte Provokationen am Rande des Protestzuges geduldet. Rechte Anti-Antifaaktivisten hätten ungeniert aus nächster Nähe Demonstranten fotografieren können. Das Gleiche soll bei der Kundgebung der Grünen am vorigen Donnerstag auch vorgekommen sein.

Dieser Kundgebung stand Mike Huster, ein Mitglied der Geraer Stadtratsfraktion der PDS, sowieso skeptisch gegenüber. Er sagte der Jungle World: »Die Situation hat sich hochgeschaukelt.« Das Motto der Kundgebung teile er nicht. »Das ist eine Zuspitzung, die eine weitere Konfrontation fördert. Die Rechten haben ihre Schwerpunkte, ich wehre mich aber gegen eine Reduzierung der Stadt Gera auf ein Nazinest. Polizeidirektor und Bürgermeister haben sich deppert geäußert.«

Auch viele Bürger denken so, wenn sie sich überhaupt für die Vorfälle interessieren. »In Gera wollen die Leute erstmal alles ganz genau wissen«, erklärt ein Antifaaktivist. »Die fragen: Waren das wirklich Nazis? Stimmt das denn?« Am besten solle man erst über den Mord reden, wenn ein rechtskräftiges Urteil gefällt sei. Viele wollten einfach nicht glauben, was da in ihrer Stadt geschehe.

Seit Jahren existiert in Gera eine fest etablierte Neonaziszene, die auch unterstützt wird von einem latenten alltäglichen Rassismus. Im Juni vergangenen Jahres konnte die NPD in einem Park im Stadtzentrum ein Open-Air-Konzert unter dem Titel »Rock gegen Krieg« veranstalten. In der Stadt mit den 115 000 Einwohnern gibt es mehrere rechte Kneipen, Modeläden und Musikvertriebe.

Es kommt auch immer wieder zu Übergriffen auf Flüchtlinge und auf Linke, Passanten greifen meist nicht ein. Und auf die Polizei ist sowieso nicht zu hoffen. Die Antifaschistische Aktion Gera berichtet sogar davon, dass im Februar vorigen Jahres Kurden festgenommen worden seien, die sich gegen Neonazis zur Wehr gesetzt hätten. Und erst vor zwei Wochen sei ein Linker mitten in der Stadt von einem Rechtsextremen angegriffen worden, erzählt der Antifaaktivist weiter. Trotz eines telefonischen Hilferufes sei die Polizei nicht gekommen. Als der Betroffene sich in einem zweiten Anruf darüber beschwert habe, sei ihm von einem Beamten mit einer Anzeige gedroht worden.

Auch mit Flüchtlingen geht die Polizei in Gera nicht sonderlich zimperlich um. Die Residenzpflicht verwehrte den Flüchtlingen aus dem einen halben Kilometer von Gera entfernten Markersdorf den Aufenthalt in Gera, bis die Proteste das im Sommer 2003 änderten. Abad hatte die Schikanen der Geraer Polizei gegen Flüchtlinge an die Öffentlichkeit gebracht.

»Ständig wurden an bestimmten Orten die Flüchtlinge von der Polizei in Streifenwagen gezogen und abtransportiert«, sagt Wagner-Schürwanz. In einem Gespräch mit ihr habe der Polizeidirektor Kissel gesagt, die Vertreter der Flüchtlinge sollten sich nicht wundern. Die Polizei sehe ausländische Menschen als besonders Kriminelle an, die härter verfolgt werden müssten.

Christel Wagner-Schürwanz will sich in diesen Tagen mit den Angehörigen von Oleg V. treffen. »Ich versuche so gut es geht, die Arbeit der letzten beiden Jahre ehrenamtlich weiterzuführen.« Seit Anfang 2004 gibt es für Abad keine Finanzierung durch die Bundesstiftung Civitas mehr. Der Grund: Die Thüringer Landesregierung verweigerte ihre Einschätzung der Arbeit der Flüchtlingsberatung. Das Motto der Landesregierung sei: »Lobbyarbeit für Flüchtlinge, so etwas macht man in Thüringen nicht.«