Fleißig in die Ferien

Das Streiksemester ist beendet. Doch manche der Aktiven bereiten schon die nächsten Proteste vor. Ein Fazit und ein Ausblick von nils brock

Ein Hauptproblem studentischer Protestbewegungen besteht darin, dass sie in der Regel nach relativ kurzer Zeit an Schwung verlieren und in sich zusammenbrechen. Grund dafür ist die Beschränkung auf symbolisch-politische Aktionen, die einerseits viel Engagement kosten und andererseits schnell veralltäglichen.« So fasst Daniel Schmidt, ein wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für Politische Wissenschaft in Leipzig, das Hauptproblem der studentischen Streiks zusammen und scheint damit auf den ersten Blick Recht zu haben.

In Berlin zogen zur letzten Demonstration vor den Semesterferien nur noch wenige hundert Studierende zum Roten Rathaus. Trotz monatelanger »Klaus komm raus«-Rufe ist Wowereit bis heute nicht herausgekommen, keine der Forderungen wurde bisher erfüllt. Und auch andernorts halten sich die Erfolge der akademischen Arbeitsverweigerung in Grenzen. Die Streik-Websites vieler Unis sind offline oder rufen zu Demos für den November 2003 auf. Bleibt am Ende tatsächlich nicht mehr als ein paar nostalgische Erinnerungen an nacktes studentisches Protestfleisch und eine abgesägte Weihnachtstanne in Berlin?

Es ist schwierig, am Beginn der Semesterferien Vorhersagen über die künftige Streikmoral der Studenten zu treffen. Man sei eben ausgebrannt gewesen nach sechs Wochen zivilen Ungehorsams und Demos, sagt Maria Hetzer vom Leipziger Streikkomitee und fügt gleich hinzu: »Aber der Streik ist nicht vorbei, sondern nur ausgesetzt.« Die Semesterferien wolle man zur Vorbereitung nutzen, um im April erneut und diesmal nicht nur konstruktiv, sondern mit vollständigem Boykott der offiziellen Lehrveranstaltungen gegen den Stellenabbau und die Klage des Freistaats Sachsen gegen das bisher geltende Verbot von Studiengebühren zu protestieren.

Nicht alle Studenten, die an Streikaktionen beteiligt waren, wollen den Protest gegen die Hochschulpolitik weiterhin in breiten Bündnissen mit sozialen Gruppen organisieren. Manchmal verlangt die Situation ein anderes Vorgehen. In Hessen haben studentische Mitglieder der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) gegen die für das Sommersemester 2004 geplante Einführung eines Verwaltungskostenbeitrags von 50 Euro pro Semester geklagt. Ob dieser rechtens ist oder nur eine verdeckte Studiengebühr darstellt, klären jetzt die Gerichte. Das Ziel der Aktion ist es, mit juristischen Mitteln Präzedenzfälle zu schaffen, da eine massenhafte Zahlungsverweigerung sich nur schwer organisieren lässt und für Beteiligte zu einer Exmatrikulation führen könnte.

Ebenso pragmatisch hat sich in Leipzig eine Initiative von etwa 50 Studierenden dazu entschlossen, auf landespolitischer Ebene Einfluss zu nehmen. Das vielleicht etwas hoch gesteckte Ziel ist der Sturz der CDU-Landesregierung. Die akademischen Strippenzieher verhandeln zurzeit in informellen Treffen mit Oppositionspolitikern über eine Zusammenarbeit im Landtagswahlkampf. Gewählt wird in Sachsen am 19. September, und die Studierenden bieten sich an, um Wähler zu werben und eine Hochschulkonzeption auszuarbeiten, die der Opposition bisher fehlt. Dafür sollen im Koalitionsvertrag die Forderungen der Studentenlobby berücksichtigt werden.

Egal ob gesellschaftskritisch oder interessengelenkt, die Aktionen, die zurzeit geplant oder durchgeführt werden, nehmen verstärkt Rücksicht auf den kommunalen und landespolitischen Kalender. Das ist schon deshalb sinnvoll, weil Bildungspolitik eben zu einem großen Teil Ländersache ist. In Hamburg, wo am vergangenen Wochenende ein neuer Senat gewählt wurde, besetzten Studenten einige Tage zuvor zuerst die Zentrale der SPD, um eine Stellungnahme des Kandidaten Thomas Mirow zu den studentischen Forderungen zu bekommen. Drei Tage später erklärten etwa 30 Studierende die Parteizentrale der CDU zur »Villa Kunterbunt«. Mit dieser symbolischen Enteignung wurden die Kürzungen im öffentlichen Raum verurteilt. Beide Aktionen gipfelten in gewaltsamen Räumungen.

Auf mehr Gesprächsbereitschaft hofft man dagegen in Berlin, obwohl die Semesterferien gleich mit einer bösen Überraschung begannen. Am Dienstag der vergangenen Woche beschloss der Senat, im Jahr 2005 ein Studienkontenmodell und Gebühren für Langzeitstudierende einzuführen. Damit sollten wohl vor dem Parteitag der PDS am 4. April schnell Fakten geschaffen werden.

Peter Hartig vom Refrat der Humboldt-Universität ist dennoch zuversichtlich, dass es eine scharfe Debatte in der PDS geben wird, denn mit dem Senatsbeschluss sind die Delegierten schlichtweg übergangen worden. »Und sie sind mehrheitlich gegen die Politik von Wissenschaftssenator Flierl«, meint Hartig. Zurzeit finden Gespräche zwischen Studierenden und PDS-Abgeordneten statt, die die Parteitagsdebatte inhaltlich vorbereiten. Vielleicht kommt es zu einem Antrag, dass es Studiengebühren mit einer Beteiligung der PDS nicht geben soll.

Es tut sich also noch immer was an den Universitäten. Wenig zu spüren ist aber nach wie vor von einer überregionalen Zusammenarbeit. »Wozu auch?«, fragt Maria Hetzer vom Streikkomitee. »Es ging schließlich nie um einen gemeinsamen Streikorgasmus, sondern darum, eine beständige Gegenstimme zu schaffen. Wir wollen keine Festivalisierung, sondern ein neues Bewusstsein.«

Peter Hartig gäbe sich schon zufrieden, wenn sich die aktiven Studierenden der verschiedenen Universitäten auf gemeinsame Ziele einigen könnten. Schon jetzt gibt es einen Erfahrungsaustausch mit den Bundesländern, in denen etwa Langzeitstudis Gebühren zahlen müssen. »Wir haben so erste empirische Erfahrungen und können zum Beispiel nachweisen, welche Verdrängungsprozesse tatsächlich stattfinden, wie stark die Abbrecherquote gestiegen ist.«

Insgesamt professionalisieren sich die Proteste. Diese Tendenz wird von den Organisatoren bestätigt und als notwendig empfunden. Straßenaktionen und Kampagnen können sich nicht mehr nur auf spontane Unterstützung verlassen, sondern werden mittlerweile akribisch vorbereitet. Konkrete Interventionen werden sich stärker am Terminplan der Politiker orientieren. Außerhalb Leipzigs denkt aber im Moment niemand laut darüber nach, erneut zu streiken. Radikale Aktionen werden auch künftig eine Seltenheit sein. Und wenn, wie in Berlin geschehen, Straßenblockaden von zwei einzelnen Polizisten geräumt werden können, sollte man vielleicht gleich darauf verzichten.

Dennoch tut sich auch jenseits des Protestkuschelns oder der Annäherung an die Politiker etwas. Zum einen werden viele aktionistische Konzepte der Linken ausprobiert und verändert, auch wenn Besetzungen jetzt häufiger mit Kompromissen als durch Räumungen beendet werden. Außerdem begleiten weiterhin viele Dissidenten aus dem nicht akademischen Umfeld theoretisch und praktisch die Planung der Proteste. »Vielleicht wird die Entwicklung auch einen Zulauf für die kritische Linke bringen«, meint Hartig. »Es kommt darauf an, was für Erfahrungen die Studenten jetzt mit den Parlamenten machen. Das ist ein Lernprozess mit offenem Ende.«