Nebel über dem Meiler

Das Bundesamt für Strahlenschutz fordert die Stilllegung von fünf Atomkraftwerken. Sie seien nicht ausreichend gegen Terroranschläge gesichert. Warum nur fünf? von heiko balsmeyer

Wenn plötzlich darüber diskutiert wird, dass Atomkraftwerke unzureichend vor Terrorangriffen aus der Luft geschützt seien, so hat das zwei Folgen: Erstens erfährt die Bevölkerung, dass sich jemand über ernste politische Dinge Gedanken macht. Und zweitens macht sie sich weniger Sorgen über die Gefahren der Atomenergie im Normalbetrieb sowie über den Atomtechnologieexport der rot-grünen Bundesregierung. Das nennt man Public Awareness Management oder die Steuerung der öffentlichen Aufmerksamkeit.

Wolfram König, der Präsident des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS), forderte kürzlich, bei fünf der derzeit 18 in Deutschland laufenden Atomkraftwerke vorzeitig den Stecker zu ziehen. Die Anlagen Philippsburg I, Isar I, Brunsbüttel, Biblis A und Obrigheim böten seiner Ansicht nach keinen ausreichenden Schutz vor Terrorangriffen mit Passagierflugzeugen.

Königs Befürchtung, die fünf Atomkraftwerke seien nicht ausreichend geschützt, stützt sich auf eine Untersuchung der Gesellschaft für Anlagen, und Reaktorsicherheit (GRS). Die Studie ist als vertraulich eingestuft und daher unveröffentlicht, allerdings stellte der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) eine Zusammenfassung des Umweltministeriums ins Internet. Darin kommen interessante Aspekte ans Tageslicht.

Skurril ist, dass offensichtlich mit staatlichem Auftrag an der Technischen Universität Berlin sechs Versuchsteilnehmer unter wissenschaftlicher Aufsicht im Flugsimulator Attentate auf ein virtuelles Kraftwerk übten. Die GRS kam zu dem nicht überraschenden Ergebnis, dass es bei allen deutschen Atomkraftwerken Szenarien für den Absturz von Verkehrsflugzeugen gibt, deren »erwartetes Ergebnis« mit »Beherrschung fraglich« angeben wird.

Von allen Atomkraftwerken könnte infolge eines Flugzeugabsturzes Radioaktivität in großen Mengen freigesetzt werden. Würde man das Argument des unzureichenden Schutzes vor Terrorgefahren ernst nehmen, so wäre nur ein Schluss möglich, den auch Francis Althoff von der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg zieht: »Die einzige gesellschaftlich verantwortbare Sicherheit kann nur die sofortige Stilllegung aller Atomanlagen bieten.«

Alle vier deutschen Betreiber von Atomkraftwerken können sich von Königs Forderung angesprochen fühlen. Die in Baden-Württemberg liegenden Atomkraftwerke Philippsburg I und Obrigheim gehören EnBW, Isar I im bayerischen Landshut wird von Eon betrieben, der Meiler Brunsbüttel in Schleswig-Holstein gehört Vattenfall Europe und Biblis A in Hessen mehrt die Profite der RWE Power AG.

Wie ernst die Atomkonzerne die Bedenken des Bundesamtes für Strahlenschutz nehmen, zeigte ihr öffentlich diskutierter Vorschlag, die Atomkraftwerke im Falle eines Angriffs mit dem innovativen Verfahren einer »Schnellvernebelung« unter künstlichem Nebel verschwinden zu lassen. In Zeiten der Navigation mit satellitengestützten Systemen wird das Verfahren gewiss kein Exportschlager. Im Übrigen sind die Betreiber der Meinung, ein Sicherheitskonzept sei eine staatliche Aufgabe.

Neu sind die Erkenntnisse über die Angreifbarkeit von Atomreaktoren nicht. Vor allem nach den Terroranschlägen in den USA am 11. September 2001 wurde darüber diskutiert. Der Sprecher der Internationalen Atomenergieagentur (IAEA), David Kyr, wies auf diese Gefahren bei Atomanlagen hin. Der Schwachpunkt der Reaktoren sei die Betonhülle. Eine Nachrüstung der Reaktoren sei teuer, bringe aber keine totale Sicherheit.

Nur bei einzelnen Atomreaktoren den Schutz als unzureichend zu bezeichnen, wie Wolfram König dies tut, widerspricht den Ergebnissen der Studie der GSR und ist vor allem der Logik des Atomkonsenses geschuldet. Der ermöglicht als Ausgleich für die Schließung einer Anlage die Verlängerung des Betriebes einer anderen. Nach dem Konsens der AKW-Betreiber mit der rot-grünen Bundesregierung über den ungestörten Weiterbetrieb ihrer Atomkraftwerke, genannt »Atomausstieg«, können die produzierbaren Strommengen von älteren Kraftwerken auf neuere übertragen werden. Das bedeutet, dass neuere Meiler wie Neckarwestheim II und Isar II weit über das Jahr 2020 hinaus in Betrieb bleiben können. Für die Betreiber bietet der Atomkonsens vor allem die Möglichkeit, die unterschiedlichen Profitmöglichkeiten der Anlagen zu kalkulieren.

Wenn die Erkenntnisse über den mangelhaften Schutz der Atomkraftwerke vor Terroranschlägen alles andere als neu sind und auch die GRS-Studie schon über ein Jahr zirkuliert, stellt sich die Frage, warum diese Debatte gerade jetzt angezettelt wurde. Wem sie nützt, ist offensichtlich. Zum einen können die Grünen weiter ihren politischen Kampf gegen die Nutzung der Atomenergie simulieren. Das macht sich gerade gut, da im März mit dem Ergebnis der Prüfung der Ausfuhrgenehmigung für die Hanauer Nuklearfabrik durch das Auswärtige Amt gerechnet wird.

Joschka Fischer wird seinen Anhängern wohl mit zerknirschter Miene mitteilen, dass es rechtlich keine Bedenken gegen diesen Export gibt. (Siehe die nebenstehende Meldung »Kauf Dir Hanau!«) Mit der üblichen inneren Zerissenheit wird man bereit sein, die nukleare Exportoffensive von Siemens in China, den Bau des neuen Atomreaktors EPR in Finnland und danach wohl in Osteuropa und anderswo mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu unterstützen.

Ein nützlicher Nebeneffekt der Terrordebatte ist zudem die »Schnellvernebelung« der Risiken der Atomenergie im Normalbetrieb. Die terroristische Bedrohung wäre ohne die Risiken der Atomenergie nicht gegeben. Ein Terrorangriff auf einen Solarkollektor oder eine Windenergieanlage erschiene absurd, ein Angriff auf ein Atomkraftwerk dagegen ist deshalb so gefährlich, weil in den Anlagen mit Stoffen hantiert wird, die wegen ihrer Gefahren für Menschen und die Umwelt auf gar keinen Fall freigesetzt werden dürfen.

Genau dies geschieht aber im Normalbetrieb alltäglich. Das reicht von verstrahlten Arbeitern in den Uranminen bis zu den Einleitungen radioaktiver Stoffe der Plutoniumfabriken in La Hague und Sellafield ins Meer. Auch die dauerhafte Isolierung der radioaktiven Abfälle von der Biosphäre ist über den notwendigen Zeitraum von Millionen von Jahren nicht zu gewährleisten, ein sicheres Endlager gibt es nicht. Wer vor den Gefahren des Terrors warnt, schweigt über die Alltäglichkeit dieser Bedrohungen.