Fake the Fake

Um eine Maxi, von der sich ein paar Granden der Avantgarde der elektronischen Kunstmusik beleidigt fühlen, hat sich ein bizarrer Rechtsstreit entwickelt. von felix klopotek

Ein Vorspiel. Anfang der siebziger Jahre. Der koreanische Fluxuskünstler und Komponist Nam June Paik will es der europäischen Neue-Musik-Avantgarde, die ihm offensichtlich schwer auf die Nerven geht, heimzahlen. Er spielt Schönberg (»Verklärte Nacht«) in vierfacher Geschwindigkeit ab. Das nimmt er auf, schreibt dazu launige Linernotes und veröffentlicht es als Single. Dieter Roth hat die Provokation verstanden und landet den einzig möglichen Konter: Er nimmt Nam June Paiks Schönberg-Destruktion – und spielt sie vierfach verlangsamt ab. Roth nimmt diese Destruktion der Destruktion ebenfalls auf, faket die Linernotes von Paik und bringt seine Arbeit ebenfalls als Single Raus. Implizit erkennt er Paiks simple, aber effektive Methode der Kritik an: Die wieder verlangsamt abgespielte Schönberg-Aufnahme klingt nicht mehr wie das Original, sondern verrauscht und verzerrt. Die Spuren der Bearbeitung bleiben deutlich.

Im kleinen Griechenmarkt 28-30 – einer wichtigen Kölner Adresse, hier residieren u.a. der Schallplattenladen a-Musik, der Supposé-Verlag und Sonig, das Label von Mouse on Mars – treffen sich im Sommer 2002 ein paar Menschen, um für ein gemeinsames Projekt, die Aufnahme einer Maxi-Single, die Gruppe Edition Kunst ins Leben zu rufen. In zwei Stunden spielt Edition Kunst mit einfachstem Equipment – vier Plattenspieler, ein analoges Mehrkanalmischpult, ein Powerbook mit einfacher sample-editing Software (wahlweise auch ein Hardware-Sampler), eine simple Drummaschine (Hard- oder Software), bevorzugt mit Klängen aus der Roland TR Serie, ein Kofferradio, ein Mobiltelefon, ein paar Schallplatten – sechs Tracks ein. Jeder Track entspricht einem, wie die Edition es nennt, »Ein-Trick-Musiker«, konkret gemeint sind damit: Terre Thaemlitz, Ekkehard Ehlers (März), Thomas Brinkmann (Soul Center), Robin Rimbaud (Scanner), Paul D. Miller (DJ Spooky) und Carsten Nicolai (noto). Sehr unterschiedliche Elektronik-Produzenten, die die Elektronik-Szene jenseits von Rave und Disco in den letzten zehn Jahren entscheidend geprägt haben.

Die Edition Kunst wendet in ihrem Projekt das Verfahren der immanenten Kritik an: Sie spricht nicht über die Musiker, sondern durch sie. Das Stück »Edition Kunst plays Terre Thaemlitz« wendet das Produktionsverfahren Thaemlitz’ an, »Edition Kunst plays Thomas Brinkmann« das von Brinkmann usw. Zu den einzelnen Stücken gibt es jeweils eine Beschreibung. Zum Robin-Rimbaud-Stück wurde geschrieben: »Frequenzrauschen auf Mittelwelle, ein dröhnendes Resonanzklingen aus Sinuswellen. Bei Bedarf wird während des Stücks leicht am Sendersucher gedreht. Handysignale aus dem Nebenraum ergänzen die Atmosphäre. Industrial Ambient.« Das Stück der Edition klingt genauso, wie es hier beschrieben wurde, und auch Scanner klingt genauso. Man hört das Stück, man erinnert sich an die einst gehypten Scanner-Alben, man liest den kurzen Text – und kann sich den Bauch vor Lachen kaum noch halten. Edition Kunst ist einfach ein großer Spaß. Und der Kaiser-ist-nackt-Effekt stellt sich eigentlich dauernd ein.

Nun will die Edition Kunst den Kollegen – darauf beharrt sie – nicht ans Bein pinkeln, sondern in erster Linie auf den Hype, der um diese Künstler gemacht wurde, aufmerksam machen und darauf, dass in der Rezeption ihrer Arbeiten so gut wie nie die musikalischen Produktionsweisen hinterfragt wurden. Kaum ein Journalist oder Kritiker, der sich an dem hochgezüchteten Charakter des im Frühjahr 2002 erschienenen Projektes »Ekkehard Ehlers plays …« gestört oder der sich die Langeweile beim Hören der x-ten Minimal-Techno-Veröffentlichung von Carsten Nicolai eingestanden hätte.

Im September 2002 erscheint schließlich die Maxi »Edition Kunst plays«. Die Auflage beträgt etwas mehr als 500 Stück, ein großer Batzen davon wird an die Musikpresse verschickt. Die Reaktion? Die Platte wird totgeschwiegen, sie existiert faktisch nicht. Binnen eines Jahres gehen etwas mehr als 150 Maxis über den Ladentisch. Die Edition Kunst durfte sich als gescheitert betrachten.

Aber man bekommt ja manchmal eine zweite Chance. Carsten Nicolai (»Eine Sinuswelle wird regelmäßig abgespielt und leicht in ihrer Tonhöhe variiert. Die Welle wird mit scharfem Attack gespielt, was ein perkussives Einstarten des Klangs erzeugt. Design Techno oder Clicks & Cuts«) entdeckt etwa ein Jahr nach Veröffentlichung in einem japanischen Plattenladen ein Exemplar von »Edition Kunst plays« und muss sich verdammt geärgert haben. Weil die Edition Kunst versäumt hat, die Kennung des Presswerks auf der Auslaufrille wegzulöten, kriegt Nicolai über das Presswerk den Link zum kleinen Griechenmarkt. Dort bemüht man sich klarzustellen, dass es nicht um eine persönliche Auseinandersetzung gehe, man setzt – für die Musiker und die (desinteressierte) Presse – einen offenen Brief auf, der diesen Sachverhalt thematisiert. Es hilft nichts. Nicolai und Thomas Brinkmann schalten einen Anwalt ein, sehen sich über alle Maßen verhohnepiepelt und unterstellen der Gegenseite eine bewusste Irreführung von Käufern.

Die Edition Kunst reagiert schnell: Man unterschreibt Unterlassungserklärungen, verkauft die Maxi nur noch geschwärzt und zahlt an alle Musiker Tantiemen. Trotzdem schwelt der Konflikt bis dato weiter und Nicolai und Brinkmann stellen durch ihren Anwalt weitere Forderungen.

Schauen wir uns die Aporien an, in die sich sämtliche Beteiligten manövriert haben: Die Edition Kunst möchte eine Auseinandersetzung über Diskursmechanismen führen. Geht es ihr wirklich nur darum, hat sie sich ziemlich naiv verhalten. Denn ihr Verfahren der Ideologiekritik wollte – vor der Schwärzung – nicht ohne Namen auskommen, was automatisch zu einer Identifizierung von Musiker und Stil führt, die die Musiker mit Fug und Recht (und bisweilen auch mit einem Anwalt) bestreiten können.

Der wirkliche Schwachpunkt scheint aber der zu sein, dass diese Art von musikalischer Kritik nicht wirklich die mediale, oder schärfer: kulturindustrielle Strategie der Musiker offen legen kann. Soll heißen: Es wird wohl so sein, dass einige der auf der Platte gelisteten Musiker tatsächlich blenderischen Schwachsinn feilbieten. Sie mögen es nicht wissen, aber sie tun es. Andere Musiker wissen aber, was sie tun. Thomas Brinkmann z.B. war nie jemand, der die Nähe zur Presse gesucht hat. Er hat auch nie die Einfachheit – den »Ein-Trick-Charakter« – seiner Tracks abgestritten. In einem Interview mit dem Autor hat er sich über die Journalisten, die in seinem Minimal-Techno alles möglich reinlesen bzw. raushören wollten, lustig gemacht.

Brinkmann darf sich also aufregen, aber muss er sich dabei verbohren? Er und Nicolai wollen offensichtlich sämtliche Spuren dieser Veröffentlichung tilgen und dürften damit das Gegenteil erzielen. Je mehr sie sich festbeißen, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass sie damit die Öffentlichkeit schaffen, die die Maxi nie erreicht hätte. Ein Hahnenkampf zwischen Elektronikproduzenten und Kunstpiraten? Wie peinlich. Wie wunderbar. Die Presse ist bereits informiert. Und sie berichtet darüber.