Blick nach vorn

Schröder trifft Bush von carlos kunze

Gerhard Schröder trifft George W. Bush bzw. »Old Europe« (Donald Rumsfeld, Außenminister, 2003) trifft auf den US-amerikanischen »Schurkenstaat« (Peter Sloterdijk, Philosoph, 2002) – das war ein mediales Highlight der vergangenen Woche. Bush, so erfährt man, kann über Schröders Witze lachen. Schröder will nicht »Geschichte aufarbeiten«, sondern zusammen mit Bush »nach vorne blicken«. In einer gemeinsamen Erklärung der beiden Regierungen wird ein »deutsch-amerikanisches Bündnis für das 21. Jahrhundert« verkündet. Man will gemeinsam »Frieden, Demokratie, Menschenwürde, Rechtsstaatlichkeit, wirtschaftliche Chancen und Sicherheit« in den Nahen und Mittleren Osten exportieren.

Alles wieder in Butter im durch den Irakkrieg so sehr strapazierten transatlantischen Verhältnis, das ist die Botschaft. Die »partners in leadership« begraben das Kriegsbeil und »heben hervor, wie wichtig es ist, dass Europa und Amerika als Partner einer Wertegemeinschaft zusammenarbeiten«. Das steht in der gemeinsamen Erklärung und ist somit die Leitlinie für die künftige Politik.

Oder auch nicht. Denn wichtiger als Papier, das bekanntlich geduldig ist, sind Interessen. Und die deutsch-europäischen und die US-amerikanischen unterscheiden sich mittlerweile erheblich. Das ist in der Irakkrise zum ersten Mal so deutlich geworden, dass man es beim besten Willen nicht mehr ignorieren konnte. Seine Fortsetzung findet es in der Haiti-Krise, in der die französische Regierung, misstrauisch beäugt von der US-amerikanischen, in der vergangenen Woche die internationale Pole Position übernahm und Präsident Aristide den Rücktritt nahe legte – noch vor den USA. Und das hört bei den Differenzen zwischen US-amerikanischer und deutscher Politik im Nahen Osten noch lange nicht auf. Etwa wenn es um die von deutschen Politikern regelmäßig aufgeworfene Frage eines Einsatzes von UN-Truppen unter deutscher Beteiligung in den palästinensischen Gebieten geht.

Stephen Szabo, Professor an der John Hopkins University Washington, versucht in dem Text »Die Rückkehr des ›German Problem‹«, die durch die Irakkrise veränderten Bedingungen zu analysieren. Diese habe die »Zentralität des transatlantischen Verhältnisses für die Berliner Republik« maßgeblich geschwächt. Und es gebe wenig Aussicht auf eine Revitalisierung, weil die USA und Deutschland nun divergierende strategische Interessen und Bedrohungseinschätzungen hätten. Aus einer zunächst taktischen Annäherung an Frankreich sei eine strategische Option der Berliner Republik geworden. Für Berlin habe Europa Priorität gewonnen.

Zugleich aber tauche das Gespenst eines geteilten Europa oder einer Verlangsamung, wenn nicht gar einer Umkehr des Trends zu wachsender europäischer Integration am Horizont auf – nicht zuletzt wegen der Verletzung des Stabilitätspaktes durch Frankreich und Deutschland sowie des Stillstands bei den Verhandlungen um eine europäische Verfassung.

Es droht demnach folgendes Szenario: Die Einbindung Deutschlands in europäische Strukturen geschwächt, die USA mit weniger Einfluss auf den deutschen Staat als in der Nachkriegszeit bis 1989, die europäischen Mächte nicht in der Lage, die wachsende Macht des vereinigten Deutschland auszubalancieren oder einzudämmen, während die »leader« der Berliner Republik nach Bismarck’schem Vorbild auf eine Außenpolitik wechselnder Bündnisse setzen. Und das in Zeiten verstärkter ökonomischer Krisen. Da ist es dann wieder, das »German problem« in neuer Gestalt. Wenn man etwas anders als Schröder nach vorne blickt.