Lustig ist das Romaleben

Tausende slowakische Roma rebellierten in der vergangenen Woche gegen ihre andauernde Unterdrückung. von martin schwarz

Der slowakische Präsident Rudolf Schuster hat seine Rolle als Mahner der Nation perfekt einstudiert. Als in der vergangenen Woche im Osten der Slowakei teilweise gewalttätige Proteste gegen massive Kürzungen im Sozialbereich ausbrachen, kritisierte er vehement die Pläne der Regierung, den ohnehin schwach strukturierten Wohlfahrtsstaat auf Kosten der ärmsten Bevölkerungsschichten weiter auszuhöhlen: »Niemand stellt die Notwendigkeit von Reformen in Frage, zweifelhaft aber sind deren Dimensionen, Timing und Koordination.«

Tatsächlich sind die Dimensionen der von der Regierung anvisierten Gesundschrumpfung des Sozialsystems gewaltig. Das Arbeitslosengeld und die Sozialhilfe wurden um 50 Prozent gekürzt. So muss etwa ein Slowake ab sofort mit einer monatlichen Sozialhilfe von 38,50 Euro auskommen, bisher war es etwa das Doppelte. Eine Familie kann künftig höchstens mit etwa 90 Euro Sozialhilfe rechnen. Besonders hart trifft dies die etwa 500 000 Roma in der Slowakei. Rund 90 Prozent dieser Minderheitengruppe sind arbeitslos. Hinzu kommt, dass die meisten Roma-Familien sehr kinderreich sind, so dass die Reformen der Regierung geradezu darauf abzuzielen scheinen, die Roma endgültig ins soziale Elend zu stürzen.

Die Regierung von Premierminister Mikulas Dzurinda gab ursprünglich vor, die Maßnahmen als Motivation für Langzeitarbeitslose einzuführen, »sich wieder einen Job zu suchen«. Für Roma ist das schwer nachvollziehbar. Sie haben in der Regel keine Chance auf eine Integration in das Arbeitsleben, denn was in der Slowakei praktiziert wird, ist nur mühsam getarnte ökonomische Apartheid. Öffentliche Stellen etwa werden praktisch nie an Roma vergeben, viele Arbeitgeber teilen in ihren Stellenausschreibungen ganz deutlich mit, dass sie keine Roma engagieren wollen und diese sich daher gar nicht zu bewerben brauchen.

Als einige Roma Mitte vergangener Woche in Trebisov eine Supermarkt plünderten und dabei riefen: »Wir brauchen etwas zu essen«, war das keine Dramatisierung der Situation.

Die Staatsmacht reagierte mit dem, was ihr traditionell als einzige Sofortmaßnahme zur Verfügung steht. Sie setzte die Polizei ein, unterstützt vom Militär. Erstmals seit dem verzweifelten Versuch der kommunistischen Partei Ende 1989, die demonstrierenden Massen auseinander zu treiben, wurden Wasserwerfer und Tränengas eingesetzt. Der slowakische Innenminister Vladimir Palko gab bekannt, dass sich in der Region alle Polizisten in Bereitschaft zu halten hätten und verhängte eine Urlaubssperre über seine Truppen. Starke Polizei- und Militäreinheiten wurden in die Roma-Siedlungen verlegt. 126 Roma, die relativ wahllos aufgegriffen wurden, kamen in Polizeigewahrsam. Das »Europäische Zentrum für die Rechte der Roma« berichtete von illegalen Hausdurchsuchungen und Schlägen im Polizeigewahrsam.

Ende der Woche flauten die Proteste ab, nachdem die Regierung ihre Sozialkürzungen teilweise zurückgenommen hatte. Vertreter der Bürgerinitiative der Roma (Roi) kritisierten das Vorgehen der Regierung allerdings bereits als unzureichend. So sollen etwa Bedürftige eine Mietbeihilfe erhalten. Die Mehrheit der Roma lebt aber in illegal errichteten Bretterbuden ohne fließendes Wasser, Strom und Kanalisation. Am Samstag kündigte Jozef Cervenak, der Vorsitzende von Roi, Blockaden von Grenzstationen und Autobahnen in den östlichen Regionen der Slowakei an, sollten sich Polizei und Militär nicht aus den Roma-Siedlungen zurückziehen. Außerdem sollen alle während der Unruhen festgenommenen Roma freigelassen werden.

Die Maßnahmen der Regierung zeigen, dass sie mehr an einer Befriedung als an einer Verbesserung der Situation der Roma interessiert ist. Auch Schuster, der Mahner der Nation, hatte sich in den vergangenen Jahren mehrmals als Garant für einen Ausgleich zwischen den verschiedenen kulturellen Gruppen und als Hüter der Rechte von Minderheiten präsentiert: »Ich bin selbst von der deutschen Minderheit, ich weiß, was das bedeutet.« Bevor Schuster zum Präsidenten gewählt wurde, war er Bürgermeister der zweitgrößten Stadt der Slowakei, Kosice, und begründete dort seinen Ruf als erbitterter Gegner des damaligen Premierministers Vladimir Meciar.

Weniger offensiv war Schuster dabei, seine Rolle bei der Aussiedlung der Roma aus dem Stadtzentrum Kosices 1995 in die Welt hinauszuposaunen. 1995 wurden die Roma aus dem Stadtzentrum vertrieben und in einem Plattenbaughetto namens Lunik IX außerhalb der Gemeinde angesiedelt. Aus den Augen, aus dem Sinn. Gleichzeitig wurden den bisherigen Bewohnern von Lunik IX andere Wohnungen zugewiesen, denn die Roma sollten in dem Komplex unter sich sein. 2002 verzog der letzte Nicht-Roma aus der Siedlung. Was übrig bleibt, ist eine soziale Quarantäne-Station, in der die Roma unter sich und sich selbst überlassen sind.

Die Schaffung von Siedlungen exklusiv für Roma hat in der Slowakei durchaus System. In Nitra und Presov wurden ebenfalls völlig isolierte Roma-Enklaven geschaffen. Dazu kommt, dass viele Gemeinden wohl aus Gründen der Attraktivität für Investoren Roma einfach aus dem Einwohnerregister streichen. Von etwa 1 000 Roma in Spisska Nova Ves sind nur 727 ordnungsgemäß in der Gemeinde gemeldet. Den restlichen verweigerte man einfach das Bürgerrecht.

Auf eine Besserung ihrer Situation können die slowakischen Roma kaum hoffen. Sie besitzen schlicht keine Lobby in dem Land, das ab Mai Mitglied der Europäischen Union sein wird. So identifizieren etwa sämtliche Parteien im Parlament – freilich in unterschiedlicher Ausprägung – Roma als Quelle des angeblich schlechten Images der Slowakei im Ausland. Premier Dzurinda meinte in der vergangene Woche, die Roma würden »darauf spekulieren«, sich mit Sozialhilfe und Arbeitslosengeld ohne größere Anstrengungen ihr Leben zu finanzieren.

Die slowakische Regierung wird sich in den kommenden Monaten wohl besonders auf die Regionen im Osten konzentrieren müssen, denn diese Gegend des Landes droht zum Armenhaus der neuen Europäischen Union zu werden. Ausländisches Investment wird besonders vom Westen der Slowakei, der Region rund um die Hauptstadt Bratislava angezogen, während der Osten leer ausgeht. Dementsprechend liegt etwa die Arbeitslosenquote im Osten mit rund 30 Prozent doppelt so hoch wie im Westen.

Roma haben unter diesen Bedingungen kaum eine Aussicht auf Jobs. Schließlich suchen die wenigen ausländischen Investoren im vergessenen Osten des Landes nach qualifizierten Arbeitskräften, die aber unter den Roma aufgrund der Diskriminierungen kaum zu finden sind. Roma-Kinder werden oftmals früh in Sonderschulen abgeschoben, in einigen Sonderschulen liegt der durchschnittliche Roma-Anteil bei 50 Prozent.

Völlig sicher ist bereits, dass das Problem der vehementen Diskriminierung der Roma auch in den kommenden Monaten nicht angegangen werden wird. Denn kurz vor dem EU-Beitritt hat die slowakische Regierung andere Aufgaben zu bewältigen und sie wäre wohl mit einem etwas tiefer gehenden Ansatz der Problemlösung, als es Wasserwerfer nun einmal sind, überfordert. Immerhin hat sie jetzt eine Kampagne zur Optimierung des Images der Slowakei angekündigt. Sie will dafür etwa 1,2 Millionen Euro ausgeben. Als Imageträger scheiden Roma allerdings wohl aus.